Was hat ein in Alufolie gewickeltes Brathühnchen mit Subkultur zu tun?
Interview mit iD-Germany
Wir haben mit dem Fotografen Paul Hutchinson über Jugendkulturen, die HipHop-Szene der 90er und Blumen gesprochen.
Was haben Berlin und Indien gemeinsam? Eine HipHop-Szene, die fasziniert. "Oberflächlich gesehen ist HipHop in Indien im Jahr 2015 das, was es in Deutschland im Jahr 1995 war", erzählt der Fotograf Paul Hutchinson im Interview. Er verbrachte einige Zeit in Bangalore, freundete sich mit den HipHop Kids an, die sich grade erst zusammenfinden, und fotografierte sie. Gemischt mit zahlreichen Aufnahmen von Pflanzen aus dem Botanischen Garten sind diese in seinem Buch "B-Boys, Fly Girls & Horticulture" zu finden, das heute im Museumscafé Dix in der Berlinischen Galerie präsentiert wird. Was Blumen und HipHop gemeinsam haben, erzählt er im Interview.
Erzähl uns ein bisschen etwas zur Idee deines neuen Buches "B-Boys, Fly Girls & Horticulture". Wann und wie entstand die Idee dazu? Wie lange hast du daran gearbeitet?
Ich bin im Somer 2014, nach zwei Jahren in London, wieder zurück nach Berlin gezogen. Ich bin hier aufgewachsen und für mich war irgendwann klar, dass ich Berlin und nicht London als Basis für mein zukünftiges Arbeiten wählen möchte. Nach meiner Rückkehr hab ich einige alte Bekannte wiedergetroffen, die immer noch Teil der HipHop-Szene sind. Ich selbst hatte über die Jahre gefühlt immer weniger mit aktuellem HipHop zu tun, aber als ich die Leute von damals wiedergetroffen habe, hat das irgendwas bei mir ausgelöst. Eine Art Erinnerung, ein positives Zurückdenken, ohne Nostalgie sondern eher ein überraschtes "Wow, das war ja auch mal Teil deines Lebens". Und für mich war es wichtig, dieser persönlichen Erfahrung eine Form zu geben, dem Gefühl, das auch gerne mit den verbreiten Klischees bricht. Wo bin ich und wo war ich in diesem Kontext? Was gibt mir das, wie fühlt sich das an? Was hat ein in Alufolie gewickeltes Brathühnchen mit Subkultur zu tun? Für mich viel. Ich habe schnell gemerkt, dass es für mich eine gewisse Tiefe und Potential hat. So habe ich schließlich über circa ein Jahr hinweg Ausstellungs- und Buchprojekte entwickelt.
Du warst in den 90er Jahren selbst in den HipHop-Kreisen Berlins unterwegs, wie sehr hat dies eine Rolle für das Buch gespielt?
Natürlich war meine persönliche Erfahrung als Jugendlicher in Berlin irgendwo Ursprung für das Buch. Nur aufgrund der Person, die ich damals war, habe ich überhaupt Interesse und ein Bewusstsein für das Thema. Aber letztendlich hat mich, so wie bei uns allen, nicht nur eine Sache geprägt, sondern die Vielfalt aller Erfahrungen in meinem Leben. Es ist mir wichtig, meine Arbeit nicht über HipHop zu definieren, denn das Thema ist vielmehr eine Oberfläche, auf der ich mich in dieser Publikation bewege, eine Perspektive, die ich einnehme, Teil eines größeren Ganzen.
Haben wir heutzutage noch eine HipHop-Kultur wie in den 90ern? Worin unterscheidet sie sich?
