Paul Hutchinson – Nähe und Distanz
Boris Becker
Betrachtet man die Fotografien von Paul Hutchinson, postuliert sich zunächst eine unglaubliche, scheinbar vertrauliche Nähe zu den abgebildeten Sujets der unbewussten Stadträume, der Stillleben und Portraits. Achtlos umgeworfene Gartenstühle, ein angeblitzter Sneaker in einem dürren Strauch, die Beine zweier Personen auf einem Baumarktscooter, all diese Motive lassen eine persönliche, vielleicht sogar intime Beziehung des Künstlers zu den abgebildeten Orten und Personen vermuten. Dies mag sogar im Einzelnen der Fall sein - vor allem bei einer Aufnahme, wo offensichtlich die Beine von Paul Hutchinson in einer doppelten Spiegelung zu sehen sind - würde aber seinen Arbeitsansatz zu stark eingrenzen und vordergründig leicht interpretierbar machen. Es wäre eine weitere künstlerische Position, die durch einen narrativen Blick auf die persönliche Situation versucht, dieses individuelle Umfeld zu einem künstlerischen Ort zu erhöhen. Aber bei aller sicher vorhandenen Nähe zu den abgebildeten Motiven gelingt es Hutchinson, die Szenen, Objekte und Personen sich selbst zu überlassen, so dass sie eine eigene Aura entwickeln können, die sich nicht nur durch den persönlichen Blick des Künstlers definieren ließe. Die Portraitserie einer jungen Frau (Kadia) erinnert eher an eine Filmszene als an eine klassische Personendarstellung. In einer dreiteiligen Sequenz wendet sich aus einer scheinbar unbeobachteten Situation heraus der Blick der Frau über einen kurzen Moment der Kamera zu, um abschließend den Betrachter direkt anzusehen. Die Szene ist offen angelegt, sie impliziert eine weitere Bewegung, die nicht vorhersehbar ist und einer eigenen Interpretation freien Raum gibt. Wir nehmen zwar an der persönlichen Umgebung des Künstlers teil, allerdings ohne ihn darin zu finden, er fixiert die Motive, um sie gleich wieder zu verlieren. Das Bild der beiden grüngelben Schmetterlinge vor einem magentafarbenen Tuch lässt die Situation gleichsam im eigenen als auch im übertragenen Sinn regelrecht schwirren und ist zugleich ein experimentelles Spiel mit der Farblehre. Es ist ein erzählendes Aneignen und Loslassen, das den Betrachter in die gezeigten Situationen und Räume führt und ihn dort mit seinen individuellen Assoziationen sich selbst überlässt. In einer Stadtansicht (Porte de Flandre, Paris) wird dies exemplarisch ablesbar. Eine anonymisierte Hochhausarchitektur dominiert den ersten Gesamteindruck, der allerdings durch mehrere Szenen im Bild wieder aufgebrochen wird. Der Blick wird zunächst auf eine kleine Personengruppe gelenkt, die im Gegensatz zu der markant abgestuften Architektur steht. Eine nostalgisch anmutende Schrift über einer historisierenden Detailansicht, eventuell der Eingang einer Metrostation, und eine knallrote Markise kontrastieren ebenfalls die eher kühle Szenerie. Durch diese zufällig anmutenden Versatzstücke wird das formal strenge Hochhausraster gebrochen. Der Blick gleitet im Bild von einer Szene zur nächsten und erlaubt dem Betrachter eine eigene Interpretation und Sichtweise auf die dargestellte Situation.
Hutchinson ist in seinen Fotografien vordergründig zutiefst anwesend und zugleich meilenweit entfernt.
published in "Résumé No. 7: Paul Hutchinson", Kunststiftung Kunze, 2022
Paul Hutchinson – Nähe und Distanz
Boris Becker
Betrachtet man die Fotografien von Paul Hutchinson, postuliert sich zunächst eine unglaubliche, scheinbar vertrauliche Nähe zu den abgebildeten Sujets der unbewussten Stadträume, der Stillleben und Portraits. Achtlos umgeworfene Gartenstühle, ein angeblitzter Sneaker in einem dürren Strauch, die Beine zweier Personen auf einem Baumarktscooter, all diese Motive lassen eine persönliche, vielleicht sogar intime Beziehung des Künstlers zu den abgebildeten Orten und Personen vermuten. Dies mag sogar im Einzelnen der Fall sein - vor allem bei einer Aufnahme, wo offensichtlich die Beine von Paul Hutchinson in einer doppelten Spiegelung zu sehen sind - würde aber seinen Arbeitsansatz zu stark eingrenzen und vordergründig leicht interpretierbar machen. Es wäre eine weitere künstlerische Position, die durch einen narrativen Blick auf die persönliche Situation versucht, dieses individuelle Umfeld zu einem künstlerischen Ort zu erhöhen. Aber bei aller sicher vorhandenen Nähe zu den abgebildeten Motiven gelingt es Hutchinson, die Szenen, Objekte und Personen sich selbst zu überlassen, so dass sie eine eigene Aura entwickeln können, die sich nicht nur durch den persönlichen Blick des Künstlers definieren ließe. Die Portraitserie einer jungen Frau (Kadia) erinnert eher an eine Filmszene als an eine klassische Personendarstellung. In einer dreiteiligen Sequenz wendet sich aus einer scheinbar unbeobachteten Situation heraus der Blick der Frau über einen kurzen Moment der Kamera zu, um abschließend den Betrachter direkt anzusehen. Die Szene ist offen angelegt, sie impliziert eine weitere Bewegung, die nicht vorhersehbar ist und einer eigenen Interpretation freien Raum gibt. Wir nehmen zwar an der persönlichen Umgebung des Künstlers teil, allerdings ohne ihn darin zu finden, er fixiert die Motive, um sie gleich wieder zu verlieren. Das Bild der beiden grüngelben Schmetterlinge vor einem magentafarbenen Tuch lässt die Situation gleichsam im eigenen als auch im übertragenen Sinn regelrecht schwirren und ist zugleich ein experimentelles Spiel mit der Farblehre. Es ist ein erzählendes Aneignen und Loslassen, das den Betrachter in die gezeigten Situationen und Räume führt und ihn dort mit seinen individuellen Assoziationen sich selbst überlässt. In einer Stadtansicht (Porte de Flandre, Paris) wird dies exemplarisch ablesbar. Eine anonymisierte Hochhausarchitektur dominiert den ersten Gesamteindruck, der allerdings durch mehrere Szenen im Bild wieder aufgebrochen wird. Der Blick wird zunächst auf eine kleine Personengruppe gelenkt, die im Gegensatz zu der markant abgestuften Architektur steht. Eine nostalgisch anmutende Schrift über einer historisierenden Detailansicht, eventuell der Eingang einer Metrostation, und eine knallrote Markise kontrastieren ebenfalls die eher kühle Szenerie. Durch diese zufällig anmutenden Versatzstücke wird das formal strenge Hochhausraster gebrochen. Der Blick gleitet im Bild von einer Szene zur nächsten und erlaubt dem Betrachter eine eigene Interpretation und Sichtweise auf die dargestellte Situation.
Hutchinson ist in seinen Fotografien vordergründig zutiefst anwesend und zugleich meilenweit entfernt.
published in "Résumé No. 7: Paul Hutchinson", Kunststiftung Kunze, 2022