Paul Hutchinson
*1987 in Berlin, GER
2008 – 2012 University of the Arts, Berlin, GER
2012 – 2014 Central Saint Martins College of Art and Design, London, UK
thegreenbox.net/artists/paul-hutchinson
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SELECTED PRESS TEXTS, INTERVIEWS AND ESSAYS ENGLISH DEUTSCH
Paul Hutchinson – Nähe und Distanz
Boris Becker
Betrachtet man die Fotografien von Paul Hutchinson, postuliert sich zunächst eine unglaubliche, scheinbar vertrauliche Nähe zu den abgebildeten Sujets der unbewussten Stadträume, der Stillleben und Portraits. Achtlos umgeworfene Gartenstühle, ein angeblitzter Sneaker in einem dürren Strauch, die Beine zweier Personen auf einem Baumarktscooter, all diese Motive lassen eine persönliche, vielleicht sogar intime Beziehung des Künstlers zu den abgebildeten Orten und Personen vermuten. Dies mag sogar im Einzelnen der Fall sein - vor allem bei einer Aufnahme, wo offensichtlich die Beine von Paul Hutchinson in einer doppelten Spiegelung zu sehen sind - würde aber seinen Arbeitsansatz zu stark eingrenzen und vordergründig leicht interpretierbar machen. Es wäre eine weitere künstlerische Position, die durch einen narrativen Blick auf die persönliche Situation versucht, dieses individuelle Umfeld zu einem künstlerischen Ort zu erhöhen. Aber bei aller sicher vorhandenen Nähe zu den abgebildeten Motiven gelingt es Hutchinson, die Szenen, Objekte und Personen sich selbst zu überlassen, so dass sie eine eigene Aura entwickeln können, die sich nicht nur durch den persönlichen Blick des Künstlers definieren ließe. Die Portraitserie einer jungen Frau (Kadia) erinnert eher an eine Filmszene als an eine klassische Personendarstellung. In einer dreiteiligen Sequenz wendet sich aus einer scheinbar unbeobachteten Situation heraus der Blick der Frau über einen kurzen Moment der Kamera zu, um abschließend den Betrachter direkt anzusehen. Die Szene ist offen angelegt, sie impliziert eine weitere Bewegung, die nicht vorhersehbar ist und einer eigenen Interpretation freien Raum gibt. Wir nehmen zwar an der persönlichen Umgebung des Künstlers teil, allerdings ohne ihn darin zu finden, er fixiert die Motive, um sie gleich wieder zu verlieren. Das Bild der beiden grüngelben Schmetterlinge vor einem magentafarbenen Tuch lässt die Situation gleichsam im eigenen als auch im übertragenen Sinn regelrecht schwirren und ist zugleich ein experimentelles Spiel mit der Farblehre. Es ist ein erzählendes Aneignen und Loslassen, das den Betrachter in die gezeigten Situationen und Räume führt und ihn dort mit seinen individuellen Assoziationen sich selbst überlässt. In einer Stadtansicht (Porte de Flandre, Paris) wird dies exemplarisch ablesbar. Eine anonymisierte Hochhausarchitektur dominiert den ersten Gesamteindruck, der allerdings durch mehrere Szenen im Bild wieder aufgebrochen wird. Der Blick wird zunächst auf eine kleine Personengruppe gelenkt, die im Gegensatz zu der markant abgestuften Architektur steht. Eine nostalgisch anmutende Schrift über einer historisierenden Detailansicht, eventuell der Eingang einer Metrostation, und eine knallrote Markise kontrastieren ebenfalls die eher kühle Szenerie. Durch diese zufällig anmutenden Versatzstücke wird das formal strenge Hochhausraster gebrochen. Der Blick gleitet im Bild von einer Szene zur nächsten und erlaubt dem Betrachter eine eigene Interpretation und Sichtweise auf die dargestellte Situation.
Hutchinson ist in seinen Fotografien vordergründig zutiefst anwesend und zugleich meilenweit entfernt.
erschienen in Résumé No. 7: Paul Hutchinson, Kunststiftung Kunze, 2022
AvaTourismus
Aileen Treusch
Paul Hutchinson beobachtet – sein Blick auf die Stadt ist mitfühlend melancholisch und hoffnungsvoll suchend zugleich. Es ist das besondere Gespür für ein Dazwischen, einen Schwellenzustand und eine Liminalität, das seine Fotografien auszeichnet. Zu sehen sind flüchtige Begegnungen, die ohne Resonanz zu bleiben scheinen; bedeutungslos? In eine Vergangenheitsbewältigung und Vorahnung der Zukunft mischen sich politische Statements: Wer ist bloß Bewohner:in, wer Bürger:in einer Stadt? Wer tritt in Erscheinung, darf bleiben, wohnen, dazugehören? Wer bleibt zurück oder sagt sich los? „Stadt für Alle“ zeigt geschwungene Rundum-Perspektiven auf das, was vor sich geht. Unorte sollen wieder zu Orten werden. Die Arbeiten kreisen ebenso um Fragen nach der eigenen Existenz und Identität. Wohin führt die Reise? Gebannt vom fortwährenden Kreislauf der Berliner „Ringbahn“, die sich über Hilfsmittel zur Beobachtung des Raums buchstäblich selbst bespiegelt, dokumentiert Hutchinson ein selbstreferenzielles Transit-System. Es zeigen sich Blickkontrollen und eine Überwachung im Takt der Metropole – noch 125 Meter bis zum Notausgang – für den, der aussteigen will, den, der nicht mehr mitfährt. Almost there – „Almost a Citizen“.
Anlässlich der Gruppenausstellung AvaTourismus, Offenbacher Kunstverein Mañana Bold e.V., Atelier Frankfurt, Frankfurt/Main, 2021
Von der Kunst loszulassen
Anna Brohm
„Am Anfang weiß ich gar nicht wo die Reise hingeht“, sagt Paul Hutchinson im Interview als ich ihn an einem verregneten Vormittag auf der Zeche Zollverein treffe. Am Tag zuvor hat er bereits das Gelände erkundet: die Folkwang-Uni, das SANAA-Gebäude und die Kokerei. An Tag zwei geht es in eine Keramik-Werkstatt, zu PACT und ins Ruhr Museum.
Paul Hutchinson, 1987 in Berlin geboren, in Schöneberg aufgewachsen, lebt heute wieder in der Hauptstadt. Seine letzte Publikation „Stadt für alle“ (2020) zeigt das neue Berlin, die Veränderungen und Kontraste, die sich dort in das Stadtbild einschreiben. Die Bilder erzählen von der Immobilienblase, von Ungleichheiten, von Straßenkultur und Baustellen, Wohnhäusern und ihren Überbleibseln und zeigen Hutchinsons eigenen Blick auf Entwicklungen, die sich „wie ein Angriff auf meine Heimat anfühlen“.
Zollverein ist für ihn neues Terrain. Turnschuhe, Herbstblätter, Oberflächen, jemand unterwegs im hohen Gras – die Bildstrecke die dort, als künstlerischer Beitrag für dieses Heft, entstanden ist, zeigt das Beiläufige: Details, Momentaufnahmen, das Bekannte im Unbekannten. „Mir ist es wichtig in meiner Arbeit Dinge zu meinen Eigenen zu machen. Wo in diesem ganzen Komplex verorte ich mich selbst? Wo kann ich etwas zeigen was vielleicht noch nicht gezeigt worden ist?“ In den Fotografien ist der ikonische Gebäudekomplex Zollverein kaum sichtbar; sie konzentrieren sich auf die Menschen, ihr Tun und die Spuren, die sie überall hinterlassen.
Für Hutchinson beginnt die Arbeit oft erst nach dem Fotografieren. Das Auswählen aus der Menge der Bilder und das Platzieren ebendieser, in Ausstellungen oder Publikationen, ist essenzieller Teil seiner künstlerischen Praxis. Das Verfassen von Text passiert unabhängig vom Fotografieren. Die Worte geben seinen Bildern eine noch persönlichere Stimme und erweitern deren Wahrnehmung. „Text ist das fieseste und schönste zugleich, du kannst ihn nicht faken“, sagt er im Interview. Überhaupt spielt Authentizität eine wichtige Rolle für Hutchinsons Arbeitsweise. Nach sich selbst suchen und sich dennoch nicht in den Mittelpunkt stellen. „Man sieht so schnell den Kunstwillen in Bildern. Nicht Sachen zu wollen, sondern sie passieren zu lassen. Nicht zu forcieren. Ob beim Schreiben oder Fotografieren – ich probiere loszulassen.“ Das ist die Herausforderung.
Hutchinson macht Bilder vom urbanen Leben in unserer globalisierten Welt. Er ist Teil der Szene oder der Stadt die er fotografiert und gleichzeitig ihr aufmerksamer Beobachter: Sneaker, U-Bahn, Gesichter in Momentaufnahmen, schillernde Oberflächen, städtische Grünflächen. In seiner Arbeit hat Hutchinson über die Jahre eine Art persönliches Referenzsystem etabliert: Viele kleine Bausteine, die sich zu einem größeren Ganzen zusammensetzen und das Große im Kleinen ausmachen. Seine Bilder transportieren Intimität und Fragilität und haben trotzdem – oder gerade deswegen – einen politischen Blick auf die Welt. „Ich hatte immer Lust raus zu gehen, Lust die Welt zu sehen, einen gesunden Körper, das Privileg von einem deutschen Pass.“ Wer weiß schon wo die Reise hingeht.
erschienen in Fotostadt Essen Magazin, November 2021
In grey light: Must the boy wake up?
Larissa Kikol
“Hauptstadtmafia” is written on a bridge in the capital as graffiti. Painted downwards with paint rollers from above, from upside down. Isn't youth culture always the strongest culture? Or at least in a country where it is not violently suppressed. If, on the other hand, adults merely try to restrict, direct or dismiss it as a short-lived one-way phenomenon, then it will prevail, then it will become strong. For a youth culture to assert itself means that it is in a healthy condition. Paul Hutchinson does not primarily photograph youth culture, but urban culture. However, youth culture is to be found everywhere, has left its mark on the cityscape, on adult culture.
Its traces are battle scars - showing graffiti, sweatshirts, hoodies, shoes up on underground train seats and comforting butterflies. “wach mal auf junge wach mal auf” ("wake up boy wake up") comes from a monologue with a lyrical counter-inside-super ego, which could be an alter ego as Hutchinson's lyrical grandmother, or a father-spirit, shining from the tunnels of underground stations. We find a glimpse of his own youth in the work youth. A still life from the artist's present living room. We see a photo from his teenage days on the wall, almost as a kind of reliquary. Himself, in the front row wearing a dark T-shirt, surrounded by friends. They are posing with beer bottle and middle finger, copying poses of masculinity and hostile behaviour, yet at the same time seeming as vulnerable as a boy band, separated from the parental homes too early to go on tour. The flower in front of it, an Oxalis triangularis, also called a "false shamrock", looks wilted, again like something from a teenager's room. "No, no, it's just growing, it has to look like that," Hutchinson assures me.
On a motorway bridge it says "Hauptstadtmafia" (“mafia of the capital”) and at the top of a huge firewall "Potse bleibt". The Potse was a youth club in the left-wing scene. In September 2020, the eviction verdict was confirmed by the courts which led its young regulars to react with squatting and painted bed sheets. The taz (translator’s note: german daily newspaper, left-leaning) quoted the Tempelhof-Schöneberg’s local youth councillor as voicing his sympathy for an eviction. He simultaneously said that they would unfortunately not be able to offer the youth club an alternative building.
Hutchinson oscillates between anger and romanticism when he roams the city. Depending on where he looks, what he gets to read and where he puts his feet. The visual language of his photographs does not work towards spotlighting these places and cultural sites. It is no fashionable, iconic Stern (tn: german weekly magazine) photography, no staged Jeff Wall photography, and no overwhelming photography like that of Andreas Gursky. Paul Hutchinson's works seem casual and subtle. The leitmotif is the decision-making process from the corner of the eye, arising from the subconscious of a sensitive act of moving past something or walking into it. This also explains the presence of graffiti in his works. He himself has no history as an active graffiti artist, yet he sees this genre as part of the familiar culture in which he grew up, aesthetically in the cityscape and in a social environment that enables friendly relations. In remnants (I), an attempt was made to wash a train, or at least to damage the graffiti so that its creator and his followers can no longer read the former image of the name. The defiant mixture of water and colour results in an abstract painting on a moving pictorial medium.
On a branch of the Stadtsparkasse (tn: german savings bank), a citizen or non-citizen wrote: "Almost A Citizen". Graffiti and political statements as urban occupation, a part of city-for-all, a part of secret parallel cultures that remain present, that grow stronger with every letter and every intervention in the cityscape. Hutchinson photographs graffiti hotspots just as he depicts the little muddy patches on the fringes of public life, where rubbish accumulates, hotspots of the unsightly. People suspect bacteria and viruses, they would rather not touch the handkerchiefs. Plastic resists the decomposition process, only fallen leaves disintegrate soundlessly. These are non-places, side effects of place-places. "Let someone else take care of that, have the city council make an effort," the citizen thinks to himself. Before that happens, a butterfly settles, Hutchinson's red thread, the object of his search. The romantic innocence of fragility, it flies from the Hauptstadtmafia to sit beside the used handkerchief and on to who-knows-where. Hutchinson encounters them often.
Shoes and feet are his own. The downward gaze is part of the soliloquy, it is averted just when the other voices are talking once again. "Wake up" is perhaps what the young people of the Potse were hearing when they were fighting for their local culture. Anyone living in Berlin, however, is also likely to hear this from committed ageing taxi drivers. You wrap yourself up, not just for these moments, but actually always, looking for a womb-like warmth within your hoodie. A hoodie – a recurring piece of clothing in Hutchinson's street scenes. Everyone has one, everyone knows why. That cuddly blanket for adults, because adults have to get up, because they have to rise socially. But at least with a hood that is pleasantly brushed on the inside. Ears and temples are comforted.
When I spoke to Paul Hutchinson about his inspirations, he mentioned many, from rap to the political essays of George Orwell. But he was also influenced by the atmosphere of West Berlin, like Schöneberg, where his parents ran two Irish pubs. Like many young people, he also soaked up the street air, and everything that went with it. Even the "street hassle", having to be part of it and wanting to be part of it. Growing up between the urge to go out into the big wide world and having only limited (financial) means to do so.
