Von der Kunst loszulassen
Anna Brohm
„Am Anfang weiß ich gar nicht wo die Reise hingeht“, sagt Paul Hutchinson im Interview als ich ihn an einem verregneten Vormittag auf der Zeche Zollverein treffe. Am Tag zuvor hat er bereits das Gelände erkundet: die Folkwang-Uni, das SANAA-Gebäude und die Kokerei. An Tag zwei geht es in eine Keramik-Werkstatt, zu PACT und ins Ruhr Museum.
Paul Hutchinson, 1987 in Berlin geboren, in Schöneberg aufgewachsen, lebt heute wieder in der Hauptstadt. Seine letzte Publikation „Stadt für alle“ (2020) zeigt das neue Berlin, die Veränderungen und Kontraste, die sich dort in das Stadtbild einschreiben. Die Bilder erzählen von der Immobilienblase, von Ungleichheiten, von Straßenkultur und Baustellen, Wohnhäusern und ihren Überbleibseln und zeigen Hutchinsons eigenen Blick auf Entwicklungen, die sich „wie ein Angriff auf meine Heimat anfühlen“.
Zollverein ist für ihn neues Terrain. Turnschuhe, Herbstblätter, Oberflächen, jemand unterwegs im hohen Gras – die Bildstrecke die dort, als künstlerischer Beitrag für dieses Heft, entstanden ist, zeigt das Beiläufige: Details, Momentaufnahmen, das Bekannte im Unbekannten. „Mir ist es wichtig in meiner Arbeit Dinge zu meinen Eigenen zu machen. Wo in diesem ganzen Komplex verorte ich mich selbst? Wo kann ich etwas zeigen was vielleicht noch nicht gezeigt worden ist?“ In den Fotografien ist der ikonische Gebäudekomplex Zollverein kaum sichtbar; sie konzentrieren sich auf die Menschen, ihr Tun und die Spuren, die sie überall hinterlassen.
Für Hutchinson beginnt die Arbeit oft erst nach dem Fotografieren. Das Auswählen aus der Menge der Bilder und das Platzieren ebendieser, in Ausstellungen oder Publikationen, ist essenzieller Teil seiner künstlerischen Praxis. Das Verfassen von Text passiert unabhängig vom Fotografieren. Die Worte geben seinen Bildern eine noch persönlichere Stimme und erweitern deren Wahrnehmung. „Text ist das fieseste und schönste zugleich, du kannst ihn nicht faken“, sagt er im Interview. Überhaupt spielt Authentizität eine wichtige Rolle für Hutchinsons Arbeitsweise. Nach sich selbst suchen und sich dennoch nicht in den Mittelpunkt stellen. „Man sieht so schnell den Kunstwillen in Bildern. Nicht Sachen zu wollen, sondern sie passieren zu lassen. Nicht zu forcieren. Ob beim Schreiben oder Fotografieren – ich probiere loszulassen.“ Das ist die Herausforderung.
Hutchinson macht Bilder vom urbanen Leben in unserer globalisierten Welt. Er ist Teil der Szene oder der Stadt die er fotografiert und gleichzeitig ihr aufmerksamer Beobachter: Sneaker, U-Bahn, Gesichter in Momentaufnahmen, schillernde Oberflächen, städtische Grünflächen. In seiner Arbeit hat Hutchinson über die Jahre eine Art persönliches Referenzsystem etabliert: Viele kleine Bausteine, die sich zu einem größeren Ganzen zusammensetzen und das Große im Kleinen ausmachen. Seine Bilder transportieren Intimität und Fragilität und haben trotzdem – oder gerade deswegen – einen politischen Blick auf die Welt. „Ich hatte immer Lust raus zu gehen, Lust die Welt zu sehen, einen gesunden Körper, das Privileg von einem deutschen Pass.“ Wer weiß schon wo die Reise hingeht.
published in "Fotostadt Essen Magazin", 2021
Von der Kunst loszulassen
Anna Brohm
„Am Anfang weiß ich gar nicht wo die Reise hingeht“, sagt Paul Hutchinson im Interview als ich ihn an einem verregneten Vormittag auf der Zeche Zollverein treffe. Am Tag zuvor hat er bereits das Gelände erkundet: die Folkwang-Uni, das SANAA-Gebäude und die Kokerei. An Tag zwei geht es in eine Keramik-Werkstatt, zu PACT und ins Ruhr Museum.
