Sieh die Stadt
Saskia Trebing
Auf der Berliner Yorckstraße liegt ein bisschen Glück. Da glitzert was, das könnte Verheißung sein. Oder vielleicht auch nur ein leeres Päckchen Capri-Sonne oder ein halb aufgegessenes Brathähnchen auf Silberfolie. Der Fotograf Paul Hutchinson, 1987 in Berlin geboren und im Schöneberg der Nachwendezeit aufgewachsen, arbeitet mit dem Lebensgefühl Großstadt. Hier sind die Sozialwohnungstürme brutale Monolithen, die auch auf einem anderen Planeten stehen könnten. Und statt einer Rakete oder wenigstens einer Zeitmaschine gibt es nur einen gebrauchten Motorroller als Fluchtfahrzeug.
Heute würden nachwuchshippe Teenager ihre linke Niere für eine Jugend in Berlin geben, doch für Paul Hutchinson war sie in den 90ern eine herausfordernde Angelegenheit. Der Langeweile setzte er tief hängende Hosen, einen schockresistenten Discman und den Hip-Hop entgegen. „Für mich und meine Freunde waren die groben Bässe, die mechanischen Snares und die kalte rhythmische Sprache eine Art Zufluchtsort“, sagt der Künstler, der an der Universität der Künste Berlin und am Central Saint Martins in London studiert hat.
Der Hip-Hop-Kultur, die vor allem eine Welt der Klänge ist, näherte er sich später mit dem stummen Medium der Fotografie. Für sein Projekt „B-Boys, Fly Girls & Horticulture“ (2015) reiste er ins indische Bangalore, um mit der Kamera die dortige Rap-Szene zu begleiten. Sein Blick heftet sich dabei eng an die Protagonisten. Die Posen, die im Hip-Hop so oft um männliche Überlegenheit kreisen (oder das, was man mit 16 dafür hält), interessieren den Fotografen nicht. Er fängt die Menschen in klischeefreien, gedämpften Momenten ein, die schlaksigen Körper passen kaum in den Bildrahmen, dazwischen Stillleben, in denen die Reste der Stadt plötzlich zu glänzen beginnen, und immer wieder Blumen und Sträucher, die aus Körpern und Dingen herauszuwuchern scheinen – die Jugend, das zarte Pflänzchen. „Man muss romantisch genug sein dürfen, um Blumen zu fotografieren. Vor allem, wenn man es auf eine eigene und ehrliche Weise tut“, sagt Hutchinson. „Fotografieren heißt für mich, in der Welt zu sein.“ Aber in der Welt, die der Künstler inszeniert, ist die Schönheit nie ungebrochen. Die Pflanzen wuchern über Müll, die Großstadtschmetterlinge umflattern die Wegwerfgesellschaft. Die ins Absurde domestizierte Wildheit beschäftigt Hutchinson auch in seiner Serie „Wildlife Photography“ von 2016. Darin spürt er der Unsitte nach, die unexotischsten öffentlichen Orte mit Wandbildern von Dschungeln, Savannen und Wüsten zu verzieren. Am U-Bahnhof Hermannstraße in Berlin lauern Leoparden und Tiger, die Stereotype von Fremdheit und Abenteuer schleichen sich in den Alltag ein.
Für unser Monopol-Portfolio hat Paul Hutchinson Bilder zusammengestellt, die unter anderem in Berlin, Bangalore und Paris aufgenommen wurden. Dazu kurze Texte, die an Rap-Lyrics erinnern und den Fotos Rhythmus und weitere Bedeutungsebenen geben. Ein bisschen Freestyle, ein bisschen Poesie, ein bisschen Wutschnauben. Wenn Hutchinson im städtischen Raum fotografiert, geht es ihm immer auch um soziale Unterschiede. Welcher Ort bedeutet welches Leben, wo wohnt der Wohlstand, wo sein Gegenteil? Sein Interesse für die Jugendkultur ist auch ein Interesse an Gemeinschaft, am gemeinsamen Suchen nach Zugehörigkeit und einem Ausweg aus der Enge. Auf einem seiner Bilder hat jemand sein lila Sternchentop ausgezogen und scheinbar achtlos von sich geworfen. Auf der Baumwolle ein ganzes Universum – und im Zentrum die leere Capri-Sonne.