The silkscreen prints are another series of works. His photos take on a black-and-white graininess here. They look like slightly fuzzy paper surfaces with a roughened substance that gives the photographic image a painterly softness. While the subject is recognisable at the right distance, the grey depth becomes a blotchy composition in the mist from close up, which poses mystical pictorial riddles to the eye. Across it, his handwriting, in yellow. "School pad graffiti", his friends joke about Hutchinson's typography. And indeed, he plays with connotations here, from the street, from the public toilet cubicle, from the squared school pad. Again: "wach mal auf junge wach mal auf", in front of the tiled wall in a Berlin underground station. The watch is cut off. "the way you look at me smiling while I'm losing my vision" is written on the picture with the two chestnuts resting in the palm of a hand. Who is looking at him? The changing city and its real estate industry surely do. So the two chestnuts are no longer of any use, you can' t even make a puppet out of them. What remains is a romantic childhood memory.
The romance of the metropolis is a prevalent mood in Hutchinson's work. It is found under loose cobblestones, in the muddy fringes, within the dark hood. But the grey sky, Berlin's grey light is also romantic. A love-hate relationship with this light which signifies home. In this, at least, the vision does not change, at least in this it retains its original colour. Understandably, his photographs are never really colourful. A shadow settles over everything and marks the city as his beloved Berlin. The only place where even butterflies flutter around with a comforting grey tinge.
Im grauen Licht: Muss der Junge aufwachen?
von Larissa Kikol
„Hauptstadtmafia“ als Graffiti an einer Hauptstadtbrücke. Mit Streichrollen von oben, also falsch herum, heruntergestrichen. Ist die Jugendkultur nicht immer auch die stärkste Kultur? Zumindest in einem Land, indem sie nicht gewalttätig unterdrückt wird. Versuchen Erwachsene sie hingegen nur einzuschränken, zu lenken oder als kurzlebiges Einwegsphänomen abzutun, dann wird sie sich durchsetzen, dann wird sie stark werden. Für eine Jugendkultur bedeutet das Durchsetzen, dass sie sich in einer gesunden Verfassung befindet. Paul Hutchinson fotografiert in erster Linie keine Jugend-, sondern Stadtkultur. Und doch ist sie überall präsent, hat ihre Spuren im Stadtbild hinterlassen, in der Kultur der Erwachsenen.
Ihre Spuren sind Kampfspuren – Graffitis, Sweatshirts, Kapuzen, Schuhe auf U-Bahn-Sesseln und tröstende Schmetterlinge. „wach mal auf junge wach mal auf“ ist in einem Selbstgespräch mit einem lyrischen Gegen-Innen-Über gefallen, das könnte ein Alter Ego als lyrische Großmutter Hutchinsons sein, oder als Vatergeist, der in U-Bahnhöfen aus den Tunneln scheint. Einen Einblick in seine eigene Jugend finden wir in der Arbeit Youth. Ein Stillleben aus dem aktuellen Wohnzimmer des Künstlers. Dort hängt, quasi als Reliquie, ein Foto aus Teenagertagen. Er selbst, in der vordersten Reihe mit dem dunklen T-Shirt, und seine Freunde. Sie posieren mit einer Bierflasche und dem Stinkefinger, kopieren Männlichkeitsposen und Aggressionsideale, wirken aber gleichzeitig so verletzlich wie eine Boyband, die zu früh von ihrem Elternhaus getrennt auf Tournee gehen musste. Die Blume davor, eine Oxalis triangularis, auch „falsches Kleeblatt“ genannt, sieht verwelkt aus, ebenfalls wie aus einem Teenagerzimmer. „Nein, nein, die wächst ja gerade, die muss so aussehen“, beteuert Hutchinson mir gegenüber.
Auf einer Autobahnbrücke steht „Hauptstadtmafia“ und am oberen Rand einer riesigen Brandschutzmauer „Potse bleibt“. Die Potse war ein Jugendclub der linken Szene. Im September 2020 wurde das Räumungsurteil gerichtlich bestätigt. Die Jugendlichen reagierten mit Besetzung und Bettlaken. In derselben Zeit zitierte die taz den Jugendstadtrat von Tempelhof-Schöneberg, dass er eine Zwangsräumung verstehen würde. Gleichzeitig betonte er, dass sie dem Jugendclub leider kein alternatives Gebäude anbieten können.
Hutchinson schwankt zwischen Wut und Romantik, wenn er durch die Stadt zieht. Je nachdem wo er hinschaut, was er zu lesen bekommt und wo er seine Füße ablegt.
Die Bildsprache seiner Fotografien arbeitet nicht an einer Inszenierung dieser Orte und Kulturstätten. Es ist keine modische, ikonenhafte Stern-Fotografie, keine inszenierte Jeff-Wall-Fotografie und keine Überwältigungsfotografie wie die von Andreas Gursky. Paul Hutchinsons Arbeiten scheinen beiläufig und subtil. Leitmotiv ist der Entscheidungsprozess im Augenwinkel, entstanden aus dem Unterbewusstsein des sensiblen Vorbeilebens oder des Dagegenlaufens. Das erklärt auch die Präsenz von Graffiti in seinen Arbeiten. Er selbst hat keine Vorgeschichte als aktiver Sprüher, trotzdem sieht er Graffiti als Teil seiner vertrauten Kultur, in der er groß geworden ist, ästhetisch im Stadtbild und in einem sozialen Umfeld, das freundschaftliche Brücken schlägt. Auf remnants (I) wurde versucht, einen Zug zu waschen oder zumindest das Graffiti so zu beschädigen, dass sein Urheber und seine Anhänger das einstige Namensbild nicht mehr lesen können. Der trotzige Wasser- und Farbmisch wird in Wirklichkeit zur abstrakten Malerei auf einem fahrenden Bildträger.
An einer Filiale der Stadtsparkasse schrieb ein Bürger oder ein Nicht-Bürger: „Almost A Citizen“. Graffiti und politische Statements als Stadtbesetzung, ein Teil von Stadt-für-alle, ein Teil geheimer Parallelkulturen, die anwesend bleiben, die sich mit jedem Buchstaben und jedem Eingriff ins Stadtbild stärken. Hutchinson fotografiert Graffiti-Hotspots genau so wie die kleinen Schlammecken am Rande des öffentlichen Lebens, dort wo sich der Müll ansammelt, Hotspots des Unschönen. Der Mensch vermutet Bakterien und Viren, die Taschentücher möchte er lieber nicht anfassen. Plastik widersteht dem Zersetzungsprozess, nur Laub geht klanglos unter. Es sind Nicht-Orte, Nebenwirkungen der Ort-Orte. „Darum sollen sich andere kümmern, darum könnte sich ja mal die Stadt bemühen“, denkt sich der Bürger. Bevor es so weit ist, setzt sich ein Schmetterling hinein, Hutchinsons roter Faden, sein Suchobjekt. Die romantische Unschuld im Zerbrechlichen, sie fliegt von der Hauptstadtmafia neben das benutzte Taschentuch und dann wer weiß wohin. Hutchinson begegnet ihnen öfters.
Die Schuhe und Füße sind die eigenen. Der Blick nach unten gehört zum Selbstgespräch, er wird gerade dann abgewendet, wenn die anderen Stimmen mal wieder sprechen. „wach mal auf“ hörten vielleicht auch die Jugendlichen der Potse, als sie um ihre Heimatkultur kämpften. Wer in Berlin lebt, kann dies aber auch von engagierten, in die Jahre gekommenen Taxifahrern zu hören bekommen. Nicht nur in diesen Momenten, sondern eigentlich immer, wickelt man sich ein, sucht Mutterleibswärme in der Kapuze. Im Hoodie – ein wiederkehrendes Kleidungsstück in Hutchinsons Straßenszenen. Jeder hat einen, jeder weiß warum. Die Kuscheldecke für Erwachsene, weil Erwachsene ja aufstehen müssen, weil sie ja sozial aufsteigen müssen. Aber dann zumindest mit angenehm von innen angerauter Kapuze. Die Ohren und die Schläfen werden beruhigt.
Als ich Paul Hutchinson nach seinen Inspirationen fragte, nannte er einiges, vom Rap bis zu den politischen Essays von George Orwell. Aber auch die Atmosphäre in West-Berlin wie in Schöneberg, wo seine Eltern zwei Irish Pubs betrieben, prägte ihn. Wie viele Jugendliche sog auch er die Straßenluft auf, und zwar mit allem, was dazugehörte. Selbst den „Straßen-Stress“, ihn zu haben und ihn zu machen. Ein Erwachsenwerden zwischen dem Drang, raus in die weite Welt zu müssen, aber dafür nur begrenzte (finanzielle) Mittel zur Verfügung zu haben.
Eine andere Arbeitsserie sind die Siebdrucke. Seine Fotos bekommen hier schwarz-weiße Körnungen. Sie wirken wie leicht fusselige Papieroberflächen, deren angeraute Substanz dem fotografischen Bild eine malerische Unschärfe verleiht. Erkennt man in einem angemessenen Abstand das Motiv, wird die graue Tiefe aus der Nähe zu einer fleckigen Komposition im Nebel, die dem Auge mystische Bildrätsel aufgibt. Darüber seine Handschrift, in Gelb. „Schulblock-Graffitis“, witzeln seine Freunde über Hutchinsons Typografie. In der Tat spielt er hier mit Konnotationen aus der Straße, aus der Toilettenkabine, aus dem karierten Schulblock. Auch hier wieder: „Wach mal auf junge wach mal auf“, vor einer gefliesten Wand in einer Berliner U-Bahnstation. Die Uhr ist abgeschnitten. „the way you look at me smiling while I’m losing my vision“ steht auf dem Bild mit den zwei Kastanien, die in einer Hand liegen. Wer guckt ihn an? Die sich verändernde Stadt und ihre Immobilienwirtschaft schauen bestimmt herüber. Dann bringen die zwei Kastanien auch nichts mehr, selbst ein Männchen kann man nicht daraus basteln. Was bleibt, ist eine romantische Kindheitserinnerung.
Die Großstadtromantik ist ein präsentes Gefühl in Hutchinsons Arbeiten. Sie findet sich unter lockeren Pflastersteinen, in den matschigen Randgebieten, in der dunklen Kapuze. Aber auch der graue Himmel, Berlins graues Licht ist romantisch. Eine Hass-Liebe zu diesem Licht, das Heimat bedeutet. Zumindest das ändert sich nicht, zumindest darin behält die Vision ihre ursprüngliche Farbe. Verständlich, dass seine Fotografien nie wirklich bunt sind. Ein Schatten legt sich über alles und kennzeichnet die Stadt als geliebtes Berlin. Der einzige Ort, an dem auch die Schmetterlinge mit einem wohligen Graustich umherflattern.
published in "wach mal auf junge wach mal auf" (exh. cat.), Sies + Höke, 2021
Umbigo x Paul Hutchinson
in conversation with Josseline Black
JB: Has your artistic practice changed through isolation?
PH: In a way it does affect my work, because usually I would be surrounded by more people, and therefore more people would appear in it. Now, it’s more secluded in the way that I am spending more time with my family and my girlfriend and her kids, and there is less social interaction outside of that. On the other hand, the energy goes elsewhere. So I don’t really mind. From the beginning of March to the beginning of May we had a pretty tight lockdown here in Germany. But I personally found it calming as, usually, I would have to travel a lot for work and meet people and the lockdown provided space to refocus my energies. I continued working 5 days a week, wrote more, finished a book design.
JB: What is your approach to collaboration at the moment?
PH: I don’t really work on any particular collaborative project at the moment but a lot of my work comes to life through conversations I have with family and friends. Things I think about in my daily life. I guess that’s my form of ongoing collaboration. Dialogue is really essential to me.
JB: With your book Pictures and Words (2018) did you generate the text out of dialogue?
PH: No, the texts don’t stem from dialogues. But, similar to my photography, a lot of my writing happens on the go, in the ubahn, on the bus, while I’m traveling – it can be two words or two hundred that I note down. I have an archive email address I send these texts to. And then I’d usually start further working on them / with them whenever I find time and purpose to do so: a book project, a reading, a magazine contribution. A lot happens subconsciously. There is a good term in German, Kunstwille. Aiming for something to be art. And I try to refrain from that and let the work come of itself, not to force it too much. I think art shouldn't be about the desire to make work, but about the work itself.
JB: How would you define the present moment, metaphysically/literally/symbolically?
PH: I guess we’re experiencing a point of transformation in the world. And to be honest I am optimistic about that. A lot of things weren’t going too well in the world, I believe. And maybe it wasn’t so obvious to people. But now due to the pandemic some things have become more visible. The gain of few due to the work of many – seems ever more apparent. That’s painful. But I think people can actually learn from that, and try to make a change. Not wanting to disregard the obvious suffering and many negative things this pandemic causes. But I do think this can also be a time of optimism.
JB: Do you see the potential for renewed support for cultural production in spite of macro and micro economies which are currently rapidly restructuring?
PH: Being in Germany…we are very lucky to be here. I received a grant on behalf of Corona, which really helped me, whereas in other countries people don’t get anything. But within that privileged context, I think the problem lies elsewhere: The opportunities for creative production are still relatively hard to reach and elitist within German society. And therefore such an occupation can seem far-away and mysterious to people of the general public. Though we receive a lot of appreciation from the state as practicing artists, by means of funding opportunities, free higher education, healthcare infrastructure, I think it’s almost more important to break down the borders between the supposed „Elfenbeinturm“ (ivory tower) of artistic production and other members of society. We are all workers, essentially. And there’s no mysticism behind, for example, what I do.
JB: How do you feel this time is influencing your perception of alterity in general?
PH: I think at the moment it’s a little difficult actually because people increasingly rely on media from their own bubble, fed through often commercially minded algorithms. So, less and less people are they faced with things they don’t know. This is dangerous because through social media you can easily fall into the trap of only seeing your own thought reflected. Particularly at times like these when one relies so much on digital media, people need to face the other, the unknown. I think being aware of the things you don’t know, your own blindspots and fallibility, is ever more important as unlimited to access to information can easily create an illusion of knowledge.
JB: Is there a connection between working with portraiture and solidarity?