Ich möchte keine vermeintliche Autorität einnehmen, das objektiv zu beurteilen, das kann ich schlichtweg nicht. Ich kann nur sagen, dass mich persönlich wenig Sachen so berührt haben wie damals Tribe Called Quest, J Dilla oder early The Streets. Wobei ich nicht sagen möchte, dass damals alles besser war. Es ist nur klar, dass sich HipHop immer mehr zu einer Popindustrie, einem Produkt des westlichen Kapitalismus entwickelt hat. Was weder gut noch schlecht ist, nur anders. Es gibt mehr Marken, und es gibt mehr Fans. Und: mehr Musik.
Was hat es mit dem Titel auf sich?
B-Boys, Fly Girls & Horticulture bezieht sich auf das, was man hauptsächlich in dem Buch sieht: Breakdancer und Pflanzen.
Du beschäftigst dich im Buch mit der HipHop-Szene in Deutschland und in Indien. Was haben sie gemeinsam und worin unterscheiden sie sich?
Oberflächlich gesehen ist HipHop in Indien im Jahr 2015 das, was es in Deutschland im Jahr 1995 war. Es steht am Anfang und ist super interessant zu beobachten. Die Kids sind motiviert und bauen sich ihre eigene Subkultur und darüber auch eine eigene Identität auf. Sie machen Musik in ihren eigenen Sprachen. Natürlich ist der Kontext komplett verschieden. Ich gehe in Indien nach einem Treffen mit Leuten auf die Straße, habe zuvor in einem IKEA Wohnzimmergespräche in meiner zweiten Muttersprache (ich bin Halb-Ire) über Kendrick Lamar geführt, was auch irgendwo in Kreuzberg hätte passieren können. Aber eigentlich bin ich in Indien. In all seiner Unbeschreibbarkeit. Und mir fällt ein, ach ja, stimmt ja, da sind ja noch die anderen 1,2 Milliarden Menschen und tatsächlich erfasse ich davon nichts.
Auch Pflanzen spielen eine Rolle. Wie kam es dazu? Worin besteht die Verbindung?
Es ist ein konzeptueller Gedanke: Durch die Künstlerresidenz des Goethe Instituts in Bangalore habe ich unweit vom Botanischen Garten, The Lal Bagh Botanical Gardens, gewohnt, welcher einer der imposantesten Indiens ist. Die ansässige Schule für Hortikultur betreut eine der artenreichsten Pflanzen- und Baumsammlungen im Land und setzt sich vorrangig mit der Eingliederung und Betreuung von Fremdkulturen auseinander. Ich mag Pflanzen sehr gerne und konnte nach Gesprächen mit den Botanikern und Wissenschaftlern vor Ort ein Sinnbild für die Entwicklung von und im Umgang mit HipHop erkennen. Einer fremden Spezies innerhalb einer unnatürlichen Umwelt. Es ist eine gröbere Auseinandersetzung mit Exotismus und dem Umgang damit. Es geht auch um das Bewusstsein als weißer, westlicher, männlicher Fotograf, Jugendliche in Indien zu fotografieren. Was in sich politisch extrem aufgeladen ist.
Jugendkultur ist ein Wort, das immer wieder auftaucht, wenn man dein Buch recherchiert. Wie definierst du persönlich "Jugendkultur"?
Ich denke, es ist ein Identifikationsmerkmal zu einer Zeit im Leben, in der wenige schon ganz für sich selbst stehen. Eine Gruppe bietet einen haltenden Rahmen. Wie auch immer dieser aussehen mag.
Was steht in naher Zukunft bei dir an?
Als nächstes würde ich gerne HipHop in Japan, Simbabwe und Venezuela fotografieren. Nein, Scherz. Ich setze mich aber grade tatsächlich im weitesten Sinne intensiver mit Exotismus auseinander, habe eine neue grobe Buchidee, aber noch nichts Spruchreifes. Ich werde nicht der 97. Fotograf sein, der Flüchtlinge fotografiert, aber eine Auseinandersetzung mit der Situation in Deutschland ist natürlich nicht unwichtig. Aber vielleicht fotografiere ich auch einfach wieder Blumen.
interview with iD-Germany, 2016
Was hat ein in Alufolie gewickeltes Brathühnchen mit Subkultur zu tun?