Paul Hutchinson, 1987 in Berlin geboren, in Schöneberg aufgewachsen, lebt heute wieder in der Hauptstadt. Seine letzte Publikation „Stadt für alle“ (2020) zeigt das neue Berlin, die Veränderungen und Kontraste, die sich dort in das Stadtbild einschreiben. Die Bilder erzählen von der Immobilienblase, von Ungleichheiten, von Straßenkultur und Baustellen, Wohnhäusern und ihren Überbleibseln und zeigen Hutchinsons eigenen Blick auf Entwicklungen, die sich „wie ein Angriff auf meine Heimat anfühlen“.
Zollverein ist für ihn neues Terrain. Turnschuhe, Herbstblätter, Oberflächen, jemand unterwegs im hohen Gras – die Bildstrecke die dort, als künstlerischer Beitrag für dieses Heft, entstanden ist, zeigt das Beiläufige: Details, Momentaufnahmen, das Bekannte im Unbekannten. „Mir ist es wichtig in meiner Arbeit Dinge zu meinen Eigenen zu machen. Wo in diesem ganzen Komplex verorte ich mich selbst? Wo kann ich etwas zeigen was vielleicht noch nicht gezeigt worden ist?“ In den Fotografien ist der ikonische Gebäudekomplex Zollverein kaum sichtbar; sie konzentrieren sich auf die Menschen, ihr Tun und die Spuren, die sie überall hinterlassen.
Für Hutchinson beginnt die Arbeit oft erst nach dem Fotografieren. Das Auswählen aus der Menge der Bilder und das Platzieren ebendieser, in Ausstellungen oder Publikationen, ist essenzieller Teil seiner künstlerischen Praxis. Das Verfassen von Text passiert unabhängig vom Fotografieren. Die Worte geben seinen Bildern eine noch persönlichere Stimme und erweitern deren Wahrnehmung. „Text ist das fieseste und schönste zugleich, du kannst ihn nicht faken“, sagt er im Interview. Überhaupt spielt Authentizität eine wichtige Rolle für Hutchinsons Arbeitsweise. Nach sich selbst suchen und sich dennoch nicht in den Mittelpunkt stellen. „Man sieht so schnell den Kunstwillen in Bildern. Nicht Sachen zu wollen, sondern sie passieren zu lassen. Nicht zu forcieren. Ob beim Schreiben oder Fotografieren – ich probiere loszulassen.“ Das ist die Herausforderung.
Hutchinson macht Bilder vom urbanen Leben in unserer globalisierten Welt. Er ist Teil der Szene oder der Stadt die er fotografiert und gleichzeitig ihr aufmerksamer Beobachter: Sneaker, U-Bahn, Gesichter in Momentaufnahmen, schillernde Oberflächen, städtische Grünflächen. In seiner Arbeit hat Hutchinson über die Jahre eine Art persönliches Referenzsystem etabliert: Viele kleine Bausteine, die sich zu einem größeren Ganzen zusammensetzen und das Große im Kleinen ausmachen. Seine Bilder transportieren Intimität und Fragilität und haben trotzdem – oder gerade deswegen – einen politischen Blick auf die Welt. „Ich hatte immer Lust raus zu gehen, Lust die Welt zu sehen, einen gesunden Körper, das Privileg von einem deutschen Pass.“ Wer weiß schon wo die Reise hingeht.
published in "Fotostadt Essen Magazin", 2021