PH: Yes, I think that connection is empathy. Actually that’s a really important word within visual discourse, especially photography. I wouldn’t say I could make a good image of someone that I despise. I can only make a good image of people that I feel close to or that I have some admiration for. That needs to be the baseline for me to work. Once in a while, however, I get the opportunity to steer away a little from my usual mode of making portraits. For example, last Autumn I was asked by the Münchener Kammerspiele theatre in Munich, which is a very well known, politically active theatre and to portray their actors. I was flattered by the invitation and met 32 people there who I previously didn’t know. Within an hour or an hour and a half each, I would have to establish some kind of personal connection to justify my particular way of trying to make a valid representation of someone. So that was really interesting. Some of these encounters where really touching and I believe you can tell in the images. But that’s an extraordinary situation obviously.
JB: Your most recent publication, Stadt für Alle (transl. City for All), can you speak a bit about it’s content?
PH: While I was working on it, it carried the working title “Ugly baby”. It’s 240 pages thick but relatively small in dimensions, a mono-thematic investigation. It basically looks at the changes we are experiencing in society, mainly taking as example the gentrification of inner city Berlin: A lot of previously state-owned property was sold off in the early 2000s because the city was broke. The results of that we are experiencing today with investors building plastic luxury real estate and invading large parts of the inner city. In turn, rents skyrocket on regular flats. A few years ago I noticed myself photographing these construction sites, and the architecture of these buildings some of which I find highly questionable. These kinds of images accumulated over time, and in 2019 I realised that I had to do something with them. It took another year to gather funding and finish my working on the texts that are also included in the book. Stadt für Alle raises the question of who the city is built for. Overall I guess it’s a pretty well-known and somewhat pathetic narrative any major metropolis goes through from time to time. Just with Berlin I obviously feel personally affected as I witness my own culture being pushed out. And the velocity of this happening seems so particularly vulgar. Famously liberal values being turned into neo-liberal competition.
JB: What is your utopia now?
PH: Hard to say but I guess my utopia is a sense of justness. There will always be a certain divide, and I don’t want to seem too naive, but even in my short lifespan I’ve seen the gap between rich and poor widening, especially in urban contexts, and I want to question that. I lived in London for 2.5 years and I’ve seen what an increasingly profit-driven system can do. I simply don’t think it’s healthy for people, even people with money. And I want to question what that system does to me, my body, how it pulls apart my home. Upholding these values and questions within the art world is obviously difficult, too. Another system whose mechanism are questionable. But on the other hand there will always be money involved and wealthy individuals, institutions or the state will have to support practitioners without monetary means. I fully believe that, eventually, a healthy discourse is beneficial for society as a whole and that that kind of investment will pay off at some stage. Despite my earlier criticism, I always felt that Britain, for example, is great at making art accessible to the public and tearing down supposedly intellectual barriers and this inherent perception of class I often feel in Germany. Then again, here we have the system of the Kunstvereine in Germany, which are great for critical discourse and showcasing voices that might be overlooked by larger institutions. I guess everyone tries their best in their own way.
JB: What are you reading at the moment?
PH: I‘m currently looking at the journalistic side of Gabriel Garcia Marquez’ writing. He is similar to Orwell in that way that they both were mainly journalists, which I find really interesting. Both their writing is really easy to read and I find it really enjoyable, especially the non-fiction. There is another book, only recently published, on Marquez’s speeches. It’s only a tiny book, a compilation of speeches he held all over the world. It’s full of humor and warmth and to me it’s really inspiring how he manages to disguise his thinking on social injustice and class somewhere within that. He basically does the same in his prose writing. After all, I guess that’s something I try to do with my work as well – provide somehow appealing hints that tempt people into thinking about the larger issues we’re all facing.
Interview: Josseline Black, February 2021
no need to be silent
Press text
Bringing together works from his latest publication “Stadt für Alle" (Distanz, 2020) with further topics of his practice, “no need to be silent" portrays urban life through the inquisitive and politically driven observations of the artist.
Purposefully created systems of signifiers are revealed that raise questions of class differentiation and social inequality, whilst maintaining an air of dreaminess and fragility. As a counterpoint to his photographic endeavours, the show premieres a sound installation created on the basis of Hutchinson's writing. Taken from one of these recent texts, the title of the show “no need to be silent" refers to the underlying sentiment of opposition and revolt, the questioning of alleged authorities – a thread that runs through much of Hutchinson’s work.
In dieser Ausstellung bringt Paul Hutchinson Werke aus seiner letzten Publikation „Stadt für Alle“ (Distanz, 2020) mit weiterreichenden Themen seiner Arbeit zusammen. „no need to be silent“ porträtiert urbanes Leben durch die wissbegierigen und politisch geprägten Augen des Künstlers.
Bewusst erschaffene Referenzsysteme werden offenbart, die Fragen über Klassenaufteilungen sowie soziale Ungleichheiten aufwerfen, wobei eine gewisse Aura der Verträumtheit und Zerbrechlichkeit bewahrt wird. Als Gegenpol zu seiner photographischen Praxis zeigt die Ausstellung erstmalig eine Audio-Installation, welche auf Hutchinsons lyrischen Arbeiten basiert. Der Titel der Show, „no need to be silent“, wurde aus einem seiner jüngsten Texte entnommen und bezieht sich auf das unterschwellige Gefühl der Opposition und Revolte, das In-Frage-Stellen von vermeintlichen Autoritäten – ein roter Faden, der sich durch Hutchinsons Arbeiten zieht.
Der Fotokünstler Paul Hutchinson durchdringt die Stadt so wie sie ihn
Beate Scheder
Am S-Bahnhof Yorckstraße, ungefähr da, wo Kreuzberg in Schöneberg übergeht, steht er, der vielleicht hässlichste Neubau Berlins. Und er spricht sogar mit einem: „who are you" steht in schwarz-grünen Lettern auf der steingrauen Fassade. Die eigene Antwort gibt er ums Eck gleich selbst: „More than a Gym". Der Künstler Paul Hutchinson hat ihm ganze fünf Seiten in seinem Buch „Stadt für Alle“ gewidmet, diesem Sinnbild für den oft ziemlich geschmacklosen Bauboom Berlins. Hutchinson hält den rasanten Wandel der Hauptstadt mit seinen Fotografien schonungslos fest. Er richtet die Kamera auf Baustellen, die wie Mondlandschaften aussehen, in aufgerissene Gruben auf Absperrband und Bauzäune, Gerüste, Kräne, Bagger in Nahaufnahme, auf Graffiti und Werbeplakate mit Architekturrenderings und Lockbotschaften für ein betuchtes Klientel: ,.Wo Architektur zum Meisterwerk wird." Geboren ist Hutchinson 1987 in Berlin, aufgewachsen in Schöneberg 30, dort, wo Magnolienblüten vor Satellitenschüsseln blühen und das Herbstlaub in Pfützen vermatscht. Geprägt davon fühlt er sich bis heute: „egal was ihr wollt/ oder was da steht auf dem papier / ihr kriegt schöneberg nord / nicht raus aus mir“ Hutchinsons neues Buch durchzublättern ist ein wenig so, als leihe man sich seinen Blick aus, auf der Suche nach kleinen Dingen um sich daran festzuhaken. Oft sind es die wiederkehrenden Details der fortschreitenden Gentrifizierung. ,,Stadt für Alle" ist ein Titel wie ein Slogan, den aktivistische Gruppierungen an luxussanierte Gebäude sprühen. Hutchinsons eigene Texte, die sich über die Seiten ziehen, sind mal auf Deutsch, mal auf Englisch, ohne Rücksicht auf Interpunktion oder Groß- und Kleinschreibung notiert, so rhythmisch wie Rap-Lyrics, poetisch und politisch zugleich. Wem gehört die Stadt? Einer wie Hutchinson lässt sie sich jedenfalls nicht nehmen: ,,kopfhörer rein, jacke zu, kapuze auf / raus / komm schon junge lauf".
erschienen in monopol, Dezember 2020
Stadt für Alle
Press text
How do we want to live in the future?
Paul Hutchinson’s (b. Berlin, 1987; lives and works in Berlin) work conveys an intimate and unvarnished perspective, rendering the imperfections, incidental details, and human facets of urban culture. Fleeting moments and encounters often act as a base for his critical photographic practice.
The central protagonists in his most recent project, titled Stadt für Alle (transl. City for All), are countless cranes, excavators, and construction signs. These are the tools that power the remaking of any city’s urban fabric – here Berlin mostly sets the example. Building pits constitute the foundation for farewells and new beginnings. Advertising banners for luxury developments vie against protest placards hanging limply on the façades of older buildings. The artist has compiled a pictorial atlas that prompts reflections on the transformation of the city and thereby gives form to the advancing gentrification, the constant feeling of threat and the increasing loss of inner city street culture. Hutchinson’s writing complements the deft visual analysis of these processes: “The way you look at me, smiling while I’m losing my vision” is one such observation that, in conjunction with his images, opens up a space for interpretation and a probing inquiry into what urban life will mean in the future.
Wie wollen wir in Zukunft leben?
Die Arbeit von Paul Hutchinson (geb. 1987 in Berlin, lebt und arbeitet in Berlin) ist intim und unverstellt. In seinen Fotografien zeigt er das Imperfekte, Zufällige und Menschliche urbaner Kultur. Oft sind es flüchtige Momente und Begegnungen, die eine Grundlage für seine kritische Praxis bieten.
In seinem jüngsten Projekt Stadt für Alle sind unzählige Kräne, Bagger und Baustellenschilder die Hauptprotagonisten. Sie sind das Werkzeug für den Umbau von Großstadtkulissen – hier vor allem am Beispiel Berlin. Baugruben agieren als Fundament für Abschied und Neuanfang. Werbebanner für Luxusimmobilien konkurrieren mit Protestplakaten, die müde an ausgewaschenen Altbaufassaden hängen. Entstanden ist ein Bilderatlas, der den Wandel von Stadt und die voranschreitende Gentrifizierung kommentiert und damit dem konstanten Gefühl von Bedrohung und dem Verlust von Straßenkultur im innerstädtischen Raum, eine Form gibt. Prozesse, die Hutchinson textlich begleitet. „The way you look at me, smiling while I’m losing my vision“ ist einer dieser Verse, die er mit seinen Bildern verschränkt: ein Interpretationsraum, der uns fragen lässt, was Stadt in Zukunft bedeutet.
www.distanz.de/stadt-fuer-alle
»My work contains the culture I come from.«
Interview with Dr. Sylvia Metz for Collectors Agenda
In his photographs and texts, Paul Hutchinson addresses issues of equality, urban life, and social mobility. In doing so, he gives his generation a unique voice and at the same time draws a bittersweet portrait of our time. We spoke with him in his Berlin studio about his unusual path, the harsh Berlin winters, and his artistic practice not the least part of which is an intention on his part to discourage exclusion and class differentiation.
Paul, you were born in 1987 and, as you once put it yourself, “grew up in the gray post-war Berlin of the nineties”. Doesn’t really sound like a good time, does it?
That’s a pointed phrase of mine. In retrospect, I would say that I had a fulfilling, warm, and loving childhood. But what also corresponded to the reality of our lives was the fact that some of us grew up in precarious circumstances. The environment in the north of Schöneberg was rough, especially in our youth. Everybody was hanging around on the streets, getting into trouble at school, smoking pot, waiting for hours for some guy selling weed to show up, there was also violence. Back then, you always put on a kind of armor when you went out, especially in winter. Hanging out at Kleistpark, at Potsdamer Straße, at the Pallas... there will also be conflict. These are the themes of my early teens.
Have you lived in the “Pallas(seum)” yourself? The apartment block often appears in your early photos.
No, my parents live around the corner – in Goltzstraße, which is not aggressive at all, but rather pleasantly lively and still has a bit of old West Berlin charm. But as kids we naturally hung out where something was going on. Pallas was one of these anchor points because that’s where the action was. The building itself is quite crazy – built on top of an old bunker. Looking back, each cultural imprint was also important in this context. I have a German-Irish background, am halfway immigrant kid. I’m a dark type, black-haired, which was not a completely unimportant detail at the time. Many people in that area have a Turkish, Arab or broader Muslim background. Most of my friends are children of Polish immigrants. Culturally, these are obviously huge differences. Some collided in our youth, and some were irrelevant. Basically, almost everyone came from somewhere else. At some point, however, the various groups split off more and more from each other.
That doesn’t sound like an environment where people say: “I want to become an artist later!” How did that change, how did you get into art?
It just happened over time, really. Early on, I felt the need to get out and see more of the world than just Schöneberg North. Maybe it has something to do with the fact that as a kid I spent a lot of time in Ireland. And also I had the opportunities: I graduated from high school, I could always work, I have a German passport that enables me to access the world and scholarships and grants. After what I call a small, “chaos phase” in my early teens, I developed an awareness of my situation and I realized that if I wanted to get out, I could do it. I could apply to 100 different things and get 90 rejections. But maybe 10 would work out. And it had nothing to do with art in the first place, but with the idea of travel. I always wanted to see the world. And somehow I’ve always found a way to receive funding for it. In the last ten years, I must have spent about four or five years abroad, and since then I’ve been an expert at writing applications.
But first you stayed in Berlin and studied Social and Business Communication at Berlin University of the Arts (UdK). When did art come into your life?
After my A-levels and a first stay abroad, I completed an internship in the design department of an advertising agency. We used to do a little tagging and I thought it might be related somehow. That’s how I came to the UdK and saw for the first time that people make art and speak about art. Previously I had never really been in touch with something like that.
You have been to Rio de Janeiro, Bangalore, and many other places. How did you get there?
During my six years of study I tried to fill the semester breaks with things that made sense to me. That’s why I was always on the lookout for sponsored projects and activities abroad. Through various programs and engagements, e.g., through the Goethe Institute, the DAAD, PROMOS, Erasmus, I was in India twice, Latin America three times, and a year in Spain. In Rio de Janeiro, for example, for two months we gave photography workshops for socially disadvantaged young people in the favelas in a team of four through the program ASA – Engagement Global. In 2010, I spent three months in New York assisting Magnum photographer Steve McCurry and survived that summer thanks to One Dollar pizza slices. Things like that. During the entire time, my inner curiosity and social aspects – learning about the world and about myself – were what mattered to me. The artistic work came gradually. In the beginning, I thought I would never really succeed with that. However, in 2012, I moved to London and, with the help of Bafög and DAAD funding, I was able to do a Masters degree in Photography at Central Saint Martin’s School of Arts and Design. Since then I started to take my work more seriously. In London I also met Wolfgang, Wolfgang Tillmans that is, whom I worked for while studying and afterwards back in Berlin, too – assisting in book making and some other projects. That obviously also had an influence.