Interview mit iD-Germany
Wir haben mit dem Fotografen Paul Hutchinson über Jugendkulturen, die HipHop-Szene der 90er und Blumen gesprochen.
Was haben Berlin und Indien gemeinsam? Eine HipHop-Szene, die fasziniert. "Oberflächlich gesehen ist HipHop in Indien im Jahr 2015 das, was es in Deutschland im Jahr 1995 war", erzählt der Fotograf Paul Hutchinson im Interview. Er verbrachte einige Zeit in Bangalore, freundete sich mit den HipHop Kids an, die sich grade erst zusammenfinden, und fotografierte sie. Gemischt mit zahlreichen Aufnahmen von Pflanzen aus dem Botanischen Garten sind diese in seinem Buch "B-Boys, Fly Girls & Horticulture" zu finden, das heute im Museumscafé Dix in der Berlinischen Galerie präsentiert wird. Was Blumen und HipHop gemeinsam haben, erzählt er im Interview.
Erzähl uns ein bisschen etwas zur Idee deines neuen Buches "B-Boys, Fly Girls & Horticulture". Wann und wie entstand die Idee dazu? Wie lange hast du daran gearbeitet?
Ich bin im Somer 2014, nach zwei Jahren in London, wieder zurück nach Berlin gezogen. Ich bin hier aufgewachsen und für mich war irgendwann klar, dass ich Berlin und nicht London als Basis für mein zukünftiges Arbeiten wählen möchte. Nach meiner Rückkehr hab ich einige alte Bekannte wiedergetroffen, die immer noch Teil der HipHop-Szene sind. Ich selbst hatte über die Jahre gefühlt immer weniger mit aktuellem HipHop zu tun, aber als ich die Leute von damals wiedergetroffen habe, hat das irgendwas bei mir ausgelöst. Eine Art Erinnerung, ein positives Zurückdenken, ohne Nostalgie sondern eher ein überraschtes "Wow, das war ja auch mal Teil deines Lebens". Und für mich war es wichtig, dieser persönlichen Erfahrung eine Form zu geben, dem Gefühl, das auch gerne mit den verbreiten Klischees bricht. Wo bin ich und wo war ich in diesem Kontext? Was gibt mir das, wie fühlt sich das an? Was hat ein in Alufolie gewickeltes Brathühnchen mit Subkultur zu tun? Für mich viel. Ich habe schnell gemerkt, dass es für mich eine gewisse Tiefe und Potential hat. So habe ich schließlich über circa ein Jahr hinweg Ausstellungs- und Buchprojekte entwickelt.
Du warst in den 90er Jahren selbst in den HipHop-Kreisen Berlins unterwegs, wie sehr hat dies eine Rolle für das Buch gespielt?
Natürlich war meine persönliche Erfahrung als Jugendlicher in Berlin irgendwo Ursprung für das Buch. Nur aufgrund der Person, die ich damals war, habe ich überhaupt Interesse und ein Bewusstsein für das Thema. Aber letztendlich hat mich, so wie bei uns allen, nicht nur eine Sache geprägt, sondern die Vielfalt aller Erfahrungen in meinem Leben. Es ist mir wichtig, meine Arbeit nicht über HipHop zu definieren, denn das Thema ist vielmehr eine Oberfläche, auf der ich mich in dieser Publikation bewege, eine Perspektive, die ich einnehme, Teil eines größeren Ganzen.
Haben wir heutzutage noch eine HipHop-Kultur wie in den 90ern? Worin unterscheidet sie sich?