erschienen in "monopol", November 2018
Sieh die Stadt
Saskia Trebing
Auf der Berliner Yorckstraße liegt ein bisschen Glück. Da glitzert was, das könnte Verheißung sein. Oder vielleicht auch nur ein leeres Päckchen Capri-Sonne oder ein halb aufgegessenes Brathähnchen auf Silberfolie. Der Fotograf Paul Hutchinson, 1987 in Berlin geboren und im Schöneberg der Nachwendezeit aufgewachsen, arbeitet mit dem Lebensgefühl Großstadt. Hier sind die Sozialwohnungstürme brutale Monolithen, die auch auf einem anderen Planeten stehen könnten. Und statt einer Rakete oder wenigstens einer Zeitmaschine gibt es nur einen gebrauchten Motorroller als Fluchtfahrzeug.
Heute würden nachwuchshippe Teenager ihre linke Niere für eine Jugend in Berlin geben, doch für Paul Hutchinson war sie in den 90ern eine herausfordernde Angelegenheit. Der Langeweile setzte er tief hängende Hosen, einen schockresistenten Discman und den Hip-Hop entgegen. „Für mich und meine Freunde waren die groben Bässe, die mechanischen Snares und die kalte rhythmische Sprache eine Art Zufluchtsort“, sagt der Künstler, der an der Universität der Künste Berlin und am Central Saint Martins in London studiert hat.
Der Hip-Hop-Kultur, die vor allem eine Welt der Klänge ist, näherte er sich später mit dem stummen Medium der Fotografie. Für sein Projekt „B-Boys, Fly Girls & Horticulture“ (2015) reiste er ins indische Bangalore, um mit der Kamera die dortige Rap-Szene zu begleiten. Sein Blick heftet sich dabei eng an die Protagonisten. Die Posen, die im Hip-Hop so oft um männliche Überlegenheit kreisen (oder das, was man mit 16 dafür hält), interessieren den Fotografen nicht. Er fängt die Menschen in klischeefreien, gedämpften Momenten ein, die schlaksigen Körper passen kaum in den Bildrahmen, dazwischen Stillleben, in denen die Reste der Stadt plötzlich zu glänzen beginnen, und immer wieder Blumen und Sträucher, die aus Körpern und Dingen herauszuwuchern scheinen – die Jugend, das zarte Pflänzchen. „Man muss romantisch genug sein dürfen, um Blumen zu fotografieren. Vor allem, wenn man es auf eine eigene und ehrliche Weise tut“, sagt Hutchinson. „Fotografieren heißt für mich, in der Welt zu sein.“ Aber in der Welt, die der Künstler inszeniert, ist die Schönheit nie ungebrochen. Die Pflanzen wuchern über Müll, die Großstadtschmetterlinge umflattern die Wegwerfgesellschaft. Die ins Absurde domestizierte Wildheit beschäftigt Hutchinson auch in seiner Serie „Wildlife Photography“ von 2016. Darin spürt er der Unsitte nach, die unexotischsten öffentlichen Orte mit Wandbildern von Dschungeln, Savannen und Wüsten zu verzieren. Am U-Bahnhof Hermannstraße in Berlin lauern Leoparden und Tiger, die Stereotype von Fremdheit und Abenteuer schleichen sich in den Alltag ein.
Für unser Monopol-Portfolio hat Paul Hutchinson Bilder zusammengestellt, die unter anderem in Berlin, Bangalore und Paris aufgenommen wurden. Dazu kurze Texte, die an Rap-Lyrics erinnern und den Fotos Rhythmus und weitere Bedeutungsebenen geben. Ein bisschen Freestyle, ein bisschen Poesie, ein bisschen Wutschnauben. Wenn Hutchinson im städtischen Raum fotografiert, geht es ihm immer auch um soziale Unterschiede. Welcher Ort bedeutet welches Leben, wo wohnt der Wohlstand, wo sein Gegenteil? Sein Interesse für die Jugendkultur ist auch ein Interesse an Gemeinschaft, am gemeinsamen Suchen nach Zugehörigkeit und einem Ausweg aus der Enge. Auf einem seiner Bilder hat jemand sein lila Sternchentop ausgezogen und scheinbar achtlos von sich geworfen. Auf der Baumwolle ein ganzes Universum – und im Zentrum die leere Capri-Sonne.
erschienen in "monopol", November 2018