What was the moment when you realized that there was no longer a plan B, that this is not a hobby, this is me?
In fact, the feeling of knowing that I am able to do this and also having a sense of integrity about it, claiming it as my own and not just repeating the patterns of others, came in retrospect rather late, after the completion of my studies, during the last three or four years. Of course there are still references, but I believe that I have developed my own language and a discourse that stands for itself. If anyone asks me today what I do for a living, I answer: I’m an artist. That’s not so easy and natural in photography, I think. For me, it really had a lot to do with recognition from outside. To a large degree my self-reflection was initiated by others, by the way my work was perceived and how it touched people. I first had to develop a lot of work in order to convince myself that it came out of me and was authentic and not copied or in any way derivative.
What does it mean to you to photograph?
Today, as then, photography to me is always about a consciousness of “being in the world”. It is a possibility of reflection. I am here. I am doing and experiencing this. I experienced traveling through writing and through photography. At first it had nothing really to do with the pictures. As I said, I was guided by an inner curiosity about the world. And taking photographs was only a symptom of this attitude. I have a healthy body and a mind that works well, and I have the privilege of this German passport. So, here we go.
When did you start writing? As a counterpart to photography?
For the last three or four years I’ve kept what I have written. I’ve been writing for a while, but it’s only recently that I’ve afforded it space and allowed myself to take my efforts seriously; it was a similar process with my photography. I had never really felt represented in contemporary German literature, neither as the person that I am nor in the culture that I come from. With all these books and texts, I was unable to see myself in them, hear my language or the language of the people that surround me. So I felt an urge to address this and tried to find words of my own.
What has been your most important literature project so far?
In 2017, I was invited to exhibit at the Deutsche Oper Berlin; that was very cool. Once a year they invite an artist to show work in the context of this the super beautiful building, exemplifying modernism, designed by Fritz Bornemann in the 1960's. I felt very honored. And this was the first time that I worked with my texts in an exhibition. The show was presented over the three floors of the foyer. Opposite these floors within the building are two freestanding walls which extend over the 12 meters [approximately 40 feet] height of the building. I had the idea of placing two of my texts on each of these walls, which the audience would then encounter as they entered the auditorium. I especially liked this thought since my texts are rather rough; a contrast to what we might expect in a place of presumed high culture. I put forward the concept to the Deutsche Oper team and they were very open and supportive of the idea, an openness I still appreciate today. Ultimately, stage construction professionals installed the plotted texts, which are about 10 meters [about 33 feet] high on each of the walls. Initially I felt uneasy about how the audience would respond, but fortunately we received very positive feedback, which I was really pleased about, because it was an experiment, and the lyrics hung there for a further ten months.
You also did a project on Hip-Hop, in Bangalore.
Right. That was also my first major publication. In 2015, in the context of an artist residency at the Goethe Institute, I was there for a month. In retrospect, it was there that I started to consolidate my voice and my artistic practice. At the time, my feeling was: I want to talk about things that touch and interest me and I want to have contact with people with whom I can share something. There was an active hip-hop scene in Bangalore. Through the Goethe Institute a first contact was established and I specifically got along very well with a circle of friends right away. In the end, I spent the month mainly with them. The people were super open and inviting, took me to some rap and breakdance sessions, and we experienced a few other things together. I wasn't really interested in documenting something as such, I was just impressed by the people and their attitude towards me and these positive feelings resulted in pictures.
Sounds like something happened to you in India, would you say that? Yeah, maybe. At the beginning of my work I was unsure, now I can say: for example, I can't photograph people I dislike.I just don't do that. It wouldn't result in anything good. And so it started, among other things, in India that I learned to trust this natural intuition. In the last years, I listened more and more to my inner voice and in the process my work became more precise and, simply, better, because I managed to be more honest to myself.
How did you end up photographing butterflies? Is the butterfly series (2016) ironic or socially critical?
Ironic, yes but critical of society, no. The series was largely created in Asia. It is about the connection between nature and urban space, and about poetry. It's a side story that came into being precisely because I followed my feelings, quite intuitively. I wanted to allow myself to do something like that. It's a small nuance of what corresponds to my work in the larger context: to see a certain fragility and beauty in something rough.
The work is great and at the same time really brave, because you balance the series at the borderline of kitsch.
Yes I know – and it can lose balance really quickly. In retrospect, it was the right exercise, walking on that border, on this fine line. That’s where it gets interesting. If I only worked clean and factual, my artistic production would be lifeless. And that is not me. But hanging pink butterflies everywhere is obviously also mindless. I am interested in the combination of the two.
What does a day in your artistic practice look like? Do you get up in the morning and decide: today I make art?
No, I don’t think like that. Every day of the week is a normal working day. For me, the most demanding aspect is to organize the work. Writing e-mails, assigning inventory numbers, making sure that the production is right, that the galleries have what they need and so on. Everything else is intuition. I do a lot of creative things on the side, unconsciously and unfiltered. For example, I often write texts on the side, in the subway, 400 words at once when some thought enters my mind, totally rough. I send them to my own archive e-mail address and edit them later. This can happen up to a year later. Generally, I produce a lot of material, and then filter it at some stage. And then in a the second step analyze what my impulses have made me do. I would say that this filtering is actually my artistic practice. When I cognitively force myself to produce something, then you often see the artistic will in the work, the Kunstwille, and I try to avoid that. Being free, being in flow – that’s a good description of my work. If I know I can let go, it doesn’t really matter where I am.
Are the books, in which you publish both your photographs and your texts to be understood as a Gesamtkunstwerk? Are they each an expression of the same artistic need, only in two media?
The two media stand for themselves. Both my texts and my images must function individually when they stand on the page. Nonetheless, they discuss similar themes and have a similarly rough and at the same time bittersweet form of articulation, both visually and rhetorically.
A detail, no matter how small, gets maximum attention in your photographs. Where does this eye for the “beside”, for the unspectacular come from?
I find that small details can also be used to illustrate larger statements about our world. For example, the new motif I am currently thinking about: The shoe that almost steps on a flower. For me this is a political act. Or the picture of my old Reebok sneaker: it contains so many aspects of the culture I stem from. And every boy on the street could relate to that. The tough Berlin winters that have worn this shoe down twice, hip hop, street culture, aggression. However, this picture is titled “vorwärts” (transl.: onwards). So it’s also about social mobility, about a how do we get out of here, where do we go, motion, progress. A large part of my work and of my thinking is concerned with class differentiation, the questioning of alleged authorities, rebelling at feelings of exclusion. Surely, people with an affinity for art can decode certain images easily, as they have more access, more practice and knowledge in doing so. But I am concerned with people of my background – people without academic parents or much financial security – who should also be able to access these pictures and words, and read them and maybe see something touching and relatable in them. If I can get even a little bit closer to that with images like vorwärts, then I know what I am doing my work for.
»In meiner Arbeit steckt die Kultur drin, aus der ich komme.«
Interview mit Dr. Sylvia Metz für Collectors Agenda
Paul Hutchinson (*1987) thematisiert in seinen Fotografien und Texten gesellschaftliche Unterschiede, urbanes Leben und soziale Mobilität. Damit verleiht er seiner Generation eine einzigartige Stimme und zeichnet zugleich ein bittersüßes Porträt unserer Zeit. Wir haben mit ihm in seinem Berliner Atelier über seinen ungewöhnlichen Weg, den harten Berliner Winter und seine künstlerische Praxis gesprochen, mit der er nicht zuletzt Mut gegen Ausgrenzung und Klassendifferenzierung machen will.
Paul, du bist 1987 geboren und, wie du es selbst einmal formuliert hast, „im grauen Nachwende-Berlin der Neunzigerjahre aufgewachsen“. Klingt nicht so richtig nach einer schönen Zeit, oder doch?
Das ist zugespitzt formuliert von mir. Ich würde rückblickend sagen, dass ich eine erfüllte, warme Kindheit mit viel Liebe hatte. Was aber auch der Lebensrealität von uns entsprach, war die Tatsache, dass einige von uns in prekären Verhältnissen aufgewachsen sind. Die Umgebung im Schöneberger Norden war rau, besonders in der Jugend. Alle hängen auf der Straße rum und machen Blödsinn, haben Stress in der Schule, kiffen, warten stundenlang auf irgendwelche Ticker, es gibt auch Gewalt. Früher hat man beim Rausgehen immer eine Art Panzer aufgesetzt. Grade im Winter. Am Kleistpark abhängen, Potsdamer Straße, am Pallas ... Da gibt’s halt auch Stress. Das sind die Motive meiner frühen Jugend.
Hast du selbst im „Pallas(seum)“ gewohnt? Der Wohnblock taucht oft in deinen frühen Fotos auf.
Nein, meine Eltern wohnen dort um die Ecke – in der Goltzstraße, die gar nicht aggressiv, sondern eher angenehm belebt ist und noch ein bisschen alt Westberliner Charme hat. Aber als Kids haben wir natürlich da rumgehangen, wo was los war. Der Pallas war einer dieser Ankerpunkte, weil sich um ihn rum viel abgespielt hat. Das Gebäude selbst ist natürlich irgendwie auch verrückt – so auf einen alten Bunker draufgebaut. Und, klar, die kulturelle Prägung war in dem Zusammenhang auch wichtig. Ich bin zur Hälfte Einwandererkind, habe einen deutsch-irischen Hintergrund. Ich bin ein dunkler Typ, schwarzhaarig, was zu der Zeit kein komplett unwichtiges Detail war. Viele Leute in der Gegend stammen aus einem türkischen oder arabischen bzw. muslimischen Kontext. Ein Großteil meiner Freunde sind Kinder polnischer Einwanderer. Das sind kulturell natürlich alles riesige Unterschiede, die in der Jugend zum Teil aufeinanderprallten, zum Teil aber auch egal waren. Klar war eigentlich nur: Jeder kam irgendwo anders her. Irgendwann haben sich die Gruppen dann allerdings mehr und mehr voneinander abgespaltet.
Das klingt insgesamt nicht so nach einem Umfeld, in dem man sagt: „Ich möchte später Künstler werden!“ Wie hat sich das gewandelt, wie kamst du zur Kunst?
Das hat sich so ergeben. Ich hatte früh das Bedürfnis, raus zu wollen und mehr zu sehen von der Welt als nur Schöneberg-Nord. Vielleicht hat das auch was damit zu tun, dass wir als Kinder viel in Irland waren. Und auch die Möglichkeiten, die ich hatte: Ich hab Abi gemacht, konnte immer arbeiten gehen, habe einen deutschen Pass, der mir die Türen in die Welt und zu Stipendien und Förderungen öffnet. Nach einer, ich nenne es mal, kleinen jugendlichen „Chaosphase“ habe ich dafür ein Bewusstsein entwickelt und dachte, wenn ich raus will, kann ich das hinkriegen. Ich kann 100 Bewerbungen schreiben und kriege 90 Absagen. Aber bei zehn kommt vielleicht was Positives zurück. Und das hatte in erster Linie nichts mit Kunst zu tun, aber mit der Vorstellung vom Reisen. Ich wollte immer die Welt sehen. Und irgendwie habe ich immer einen Weg gefunden, dass mir das finanziert wurde. In den letzten zehn Jahren war ich bestimmt vier, fünf Jahre im Ausland und seitdem bin ich Profi im Anträge- Schreiben.
Aber erst mal bist du in Berlin geblieben und hast an der UdK Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation studiert. Wann kam die Kunst in dein Leben?
Nach meinem Abi und einer ersten längeren Reise habe ich ein Praktikum im Designbereich einer Werbeagentur gemacht. Wir haben früher ein bisschen getagged, und ich dachte, das hängt vielleicht irgendwie zusammen. Dadurch kam ich anschließend zur UdK und habe dort dann zum ersten Mal gesehen, dass Leute Kunst machen oder sich mit Kunst beschäftigen. Davor hatte ich nie wirklich damit Berührung.
Du warst bereits in Rio de Janeiro, Bangalore und an vielen anderen Orten. Wie bist du dort hingekommen?
Während der insgesamt sechs Jahre Studium habe ich probiert, die Semesterferien mit irgendwas für mich halbwegs Sinnvollem zu füllen. Deswegen habe ich immer Ausschau gehalten nach geförderten Projekten und Aktivitäten im Ausland. Durch verschiedene Programme und Engagements, wie z. B. über das Goethe-Institut, den DAAD, über das PROMOS und Erasmus, war ich zweimal länger in Indien, insgesamt dreimal länger in Lateinamerika, ein Jahr in Spanien. In Rio de Janeiro haben wir z. B. für zwei Monate in einem Vierer-Team über das Programm ASA – Engagement Global Fotoworkshops für sozial benachteiligte Jugendliche in den Favelas gegeben. Ich habe 2010 drei Monate in New York verbracht, um dem Magnum-Fotografen Steve McCurry zu assistieren, und diesen Sommer dank der 1-Dollar-Pizza Slices überlebt. Solche Geschichten! Während dieser ganzen Zeit standen für mich Neugierde und auch soziale Aspekte – ein Lernen über die Welt und auch über mich selbst – im Vordergrund. Das mit der künstlerischen Arbeit kam dann erst so Stück für Stück. Das hätte ich mir anfänglich nie zugetraut. Letztendlich habe ich 2012 meinen Lebensmittelpunkt nach London verlagert und konnte mithilfe von Bafög und einer Förderung des DAAD an der Central Saint Martins School of Arts and Design noch mal Fotografie resp. Foto-Kunst studieren. Seitdem nehme ich das alles ernster. In London habe ich auch Wolfgang kennengelernt, Wolfgang Tillmans meine ich, für den ich dann während des Studiums und auch danach in Berlin gearbeitet habe – hauptsächlich im Rahmen von Buchprojekten und einigen anderen Sachen. Das hat natürlich auch einen Einfluss gehabt.
War das der Moment, in dem du gemerkt hast, jetzt gibt’s keinen Plan B mehr, das ist kein Hobby, sondern das bin ich?