Ich möchte keine vermeintliche Autorität einnehmen, das objektiv zu beurteilen, das kann ich schlichtweg nicht. Ich kann nur sagen, dass mich persönlich wenig Sachen so berührt haben wie damals Tribe Called Quest, J Dilla oder early The Streets. Wobei ich nicht sagen möchte, dass damals alles besser war. Es ist nur klar, dass sich HipHop immer mehr zu einer Popindustrie, einem Produkt des westlichen Kapitalismus entwickelt hat. Was weder gut noch schlecht ist, nur anders. Es gibt mehr Marken, und es gibt mehr Fans. Und: mehr Musik.
Was hat es mit dem Titel auf sich?
B-Boys, Fly Girls & Horticulture bezieht sich auf das, was man hauptsächlich in dem Buch sieht: Breakdancer und Pflanzen.
Du beschäftigst dich im Buch mit der HipHop-Szene in Deutschland und in Indien. Was haben sie gemeinsam und worin unterscheiden sie sich?
Oberflächlich gesehen ist HipHop in Indien im Jahr 2015 das, was es in Deutschland im Jahr 1995 war. Es steht am Anfang und ist super interessant zu beobachten. Die Kids sind motiviert und bauen sich ihre eigene Subkultur und darüber auch eine eigene Identität auf. Sie machen Musik in ihren eigenen Sprachen. Natürlich ist der Kontext komplett verschieden. Ich gehe in Indien nach einem Treffen mit Leuten auf die Straße, habe zuvor in einem IKEA Wohnzimmergespräche in meiner zweiten Muttersprache (ich bin Halb-Ire) über Kendrick Lamar geführt, was auch irgendwo in Kreuzberg hätte passieren können. Aber eigentlich bin ich in Indien. In all seiner Unbeschreibbarkeit. Und mir fällt ein, ach ja, stimmt ja, da sind ja noch die anderen 1,2 Milliarden Menschen und tatsächlich erfasse ich davon nichts.
Auch Pflanzen spielen eine Rolle. Wie kam es dazu? Worin besteht die Verbindung?
Es ist ein konzeptueller Gedanke: Durch die Künstlerresidenz des Goethe Instituts in Bangalore habe ich unweit vom Botanischen Garten, The Lal Bagh Botanical Gardens, gewohnt, welcher einer der imposantesten Indiens ist. Die ansässige Schule für Hortikultur betreut eine der artenreichsten Pflanzen- und Baumsammlungen im Land und setzt sich vorrangig mit der Eingliederung und Betreuung von Fremdkulturen auseinander. Ich mag Pflanzen sehr gerne und konnte nach Gesprächen mit den Botanikern und Wissenschaftlern vor Ort ein Sinnbild für die Entwicklung von und im Umgang mit HipHop erkennen. Einer fremden Spezies innerhalb einer unnatürlichen Umwelt. Es ist eine gröbere Auseinandersetzung mit Exotismus und dem Umgang damit. Es geht auch um das Bewusstsein als weißer, westlicher, männlicher Fotograf, Jugendliche in Indien zu fotografieren. Was in sich politisch extrem aufgeladen ist.
Jugendkultur ist ein Wort, das immer wieder auftaucht, wenn man dein Buch recherchiert. Wie definierst du persönlich "Jugendkultur"?
Ich denke, es ist ein Identifikationsmerkmal zu einer Zeit im Leben, in der wenige schon ganz für sich selbst stehen. Eine Gruppe bietet einen haltenden Rahmen. Wie auch immer dieser aussehen mag.
Was steht in naher Zukunft bei dir an?
Als nächstes würde ich gerne HipHop in Japan, Simbabwe und Venezuela fotografieren. Nein, Scherz. Ich setze mich aber grade tatsächlich im weitesten Sinne intensiver mit Exotismus auseinander, habe eine neue grobe Buchidee, aber noch nichts Spruchreifes. Ich werde nicht der 97. Fotograf sein, der Flüchtlinge fotografiert, aber eine Auseinandersetzung mit der Situation in Deutschland ist natürlich nicht unwichtig. Aber vielleicht fotografiere ich auch einfach wieder Blumen.
interview with iD-Germany, 2016