Tatsächlich hat sich das Gefühl, zu wissen, dass ich das kann und darin auch eine Ehrlichkeit habe, was Eigenes besitze und nicht nur Muster von anderen wiederhole, erst ziemlich spät eingestellt. Rückblickend betrachtet, erst nach dem Studium, in den letzten drei vier Jahren. Natürlich gibt es immer noch Referenzen, aber ich glaube, inzwischen eine eigene Sprache und Aussage entwickelt zu haben, die für sich stehen. Wenn mich heute jemand fragt, was ich beruflich mache, sage ich inzwischen: Ich bin Künstler. Das ist gar nicht so einfach und selbstverständlich bei der Fotografie, finde ich. Bei mir hatte das tatsächlich auch viel mit Anerkennung von außen zu tun. Meine Selbstreflexion wurde in großen Teilen durch andere angestoßen, dadurch, wie meine Arbeit bislang wahrgenommen wurde und wie sie Menschen berührt. Ich musste erstmal viel entwickeln, um mich selbst davon zu überzeugen, dass das aus mir herauskommt und wirklich echt und nicht abgeguckt oder geschummelt ist.
Was bedeutet es dir, zu fotografieren?
Heute wie damals ist das Fotografieren für mich immer auch ein Bewusstsein über das „In-der-Welt-Sein“. Es ist eine eigene Reflexionsmöglichkeit. Ich bin hier, ich mache und erlebe das gerade. Die Erfahrungen des Reisens z. B. – das ging bei mir zum einen übers Schreiben, aber eben auch über das Fotografieren. Es hatte anfangs gar nichts mit den Bildern an sich zu tun. Ich wurde, wie gesagt, geleitet von einer inneren Neugierde der Welt gegenüber. Und das Fotografieren war nur ein Symptom dieser Einstellung. Ich habe einen gesunden Körper und einen Geist, der funktioniert, und ich habe das Privileg von diesem deutschen Pass. Also, los geht’s.
Wann hast du mit dem Schreiben angefangen? Parallel zum Fotografieren?
Seit drei, vier Jahren behalte ich, was ich schreibe. Ich schreibe schon länger, aber gebe dem jetzt erst einen Raum und nehme mich darin ernst. Es war ein ähnlicher Prozess wie bei den Bildern: Ich hatte mich selbst oder die Kultur, aus der ich komme, in zeitgenössischer, deutschsprachiger Literatur nie wirklich repräsentiert gefühlt. Bei all den Büchern und Texten konnte ich meine Sprache und meine Leute nicht hören und hab mitunter deswegen ein Bedürfnis entwickelt, selbst Worte zu finden.
Was war dein bislang wichtigstes Literaturprojekt?
2017 wurde ich eingeladen in der Deutschen Oper in Berlin auszustellen, das war schon sehr cool. Die laden einmal pro Jahr eine*n Künstler*in ein, das super schöne, von Fritz Bornemann in den 1960er-Jahren gebaute Gebäude – Modernismus – zu bespielen. Ich habe mich sehr geehrt gefühlt. Und das war das erste Mal, dass ich in einem Ausstellungskontext mit meinen Texten gearbeitet habe. Über drei Foyer-Etagen wird die Ausstellung präsentiert und diesen drei Etagen gegenüber liegen im Inneren des Gebäudes zwei große, frei stehende Wände, die sich über die 12 Meter Höhe der Oper ziehen. Die Idee entstand, auf diesen zwei Wänden zwei meiner Texte anzubringen, denen das Publikum dann auf dem Weg zum Opernsaal begegnen würde. Ich mochte die Vorstellung natürlich, weil meine Texte eher rough sind und wir uns dort an einem Ort vermeintlicher Hochkultur befinden. Ich habe dem Team der Deutschen Oper das Konzept vorgeschlagen, und sie waren super offen und haben diese Art Spannung sogar befürwortet, was ich bis heute sehr zu schätzen weiß. Letztendlich haben dann professionelle Bühnenbauer die circa zehn Meter hohen, geplotteten Texte auf den beiden Wänden angebracht. Und ich war für einen Moment erst mal peinlich berührt. Wir haben zum Glück ein positives Feedback seitens des Publikums erhalten, was mich auch wirklich gefreut hat, da es ein Experiment war und die Texte dort schließlich zehn Monate hingen.
Du hast auch ein Projekt über Hip-Hop gemacht, in Bangalore.
Genau. Das war auch meine erste größere Publikation. 2015 war ich, im Kontext einer Artist-Residency des Goethe-Instituts, für einen Monat dort. Da ging es, rückblickend betrachtet, los mit dem Festigen meiner Stimme und meiner künstlerischen Praxis. Das Gefühl damals war: Ich will über Dinge reden, die mich berühren und interessieren, und mit Leuten Kontakt haben, mit denen ich etwas teilen kann. In Bangalore gab es eine aktive Hip-Hop-Szene. Durch das Goethe-Institut wurde ein erster Kontakt hergestellt, und ich habe mich spezifisch mit einem Freundeskreis auf Anhieb sehr gut verstanden. Letztendlich hab ich den Monat dort hauptsächlich mit denen verbracht. Die Leute waren super offen und einladend, haben mich zu einigen Rap und Breakdance Sessions mitgenommen, und wir haben noch ein paar andere Sachen zusammen erlebt. Mir ging es nicht wirklich darum, etwas groß zu dokumentieren, mich haben einfach die Menschen beeindruckt, und aus diesen positiven Gefühlen sind die Bilder entstanden.
Hört sich so an, als wäre da in Indien was mit dir passiert, kann man das so sagen?
Ja, vielleicht. Am Anfang meiner Arbeit war ich unsicher, jetzt kann ich sagen: Ich kann z. B. nicht Leute fotografieren, die ich blöd finde. Mache ich nicht. Das wird auch nicht gut. Und damit ging es, unter anderem, in Indien los, dass ich lernte, auf diese natürliche Intuition zu vertrauen. In den letzten Jahren habe ich immer mehr auf meine innere Stimme gehört, und dadurch wurde auch die Arbeit profilschärfer und besser, weil ich ehrlicher zu mir selbst wurde.
Wie kam es eigentlich dazu, dass du Schmetterlinge fotografiert hast? Ist die Schmetterlings-Serie (2016) ironisch oder gesellschaftskritisch gemeint?
Ironisch, ja, aber gesellschaftskritisch, nein. Die Serie ist zum großen Teil in Asien entstanden. Es geht um die Verbindung zwischen Natur und Stadtraum, und um Poesie. Es ist eine Side Story, die eben deshalb entstanden ist, weil ich meinem Gefühl gefolgt bin. Ganz intuitiv. Ich dachte, das ist schon ok, so was auch mal zu bringen. Es ist eine kleine Nuance von dem, was meiner Arbeit im größeren Kontext entspricht: eine gewisse Fragilität und Schönheit im Rauen zu sehen.
Die Arbeit ist toll und zugleich auch wirklich mutig, denn du balancierst mit der Serie auf der Grenze zum Kitsch.
Ja, ich weiß – und es kann auch schnell kippen. Aber das war für mich, wenn ich von jetzt aus drauf schaue, genau die richtige Übung. Eben auf diesem Grenzweg zu gehen, auf dieser feinen Linie. Genau da wird es ja auch spannend. Wenn ich nur clean und faktisch arbeiten würde, dann wäre meine künstlerische Produktion leblos. Und das entspricht mir nicht. Wenn ich jetzt allerdings nur noch pinke Schmetterlinge überall hinhänge, ist das natürlich auch bekloppt. Die Verbindung von beidem interessiert mich.
Wie sieht ein Tag in deiner künstlerischen Praxis aus? Stehst du morgens auf und beschließt: Heute mache ich Kunst?
Nee, so denke ich nicht. Jeder Tag unter der Woche ist für mich ein ganz normaler Arbeitstag. Dabei ist für mich vor allem das Organisieren die Arbeit: also E-Mails schreiben, Inventarnummern vergeben, gucken, dass die Produktion stimmt, dass die Galerien haben, was sie haben müssen und so. Alles andere ist Intuition. Ich mache viele kreative Sachen nebenbei, unbewusst und ungefiltert. Ich schreibe z. B. Texte oft nebenbei, in der U-Bahn, 400 Wörter, wenn mir etwas in den Kopf kommt, völlig rough. Ich schicke mir die dann an eine eigene Archiv-E-Mail-Adresse und bearbeite sie später weiter. Das kann bis zu einem Jahr später passieren. Allgemein ist mein Arbeitsmodus: viel produzieren und dann runterfiltern. Und dann auch im zweiten Schritt analysieren, was zu tun mich meine Impulse bewogen haben. Ich würde sagen, dieses Filtern ist tatsächlich meine künstlerische Praxis. Wenn ich kognitiv forciere, etwas zu produzieren, dann sieht man oft den Kunstwillen in der Arbeit. Und das versuche ich zu vermeiden. Sich frei zu machen, im Flow sein – das ist eine gute Beschreibung für mich und den Entstehungsprozess meiner Arbeit. Wenn ich weiß, ich kann grade loslassen, dann ist es auch egal, wo ich bin.
Sind deine Bücher, in denen du sowohl Fotografien als auch Texte von dir veröffentlichst, als ein Gesamtkunstwerk zu verstehen? Sind sie jeweils ein Ausdruck desselben künstlerischen Bedürfnisses, nur in zwei Medien?
Die beiden Medien stehen autark für sich. Meine Texte müssen individuell funktionieren, wenn sie alleine auf dem Blatt stehen, genauso wie die Bilder individuell funktionieren müssen. Nichtsdestotrotz besprechen sie ähnliche Themen und haben visuell und rhetorisch eine ähnlich grobe und zugleich bittersweete Form der Artikulation.
Ein Detail, sei es noch so klein, bekommt in deinen Fotografien eine maximale Aufmerksamkeit. Woher kommt dieser Blick für das „Daneben“, auf das Unspektakuläre?
Ich finde anhand kleiner Details lassen sich auch größere Aussagen über unsere Welt abbilden. Beispielsweise das neue Motiv, über das ich gerade nachdenke. Der Fuß, der fast eine Blume wegtritt. Das ist für mich eine politische Handlung. Oder das Bild meines alten Reebok-Sneakers: Da steckt die Kultur drin, aus der ich komme. Jeder Junge auf der Straße versteht, was dieses Bild zeigt. Berliner Winter, zwei Mal durchgetragen, Hip-Hop, Straße, Aggression. Auf der anderen Seite heißt das Bild „Vorwärts“ (engl.: onwards). Es geht also auch um soziale Mobilität, um ein Wie-kommen-wir-hier-raus, Wo-geht-es-weiter, ein Voranschreiten. Ein großer Teil meiner Arbeit beschäftigt sich mit Klassendifferenzierung, das Hinterfragen von Autoritäten, das Aufbegehren bei Gefühlen von Ausgrenzung. Klar, kunstaffine Menschen können bestimmte Bilder ganz anders dekodieren, weil sie mehr Übung und Wissen haben. Aber mir geht’s z. B. auch darum, dass Leute mit meinem Hintergrund – ohne Akademikereltern, ohne große finanzielle Absicherung – die Bilder und Texte feiern und sie lesen und in ihnen was Berührendes sehen können. Wenn ich mit Bildern wie „Vorwärts“ da auch nur ein Stück rankomme, dann weiß ich, wofür ich meine Arbeit mache.
published 2020 online and in print (excerpts), re-published 2022 in print
www.collectorsagenda.com/in-the-studio/paul-hutchinson
Tinfoil Dreams
June Drevet
I
The general nature of the present may be described as a state of transition—political, technological, and social. This thought runs through my mind daily, while traveling up and down the arterial roads of the metropolis of Berlin. Sailing past countless construction sites, seemingly fenced in for all time, more the orphaned incipiencies of large-scale initiatives for change than forward-looking investments. In between, there are creatures—people, animals, plants. Here, those who are accelerating the transition; there, those who are trying to keep pace. When looking at Paul Hutchinson’s photographs, I notice that the focus is never on fixed positions, but rather on fragile relations comprising attitudes toward the external reality of a contemporary metropolis. As such, the motifs of his pictures are entirely familiar from my own direct experience on the one hand, but they still continually foster a sense of irritation on the other. The Berlin-based photographer sets this transition at the motivic center of his artistic work, but not only that: he also positions it on technical and formal levels, so that we are ultimately faced with a nexus of diverse motifs, a melding of photographic genres, of exposure techniques and lyrical texts. His artistic intention: raising awareness of one’s own time.
Paul Hutchinson’s biography was shaped by numerous sojourns in metropolises in various regions of the world, before he returned to Berlin—to the place where he grew up during the post-reunification period, as a child of a family of German-Irish descent. During his youth, he spent his time on the streets and in the public space of Berlin’s Schöneberg district facing a context of immigration, precariat, and hip-hop. Following the principle “the city as a stateless mind,”1 Hutchinson traces the energetic vigor of big cities in his photographic practice, energy that arises at the borderlands between asperity and poetry. Today, cities throughout the world have morphed, through globalization and media, into spaces of placenessness. They no longer present a clear identity to us, but rather embrace us as “non-places.” When moving through these transitory spaces, the question perpetually arises as to which standpoint an artistic perspective can take in relation to these spaces. What standpoint do Paul Hutchinson’s shots take in showing us a metropolis? It cannot be that his photographs and texts mean to show us a specific place, since what we see is already familiar. Nothing new for anyone. A collection of trivialities is compiled, an apparent bagatelle. And it is at this very point that his narrative begins.
II
One element in Paul Hutchinson’s photographs is architecture as landscape, or the remains of nature in the city. The artist indicates as much through shots of insects and plants, bushes, trees, and fallow land already overgrown by weeds. He eludes broader narratives in the process, sticking with the beauty and texture of the perceived plants which arrived there by chance and imbue the gray of the concrete with color. Are these plants tropical? Or actually just ordinary ones that appear so extraordinary due to the detailed gaze? It is not only his focus on the next familiar environment that lends the things photographed by Hutchinson a magical touch. Even his positioning, for instance that chosen for a self-portrait in a subway tunnel, causes us to suddenly see his body as fragmented.
A magical moment in a situation that could not be more realistic. Here, too, something inscrutable opens up at the very point where a rendering of enraptured reality arises. The creation of magical elements in realistic situations is rooted in a tradition of the his- tory of literature and art which can be traced back to the 1920s and to Magical Realism; the tangible and the visible were correlated with dreams and hallucinations to foster a kind of third reality. But we also find this stylistic vein in contemporary art and in literature, such as in the narrative dance between the grotesque and the commonplace by Clemens Setz. It is here that a disruptive element creates a disturbance in the entire text, making our sense of orientation begin to totter, leaving us unsure as to what is actually happening. Hutchinson cites as an important reference the painter Peter Doig, who in contemporary art is considered to be a representative of Magical Realism and who touches on the style of New Objectivity in his artwork. In both literature and painting, Magical Realism is viewed less as a genre and more as a mindset that meanders between reality and uncanniness, objectivity and magic. Yet the human likeness does not dominate these pictures; instead, meaning is assigned to supposedly incidental objects. Does Magical Realism also play out in the realm of photography?
In photographic history, little information can be found about this particular genre, but during my research I came across this term in connection with a photographer from the 1920s who was also devoted to commonplace objects and who revealed, through the gaze of her camera, the magical and simultaneously uncanny moment beneath the common surface. Aenne Biermann (1898–1933), a photographer only peripherally known, recognized the special nature of the quotidian: in the view out of the window onto the narrow rear courtyard, in an ashtray filled with cigarette butts, in a sliced cucumber on a plate on the kitchen table, or in the dark succulent leaves of a ficus. In Hutchinson’s photographic series, in turn, there are shots that remind us of similar scenes: the roasted chicken in tinfoil or the random arrangement of withered blue petals and white cigarette filters on a table, through which the charging cable of a laptop is coiling. A houseplant with a shiny shell between its leaves, held by the artist. The roasted chicken in tinfoil is captured from a top view.
With its apparent randomness, this perspective is reminiscent of flirtation with the sumptuous still life. As opposed to vanitas or floral still lifes, such luxuriant renderings portrayed Dutch merchants of the seventeenth century in grand style. Hutchinson stages his found motifs similarily, in a way that, according to Maren Lübbke-Tidow, disallows narration on the one hand and establishes one’s own semiotic system in the image on the other hand, so as to foster present-day references to everyday culture.2 We may not know who shredded the roasted chicken, whether and why it already lay three days in the sun or was maybe just now taken down from the spit. But it is most definitely present, with its glistening grease, at every food stand, at any time of day.
Another subject taken up by Hutchinson and made part of his semiotic system is the butterfly. An insect that withdraws into the dark, only to return in altered form. It is this transformation, the simultaneous delicacy and robustness of the insect, that permits its continued existence in an ever-changing world. With its compound eyes, the butterfly views the world as if through a kaleidoscope, from several thousand angles at once. The fragility of the brimstone butterfly regularly returns—visually, but also metaphorically, as an autonomous microcosm within the urban dynamics—to Hutchinson’s images and texts:
to get out of this town / out of the grey, the frail, the freeze / it’s not working for me / so give me something to fly / head off for a while . . . // just like these tiny things with wings / that take off, like that // mind forward, back closed // I’m one of those3
The conflation of transformation, fragility, transience, and ephemerality is evident in numerous photographs. The artist’s awareness of street life and tenderness not being mutually exclusive is also found in his texts that have accompanied many of his photographs since 2016. Here, the artist writes in a language familiar to him from his youth and from the streets of his neighborhood, lending the texts lyrical form. He wants to proceed in a way similar to his photographs: creating stand-alone works of art filled with their own magic and without need of any genre ascriptions. Similar to the photos, with his poems Hutchinson intends to “push and exert physical pres- sure.”4 The rapper Ebow from Vienna sings the following on her current album “K4L” (2019): “Ihr seid sauer wenn / die Straßen schlauer klingen” (You are miffed when / the streets sound smarter). For his poems, the artist favors a language evocative of the slang of hip-hop and rap. There are parallels in terms of content as well, such as when topics like class differences and discrimination, but also the propensity of youth to hang out, mooch, roam about, and wait without a concrete goal, are described. The idea underlying the poems is to bring “non-academic language” into a literary form and to publish it in places where people are convinced that this cannot be called “German.”
Paul Hutchinson lets the linguistic and artistic exploration of his own origins flow into his work in many respects, which rein- forces the impression of a highly subjective artistic approach. Can we liberate ourselves from our situatedness within society by analyzing it? Rather than in the field of sociology, this question is currently being posed in the context of literature: authors like Didier Eribon, Édouard Louis, and Ocean Vuong are returning in their narratives to their own social roots and are viewing the imprint of these roots with a temporal distance from today’s vantage point and also as a transformation of the self.5 Such a process is likewise evident in Paul Hutchinson’s photographs, whether highly visually concrete through the reiterate rendering of subway rearview mirrors or through extensive portrait series of his young protagonists. The shots show friends and acquaintances in their material reality of sneakers and hoodies, yet also their softness and vulnerability. For Hutchinson, this softness is actually much more distinctive in the description of young adults today. The establishment of such de-pictions of emotional worlds in their own semiotic system enables Hutchinson to create his own kind of matrix. Perhaps this is what gives rise to the impression that the artist is conveying his own inner freedom—or maybe state of liberation—through his work.
The processes of change related to genre and format ascriptions or to the selection of subjects and themes, which Hutchinson uses to highlight the life of young individuals in big cities, are continued by the artist on a technical level, thus aligning himself with a con- temporary photographic style. After all, the history of photography is also a history of technological progress. Moving away from the analogue toward the digital facilitates a remarkable scope of technology for taking photos but also for their dissemination. In the case of Hutchinson’s photographs, the question likewise arises as to how the present should be read and how we might respond to it technically. Hutchinson thematically incorporates transitions within society and in photographic discourse by constellating, again and again, low- and high-resolution shots together. The images stand alone without hierarchy, together and above discourse on analogue and digital photography. Through grainy and noisy “poor images”6 taken by a smartphone camera, along with high-resolution photographs, Hutchinson purposefully allows visual dissonance to arise, resulting in multiplied materiality. The coexistence of moments, events, and feelings becomes formally visible and tangible.
III
“To me, what’s currently happening to Berlin is an example of how crazy this world is.”7 Paul Hutchinson’s photographs initially show microcosms, which, however, immediately allude to a larger whole. And sometimes these “cosms” are so teensy that we almost overlook or dismiss them: as brief as fleeting eye contact or as small as the size of a tiny snail shell. His most recent series of photos, presented for the first time here, was created during his stay in southern France in the summer of 2019 during the Berlin Masters Schliemann Residency Program. In this series, the artist photographically approximates the city of Marseille, among other places. Apparently, it is one of the most socially precarious cities in Western Europe, at the same time surrounded by the affluent Provençal region. Hutchinson’s pictures once again show the apparent nugacities of summer vacation, roadside stands, landscapes of urban greenery and refuse, as well as the raw beauty of Le Corbusier’s Unité d’habitation, the “machine for living,” in the evening light. Accompanied by a multiline poem, which unexpectedly takes us away from the dusky microcosm:
sitting in the train writing / will they check my ticket / where have all these fancy glasses come from / where the make up / and the busy looks / is this the beginning of the end/is this how it looks// thinking back to your little tinfoil dreams / this can’t be enough
As of now there is no way back. We cannot view the images without thinking of the beginning of the end. Paul Hutchinson encounters his muteness in the face of reality’s contradictions with a dreamy artistic air. But a fascination with the trivial should not be confused with apathy. Perhaps the code of the present is stored within the discarded and neglected? The pictures seem as if they wished to endow things with language. Might the roasted chicken in tinfoil say something about us after all—if we were only to listen more closely? When moving through the city, we are indeed confronted with the trivial, of which some things make sense, while others (initially) do not.
1 This was the name given to the first issue of the street-art magazine Arts of the Working Class in 2018.
2 Maren Lübbke-Tidow, Introduction to Obstinacy of Things: Still Life in Photographic Concepts of the Present, eds. Bettina Leidl and Maren Lübbke-Tidow (Leipzig: Spector Books, 2018).
3 Excerpt from the poem “Schmetterlinge” (Butterflies), in Paul Hutchinson, Schmetterlinge (Berlin: The Green Box, 2016), p. 1.
4 Paul Hutchinson in conversation with the author, August 2019.
5 Édouard Louis, “Changing: On Self-Reinvention und Self-Fashioning,” lecture in the scope of Mosse-Lectures at the Humboldt-University zu Berlin, June 27, 2019.
6 Hito Steyerl, “In Defense of the Poor Image,” e-flux Journal 10 (November 2009).
7 Paul Hutchinson in conversation with the author, August 2019.
Alufolienträume
June Drevet
I
Die allgemeine Beschaffenheit der Gegenwart lässt sich als eine des Übergangs beschreiben – politisch, technologisch und sozial. Das denke ich etwa ein Mal täglich, wenn ich mich auf und in den Verkehrsadern der Großstadt Berlin bewege. Im Vorbeiflug unzählige Baustellen, scheinbar bis in alle Ewigkeit umzäunt, vielmehr die verwaisten Anfänge groß angelegter Veränderungsvorhaben denn zukunftstaugliche Investitionen. Dazwischen Wesen – Menschen, Tiere, Pflanzen. Hier die, die den Übergang vorantreiben und dort jene, die versuchen, mit ihnen mitzuhalten. Schaue ich auf Paul Hutchinsons Fotografien, stelle ich fest, dass es sich nie um fixierte Positionen, sondern um fragile Verhältnisse handelt, aus denen sich die Einstellung gegenüber der äußeren Wirklichkeit einer zeitgenössischen Großstadt zusammensetzt. So sind mir die Motive seiner Bilder zum einen aus der unmittelbaren Erfahrung durchweg bekannt, zum anderen erzeugen sie fortlaufend Irritationen. Der Berliner Fotograf macht diesen Übergang nicht nur motivisch zum Zentrum sei- ner künstlerischen Arbeit, sondern auch auf technischer sowie auf formaler Ebene, sodass wir schlussendlich ein Geflecht aus einer Motivvielfalt, eine Verschmelzung fotografischer Genres, von Aufnahmetechniken und lyrischen Texten vor uns haben. Seine künstlerische Intention: ein Bewusstsein für die eigene Zeit zu schaffen.
Paul Hutchinsons Biografie ist geprägt von zahlreichen Aufenthalten in Großstädten in unterschiedlichen Regionen der Welt, bevor er nach Berlin zurückkehrte – dorthin, wo er als Kind einer deutsch-irischen Familie in der Nachwendezeit aufgewachsen ist und während seiner Jugend in Berlin-Schöneberg im Kontext von Immigration, Prekariat und Hip-Hop seine Zeit auf den Straßen und an öffentlichen Plätzen verbrachte. Nach dem Leitsatz »the city as a stateless mind«1 spürt Hutchinson in seiner fotografischen Praxis den generellen Energien von Großstädten nach, die im Grenzgang zwischen Rauheit und Poesie entstehen. Städte weltweit haben sich heute zu Räumen der Ortlosigkeit globalisiert und medialisiert. Sie treten uns nicht mit einer klaren Identität gegenüber, sondern nehmen uns als »Nicht-Orte« auf. In der Bewegung durch diese transitorischen Räume stellt sich immer wieder die Frage nach dem Standpunkt, den eine künstlerische Perspektive ihnen gegenüber einnehmen kann. Von welchem Standpunkt aus zeigen Paul Hutchinsons Aufnahmen eine Großstadt? Mit seinen Fotografien und Texten kann er uns keinen spezifischen Ort zeigen wollen, denn das, was wir sehen, kennen wir schon. Nichts Neues für nie- manden. Eine Ansammlung von Nebensächlichkeiten wird erstellt, eine scheinbare Bagatelle. Und genau an dieser Stelle beginnt seine Erzählung.
II
Ein Element in Paul Hutchinsons Fotografien ist die Architektur als Landschaft beziehungsweise die Reste von Natur in der Stadt. Diese zeigt der Künstler mit Aufnahmen von Insekten und Pflanzen, Sträuchern, Bäumen und Brachflächen, auf denen sich das Unkraut bereits flächig ausgebreitet hat. Dabei lässt er weiter greifende Narrative weg und belässt es bei der Schönheit und Textur der gesehenen Pflanzen, die durch Zufall dort gelandet sind und das Betongrau mit Farbe versehen. Sind es tropische Pflanzen? Oder doch ganz gewöhnliche, die nur durch den detaillierten Blick so außergewöhn-lich erscheinen? Nicht nur sein Fokus auf die nächste und vertraute Umgebung verleiht den Dingen, die Hutchinson fotografiert, etwas Magisches.
Auch seine Positionierung, die er etwa für ein Selbstporträt in einem U-Bahn-Schacht wählt, führt dazu, dass wir seinen Körper plötzlich zerstückelt sehen. Ein magischer Moment in einer Situa- tion, die realistischer nicht sein könnte. Es tut sich auch hier etwas Abgründiges an der Stelle auf,wo eine Abbildung entrückter Wirklichkeit entsteht. Das Kreieren von magischen Elementen in realistischen Situationen steht in einer literatur- und kunsthistorischen Tradition, die sich bis in die 1920er-Jahre und auf den Magischen Realismus zurückführen lässt; Greifbares und Sichtbares wurde mit Träumen und Halluzinationen zu einer Art dritten Realität in Beziehung gesetzt. Wir finden diese stilistische Strömung aber auch in der Gegenwartskunst und in der Literatur, wie beispielsweise in dem narrativen Tanz zwischen dem Grotesken und Gewöhnlichen von Clemens Setz. Hier sorgt ein disruptives Element für eine Störung im gesamten Text und unsere Orientierung gerät ins Wanken, wir sind unsicher, worum es nun eigentlich geht. Hutchinson spricht von dem Maler Peter Doig als wichtige Referenz, der als Vertreter des Magischen Realismus in der zeitgenössischen Kunst gilt und in seinen Arbeiten an den Stil der Neuen Sachlichkeit anknüpft. Sowohl in der Literatur als auch in der Malerei versteht man den Ma- gischen Realismus weniger als eine Gattung, sondern vielmehr als eine Geisteshaltung, die ständig zwischen Realität und Unheimlich- keit, Objektivität und Magie mäandert. In diesen Bildern dominiert allerdings nicht das Abbild des Menschen, vielmehr wird vermeintlich nebensächlichen Gegenständen Bedeutung beigemessen. Gibt es einen Magischen Realismus auch in der Fotografie?
In der Geschichte der Fotografie lässt sich nur wenig zur genannten Strömung finden, allerdings stoße ich im Zuge meiner Recherchen auf die Formulierung in Verbindung mit einer Fotografin der 1920er-Jahre, die sich ebenfalls alltäglichen Objekten widmete und durch ihren Kamerablick deren magisches und zugleich unheimliches Moment hinter der gewöhnlichen Oberfläche offenlegte. Die nur peripher bekannte Aenne Biermann (1898 – 1933) erkannte die Besonderheit im Alltäglichen: im Blick aus dem Fenster in einen engen Hinterhof, in einem mit Zigaretten gefüllten Aschenbecher, einer aufgeschnittenen Gurke auf einem Teller auf dem Küchentisch oder in den dunklen fleischigen Blättern eines Fikus. In Hutchinsons Fotostrecken lassen sich wiederholt Aufnahmen finden, die an ähnliche Szenen erinnern: das Grillhähnchen in Alufolie oder die zufällige Anordnung von blauen, verwelkten Blütenblättern und weißen Zigarettenfiltern auf einem Tisch, durch die sich das Ladekabel eines Laptops schlängelt. Eine Zimmerpflanze, zwischen deren Blättern der Künstler eine schimmernde Muschel hält. Das Grillhähnchen in Alufolie ist in einer Draufsicht festgehalten. Diese Ansicht lässt in ihrer scheinbaren Zufälligkeit an ein Kokettieren mit dem Prunkstillleben denken. In Abgrenzung zum Vanitas- oder Blumenstillleben bildeten solche Glanz und Gloria der niederländischen Kaufleute im 17. Jahrhundert ab. Hutchinson inszeniert seine gefundenen Motive auf ähnliche Weise, sodass, laut Maren Lübbke-Tidow, einerseits eine Narration verweigert wird und andererseits eigene Zeichensysteme im Bild etabliert werden, um einen alltagskulturellen Gegenwartsbezug herzustellen.2 Wir wissen zwar nicht, wer das Grillhähnchen zerfetzt hat, ob und weshalb es schon drei Tage in der Sonne lag oder ob es frisch vom Spieß kommt. Aber es ist zweifellos da, mit seinem glänzenden Fett, an jedem Imbiss und zu jeder Uhrzeit.
Ein weiteres Sujet, dessen Hutchinson sich annimmt und Teil seines Zeichensystems werden lässt, ist der Schmetterling. Ein Tier, das sich ins Dunkle zurückzieht, um dann in veränderter Erscheinung wiederzukehren. Es ist die Transformation, die Zartheit und zugleich die Robustheit des Insekts, die es ihm ermöglicht, in der sich ständig verändernden Welt weiterhin zu existieren. Mit seinen Facettenaugen betrachtet er die Welt kaleidoskopartig aus mehreren tausend Winkeln zugleich. Die Zerbrechlichkeit des Zitronenfalters kehrt sowohl visuell als auch metaphorisch als eigenständiger Mikrokosmos innerhalb der Stadtdynamik regelmäßig in den Bildern und auch in Textform bei Hutchinson wieder:
raus aus der stadt / raus aus dem grauen, dem faulen, dem fiesen / also gib mir was zum fliegen [...] // genau wie diese kleinen dinger mit flügeln / will nicht mehr lügen / kopf nach vorne, rücken zudrehen // ich bin einer von denen3
Die Verschmelzung von Transformation, Zerbrechlichkeit, Flüchtigkeit und Kurzlebigkeit ist in zahlreichen Fotografien wiederzufinden. Den Sinn dafür, dass sich Streetlife und Zartheit nicht ausschließen, stiftet der Künstler auch in seinen Texten, die er seit 2016 vielen seiner Fotografien beistellt. Hierfür schreibt er in einer Sprache, die er aus der Jugend und von den Straßen seines Kiezes kennt und bringt sie in eine lyrische Form. Er möchte hier ähnlich vorgehen wie bei seinen Fotografien: für sich selbst stehende Kunstwerke schaffen, die in sich eine eigene Magie tragen und keine Genrezuschreibung benötigen. Wie mit den Bildern, will Hutchinson mit den Gedichten »pushen und einen physischen Druck ausüben.«4 Die Wiener Rapperin Ebow singt auf ihrem aktuellen Album »K4L« (2019): »Ihr seid sauer wenn / die Straßen schlauer klingen«. Der Künstler wählt für seine Gedichte eine Sprache, die an den Slang von Hip-Hop und Rap erinnert. Auch inhaltlich gibt es Parallelen, wenn wiederholt Themen wie Klassenunter- schiede und Chancenungleichheit, aber auch das jugendliche Abhängen, Schnorren, Herumstreunen und Warten ohne konkretes Ziel beschrieben werden. Der Gedanke, der den Gedichten zugrunde liegt, ist es, die »nicht-akademische Sprache« in eine literarische Form zu bringen und an jenen Orten zu veröffentlichen, an denen es heißt, dass es sich dabei nicht um »Deutsch« handele.
Die sprachliche und künstlerische Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft lässt Paul Hutchinson vielfach in seine Arbeit einfließen und verstärkt dadurch den Eindruck eines sehr subjektiven künstlerischen Ansatzes. Können wir uns freimachen von unserer Situiertheit innerhalb der Gesellschaft, wenn wir sie analysieren? Diese Frage stellt man sich aktuell weniger in der Soziologie denn in der Literatur: Autoren wie Didier Eribon, Édouard Louis und Ocean Vuong kehren in ihren Erzählungen zu den eigenen sozialen Wurzeln zurück und betrachten ihre Prägung mit einem zeitlichen Abstand aus heutiger Sicht auch als eine Transformation des Selbst.5 Auch in Paul Hutchinsons Fotografien ist dieses Vorgehen gegenwärtig, ob ganz bildhaft konkret durch das wiederholte Abbilden von U-Bahn-Rückspiegeln oder durch umfangreiche Porträtserien seiner jungen Protagonist*innen. Die Aufnahmen zeigen Freund*innen und Bekannte in ihrer materiellen Realität aus Sneakern und Hoodies, doch auch in ihrer Softness und Verletzlichkeit. Diese Fragilität ist für Hutchinson eigentlich viel markanter in der Beschreibung eines jungen Erwachsenen heute. Durch das Etablieren solcher Abbilder von Gefühlswelten in ihrem eigenen Zeichensystem ermöglicht Hutchinson es sich, eine Art eigene Matrix zu erstellen. Vielleicht rührt daher der Eindruck, dass der Künstler eine eigene innere Freiheit – oder vielleicht Befreitheit – mit seiner Arbeit vermittelt.
Die Veränderungsbewegungen im Hinblick auf Genre- und Formatzuschreibungen oder die Wahl der Sujets und Themen, mit denen Hutchinson das Leben junger Individuen in Großstädten aufzeigt, führt er auch auf technischer Ebene weiter und reiht sich damit in einen zeitgenössischen fotografischen Stil ein. So ist die Geschichte der Fotografie auch eine des technologischen Fortschritts. Die Bewegung weg vom Analogen hin zum Digitalen ermöglicht einen außergewöhnlichen Umfang sowohl an Aufnahme- als auch an Veröffentlichungstechniken. Auch bei Hutchinsons Fotografien tut sich die Frage auf, wie Gegenwart zu lesen ist und wie man technisch darauf reagieren kann. Übergänge in der Gesellschaft sowie im Fotodiskurs bindet Hutchinson thematisch ein, indem er Low-Res- und High-Res-Aufnahmen immer wieder miteinander verschränkt zeigt. Die Bilder stehen hierarchielos, gemeinsam und über der Debatte um die analoge und digitale Fotografie. Durch körnige und rauschige »poor images«6 von einer Smartphone-Kamera sowie hochaufgelöste Fotografien lässt Hutchinson absichtlich eine visuelle Dissonanz entstehen, die eine vervielfältigte Stofflichkeit zum Ergebnis hat. Die Koexistenz von Momenten, Ereignissen und Gefühlen wird formal sichtbar und spürbar.
III
»Die aktuelle Entwicklung von Berlin nehme ich als Beispiel dafür, wie verrückt diese Welt ist.«7 Paul Hutchinsons Fotografien zeigen zunächst Mikrokosmen, die aber unmittelbar auf ein größeres Ganzes verweisen. Und manchmal sind diese Kosmen so winzig klein, dass wir sie fast übersehen oder abtun: so klein wie die Länge eines flüchtigen Blickkontakts oder wie die Größe eines winzigen Schneckenhauses. Seine neueste Fotostrecke, die hier erstmalig abgebildet ist, entstand im Sommer 2019 während seines Aufenthalts in Südfrankreich im Rahmen des Berlin Masters Schliemann Residency-Programms. Hier nähert er sich fotografisch unter anderem der Stadt Marseille. Sie ist eine der wohl sozial prekärsten Städte Westeuropas und zugleich von der wohlhabenden provenzalischen Region umgeben. Hutchinsons Aufnahmen zeigen erneut scheinbare Belanglosigkeiten zwischen Sommerurlaub, Straßenständen, Landschaften aus städtischem Grün und Abfall sowie die raue Schönheit von Le Corbusiers »Wohnmaschine« Unité d’habitation im Abendlicht. Dazu ein Mehrzeiler, der uns unerwartet den schummrigen Mikrokosmos verlassen lässt:
sitz im zug und schreibe / kontrollieren die mein ticket / wo kommen die ganzen teuren augen her / wo das make-up / und die gestressten blicke / ist das der anfang vom ende / ist das was alle wissen // schau zurück auf deine kleinen alufolienträume / da kann was nicht stimmen
Ab jetzt gibt es kein Zurück, wir können die Bilder nicht mehr betrachten, ohne an den Anfang vom Ende zu denken. Seiner Sprachlosigkeit angesichts der Widersprüchlichkeit der Realität begegnet Paul Hutchinson mit einem träumerisch anmutenden künstlerischen Gestus. Aber Faszination für das Belanglose ist nicht zu verwech- seln mit Teilnahmslosigkeit. Ist in diesem Weggeworfenen und außer Acht Gelassenen vielleicht der Code der Gegenwart gespeichert? Die Bilder wirken, als wollten sie den Dingen eine Sprache geben. Kann das Grillhähnchen in Alufolie nicht doch etwas über uns sagen – sollten wir dafür nur genauer hinhören? Denn wenn wir uns durch die Stadt bewegen, sind wir ständig mit Belanglosem konfrontiert, von dem manches einen Sinn ergibt, und anderes (zunächst) nicht.
1 This was the name given to the first issue of the street-art magazine Arts of the Working Class in 2018.
2 Maren Lübbke-Tidow, Introduction to Obstinacy of Things: Still Life in Photographic Concepts of the Present, eds. Bettina Leidl and Maren Lübbke-Tidow (Leipzig: Spector Books, 2018).
3 Excerpt from the poem “Schmetterlinge” (Butterflies), in Paul Hutchinson, Schmetterlinge (Berlin: The Green Box, 2016), p. 1.
4 Paul Hutchinson in conversation with the author, August 2019.
5 Édouard Louis, “Changing: On Self-Reinvention und Self-Fashioning,” lecture in the scope of Mosse-Lectures at the Humboldt-University zu Berlin, June 27, 2019.
6 Hito Steyerl, “In Defense of the Poor Image,” e-flux Journal 10 (November 2009).
7 Paul Hutchinson in conversation with the author, August 2019.
published in Camera Austria #147, 2019
Interview
with Julia Rosenbaum for Visual Thoughts
Paul Hutchinson (*1987) grew up in a German/Irish family in Berlin, he studied there at Universität der Künste and at Central Saint Martins College of Art and Design, University of London. A conversation about origins, visual and textual language as well as the latest works.
Julia Rosenbaum/ Studio Visits: As a teenager you were part of the Berlin Hip-Hop scene of the 1990s.
PH: People are always quick to say, ‘part of the hip-hop scene’, also because I used that phrase myself a few years ago. But I have come to realise that this has led to the wrong associations. Hip-Hop scene doesn’t convey the right image. It makes you think of gigs, active participation, music production and a small, narrow circle. That was also part of it. But for us the music-making aspect was rather passive. Hip-hop was something unconscious that we took for granted, like a background noise – and many of us didn’t contribute actively to it. The whole culture that I grew up in and that influenced me contains a million other things that are not exclusively related to hip-hop. That would be too insular. Other important keywords are immigration, language, street culture. For instance, we didn’t have any breakdance. And graffiti also remained on the margins. Alpha male posturing, even aggression, mugging and selling/buying weed were very present. That’s North-Schöneberg of the 90s/2000s. Schöneberg 30. Hip-hop was of course part of everything, but it never really felt special, or like a ‘scene’. It just felt like an ordinary youth in the city. I mean the Royal Bunker was founded on Yorkstraβe, people like KKS/MOR, Aggro Berlin, were important in that area back then. But so were many other things.
What brought you from there to photography?
PH: Looking at it retrospectively, what brought me to photography is that I wanted to get away from the then grey, musty and rough West-Berlin. I wanted to see more than just Kleistpark and all those places and faces. Therefore education and travel. Living elsewhere, exploring other circles. I was always aware of the disposition of having a German passport and thus being eligible for German funding opportunities. And to be naturally curious. And I have always felt very privileged in that way. To just feel like doing stuff and generally to be in a good mood – especially after I spent a lot of my time as a teenager smoking weed and hanging out or making trouble – was something I was always grateful for and still am today. And the translation of these experiences, of my travels, but also the notion of somehow having been fortunate enough to find myself undergoing an academic education and amongst very educated people, the physical manifestation of all that, for me personally, was to take pictures.
How have your childhood and youth influenced your photography?
PH: I believe that everything I do, all my activities, are somehow linked to where I come from and the experiences, I have been able to make since.
Your style can neither be referred to as documentary nor does it belong to purely poetic-artistic aesthetics.
When looking at my work, it’s useful to bear in mind that I am purposefully creating my own system of references to reflect my inner emotions and my perception of our reality. Within this system metro stations can exist next to butterflies and next to trainers because they all have a similar air to them and they reflect the mindset with which I approach the world: naivety.
Revealing this and to be open about it, as well as the experiences that come with it – on the one hand a profound belief in all that’s good and positive in life, on the other failure and the aggression and despair that come with it –, is what defines my voice. Just life, really.
I also think that ‘style’ is a problematic term to apply to art and I would say that’s not what it’s all about. The question of style arises in the second and third instance. And I think one shouldn’t focus on trying to emulate it. First of all, it’s about content and, maybe, emotion. At least that’s how I perceive art.
In 2016 you were awarded the Eberhard-Roters-Stipendium (bursary) for Young Art, which apart from an acquisition by the Berlinische Galerie, Museum of Modern Art, also comes with a grant of 15,500 Euros.
PH: Yes, that was somehow an important moment when I thought: ‘Okay, maybe I can actually do this.’ To put aside any daydreaming and really, pragmatically, think about the future and reallse – this could be my job one day, no joke. Someone’s actually paying me to do this. Without this kind of support and the recognition of the work that comes with it, the incentive to carry on, I wouldn’t have been strong enough to develop my own practice. There are of course many ways in which things could be improved, but generally I believe we should consider ourselves extremely lucky that we have this cultural infrastructure here in Germany. And what it makes possible for society as a whole, not just with regard to artists. The achievements of the KSK or the BBK alone should always be mentioned I think – these institutions are not something we should take for granted.
For the series ‘Schmetterlinge’ (Butterflies) you are looking at an almost classical subject. That’s brave, since animal pictures are usually something for National Geographic.
PH: Yes, totally. At first, I was also wondering what this is all about. But after a while it all made sense and I began to see in these comical motifs, partly my own collages, a kind of bittersweetness and poetry, which corresponds to my work in general. I always think that we should allow ourselves to take risks and not be afraid of failure. Initially, I wasn’t sure about the butterflies – something that now feels completely natural and carries so much narrative – and I was almost too embarrassed to really go ahead with it. A few years later you then realise ‘Oh no, that was exactly right’. And as you gain experience with creating work you learn to trust precisely this inner intuition and how to channel it. I always think that the courage to be free in artistic production as we know it from Polke, Richter or Kippenberger or a Hannah Höch is maybe what art is missing nowadays. When everything is so corporate and slick and clear profiled. I always found the spectrum of variation that those positions contained to be very inspiring.
Your publication ‘Pictures and Words’ (Texte und Bilder) also deals with a subculture, this time the pictures were mostly taken in Berlin. Are we encountering the portrait of a generation or rather a way of life?
PH: No, I don’t think that I would be in a position to portray my generation – that’s not what I’m trying to do. For instance, I don’t feel like I am in any way part of the whole ‘New Creative Berlin’ international start-up thing which is taking up more and more space amongst members of my generation. Or the hip and cool and Berghain way of being. This is simply my home here, my heimat. The place I breathe and feel and live. And if I take pictures of people it’s because I feel some kind of affection for them, or because I admire them. Not because they are seemingly appropriate representatives of their generation. I can only talk about my own world and my own experiences and I have no ambition to do anything else. If there is a particular way of being in my work, then it’s the one that I carry within myself.
At first glance your books always seem like a spontaneous snapshot, on closer inspection they turn out to be delicate photographic compositions. I imagine that this tension is a difficult balancing act. What does your work process up to completion look like?
PH: I work very intuitively. If something moves me, positively or negatively, then I try to translate it into images or words. The result is a lot of material and it’s my job afterwards to adequately and precisely filter this material. So that what I want to say or feel, becomes visible. After all, it’s part of my job now, to share this. And ideally this moves someone somewhere and therefore maybe creates some sort of value or makes someone feel understood. But yes, generally this is my process: overproduction and then filtering it down.
In addition to your photography you also write texts. What do they mean to you?
PH: The texts have their own life, next to my images. They are not an illustration of my photographic practice, instead they exist equally and independently. Writing has been a part of what I do for quite some time now. And after a while I realised that the texts don’t close my work down, but rather open them up. So I thought it might be justifiable to publish them. The texts act with a similar urge as the images, I think. It was important for me, or there was never really another way to do so, to articulate the aesthetics and the relevance that I see in rather rough subjects – linguistically as well as semantically. I engage quite a bit with literature, and I have realised for instance that I haven’t yet been able to find the form in which I communicate on a daily basis, represented in contemporary German literature. I never understood that. Why do the books of today speak so differently to the way I speak? Where are my people in these books? Where is my language? The decision to forge ahead and publish these seemingly embarrassing non-academic street texts was the result of all of that. And now this also feels honest and right to me.
In your catalogue and photography book ‘Pictures and Words’ (Texte und Bilder) published by Distanz Verlag, you combine pictures and texts for the first time. What’s happening there?
PH: I believe that these images and texts are good for each other. And I think they challenge the way people engage with pictures in general and with my work in particular.
There are two editions of the catalogue: one published in English and another one in German. Have you had all texts translated or was it simply not possible to translate some of them because they would suddenly have sounded so differently in the other language? How did you deal with the differences between the two languages?
PH: I write in German and I write in English, I was raised bilingual. With some texts I managed to do a free translation, with others it just wasn’t possible. In both editions of the book there are a few translations, maybe 30% of all texts (translated from English to German as well as from German to English). I did all the translations myself, anything else wouldn’t feel right. The rest are simply different texts. So really these are two different books. Personally, I almost find it easier to write in English, the risk of sounding pathetic is much smaller than in German. German is more difficult to me but also much more rewarding if you manage to pull it off, to be precise. At the same time, it’s much more disastrous if you fail, which is easier to hide in English again. Even though they both convey a similar way of life, I would say that the English edition is a bit more optimistic, a bit warmer. The German edition is a bit rougher but in parts also more independent. Despite the bilingualism, I still went to school in Berlin and that’s also where I feel the socialisation of my early years much more strongly than, for instance, in Ireland. That’s of course reflected in my language.
Do politics play a role in your work?
PH: The more I produce the more I realise myself that almost anything I engage with is, if seen from a distance, politically motivated. Engaging with social inequality, the hierarchies of
language, the motif of uprisings against so-called authorities. That is the prevailing mood of my work, which carries everything and holds it together.
Do you feel a responsibility as an artist to make your voice heard politically?
No, not necessarily as an artist, but as a human being. In my own case there is a certain motivation behind my works, but art can also work perfectly free of politics. However, as a conscious and feeling human being I think about the world we live in – just like all other conscious and feeling human beings too – and I articulate whatever occupies my mind, be it positive or negative.
Interview mit Julia Rosenbaum für Visual Thoughts
Paul Hutchinson (*1987) wuchs als Deutsch-Ire in Berlin auf und studierte dort an der Universität der Künste sowie an der Central Saint Martins University of the Arts in London. Ein Gespräch über Herkunft, Bild- und Textsprache sowie die neueste Arbeit.
Julia Rosenbaum / StudioVisits: Du warst als Jugendlicher Teil der Berliner Hip-Hop-Szene der 1990er Jahre.
Paul Hutchinson: Das mit „Teil der Hip-Hop“ Szene wird immer schnell gesagt, auch weil ich das selbst mal vor Jahren so formuliert hatte. Mir ist inzwischen aufgefallen, dass damit die falschen Assoziationen geweckt werden. Hip-Hop Szene vermittelt das falsche Bild. Da denkt man schnell an Konzerte, aktives Teilhaben, Musikproduktion und an einen kleinen, engen Kreis. Das gab es auch. Aber bei uns war es vom Musikmachen her eher passiv. Hip-Hop war unbewusst und selbstverständlich. Wie ein Hintergrundrauschen – für das viele von uns nichts aktiv produziert haben. Zu der gesamten Kultur, mit der ich aufgewachsen bin und die mich geprägt hat, gehören tausend andere Sachen, die nicht ausschließlich was mit Hip-Hop zu tun haben. Das wäre zu klein. Wichtige Schlüsselworte sind auch Immigration, Sprache, Straßenkultur. Bei uns gab es z.B. kein Breakdance, auch Graffiti gab es nur peripher. Präsent war Alphagehabe, auch Aggression, Abziehen, Ticken. Das ist Nord-Schöneberg der 90er/2000er Jahre, Schöneberg 30. Hip-Hop schwebte dabei natürlich über allem, aber fühlte sich nie wirklich besonders oder „szenig“ an, sondern einfach wie eine Standard-Jugend in der Stadt. Klar, der Royal Bunker wurde in der Yorckstraße gegründet, Leute wie KKS/MOR, Aggro Berlin, waren damals in der Gegend wichtig. Aber vieles andere auch.
Wie kamst Du von da zur Fotografie?
Zur Fotografie kam ich, retrospektiv betrachtet, weil ich aus dem damals grauen, muffigen, rauen West-Berlin weg wollte. Und mehr sehen wollte als nur den Kleistpark und die ganzen Orte und Gesichter. Deswegen Bildung und Reisen. Woanders leben, andere Kreise kennenlernen. Über die Disposition, einen deutschen Pass zu haben, damit für deutsche Fördermöglichkeiten berechtigt zu sein und ganz natürlich diese innere Neugierde zu haben, war ich mir immer bewusst und habe mich damit privilegiert gefühlt. Einfach Lust zu haben, Sachen zu machen und allgemein gut drauf zu sein – vor allem nachdem ich viel Zeit in meiner Jugend mit Grasrauchen und Rumhängen oder mit Stressmachen verbracht hatte – war etwas, worüber ich dankbar war und noch heute bin. Und die Übersetzung von diesen Erfahrungen, von dem Reisen, aber auch von dem Gefühl irgendwie aus Glück in einer akademischen Ausbildung und unter viel gebildeteren Menschen gelandet zu sein, der physische Umgang damit, folgte dann bei mir persönlich über das Bildermachen.
Was für einen Einfluss hatte Deine Kindheit und Jugend auf Deine fotografische Arbeit?
Ich glaube, alles was ich tue, all meine Aktivitäten, sind in irgendeiner Form darauf zurückzuführen, wo ich herkomme und welche Erfahrungen ich seitdem machen konnte.
Dein Stil ist weder in der dokumentarischen noch in der rein poetisch-künstlerischen Ästhetik einzuordnen.
Bei der Betrachtung meiner Arbeit ist es sinnvoll, sich zu vergegenwärtigen, dass ich bewusst ein eigenständiges Referenzsystem aufbaue, was meine innere Gefühlswelt und meine Wahrnehmung unserer Realität reflektiert. Innerhalb dessen können U-Bahnhöfe neben Schmetterlingen neben Turnschuhen existieren, weil sie alle einen ähnlichen Gestus in sich tragen und das widerspiegeln, mit dem ich der Welt begegne: Naivität.
Das Offenlegen davon und der ehrliche Umgang damit, sowie die damit verbundenen Erfahrungen – auf der einen Seite ein tiefer Glaube an das Gute und Positive im Leben, auf der anderen auch das Scheitern und die damit verbundene Aggression oder Verzweiflung – definieren meine Stimme. Das Leben halt. Ich finde „Stil“ auch einen schwierigen Begriff innerhalb der Kunst und würde sagen, darum geht es eigentlich nicht. Stil ergibt sich an zweiter oder dritter Stelle. Und sollte nicht vordergründig das sein, dem man nacheifert. Es geht ja erst einmal um Inhalt und, vielleicht, Emotion. In meiner Wahrnehmung von Kunst zumindest.
2016 wurdest Du mit dem Eberhard-Roters-Stipendium für Junge Kunst geehrt, das neben einem Ankauf von der Berlinischen Galerie auch mit 15.500 Euro dotiert ist.
Ja, das war irgendwie ein wichtiger Moment, in dem ich gedacht habe: „Okay, ich kann das hier vielleicht wirklich machen“. Also das Hintenanstellen von Träumereien und wirklich, lebenspragmatisch, das Bewusstsein langsam aufzubauen – das könnte hier echt mal mein Job sein, no joke. Die geben mir grade Geld hierfür. Ohne derart Förderungen und die damit verbundene Anerkennung der Arbeit, das Gefühl von Weitermachen, wäre ich nicht stark genug gewesen, meine Praxis zu entwickeln. Natürlich gibt es unzählige Möglichkeiten der Verbesserung, aber allgemein müssen wir uns extrem glücklich schätzen, dass es hier in Deutschland diese kulturelle Infrastruktur gibt und was sie, nicht nur in Bezug auf Künstler, sondern gesamtgesellschaftlich, ermöglicht. Allein die Leistungen der KSK oder des BBK etc. sind immer wieder hervorzuheben, finde ich – und sie sind nicht selbstverständlich.
In der Serie „Schmetterlinge“ betrachtest Du ein fast klassisches Sujet. Mutig, denn Tierbilder sind ja eher etwas für National Geographic.
Ja, total. Ich hab mich auch erst einmal gewundert, was das soll. Aber mit der Zeit hat es Sinn ergeben und ich konnte in diesen komischen, von mir teilweise real-collagierten, Motiven eine Art bittersweetness und Poesie sehen, die meiner Arbeit im Allgemeinen entspricht. Ich denke immer, man sollte sich etwas Fallhöhe zutrauen und auch mal Mut zum Scheitern zeigen. Anfänglich war mir das mit den Schmetterlingen nicht geheuer – etwas, das sich jetzt so natürlich anfühlt und soviel eigene Narration trägt – und es war mir fast peinlich, das wirklich durchzuziehen. Ein paar Jahre später merkt man dann „Ach nee, war genau richtig“ und mit der Übung im Produzieren lernt man dann, genau auf diese innere Intuition zu vertrauen und sie zu kanalisieren. Ich denke immer, der Mut zur Freiheit in der künstlerischen Produktion von einem Polke, Richter oder Kippenberger oder einer Hannah Höch ist vielleicht das, was der Kunst heute fehlt. Wenn alles so corporate und slick und klar profiliert wird. Die Variationsbreite, die solche Positionen hatten, fand ich immer inspirierend.
In deiner Publikation „Texte und Bilder“ geht es auch um eine Subkultur, diesmal sind die Bilder größtenteils in Berlin entstanden. Begegnen wir einem Porträt einer Generation oder eher einem Lebensgefühl?
Nein, ich denke, ich wäre nie in der Lage, meine Generation zu porträtieren – dazu habe ich keine Ambition. Ich fühle mich z.B. in keiner Weise Teil von dem „New Creative Berlin“ internationalem Startup Ding, das immer mehr Raum bei Vertretern meiner Generation einnimmt. Oder von dem Hip-und-Cool-und-Berghain-Sein. Das ist hier halt mein Zuhause, meine Heimat. Die ich atme und spüre und lebe. Und wenn ich Leute fotografiere, dann weil ich in irgendeiner Form eine Zuneigung zu Ihnen verspüre oder sie bewundere. Nicht, weil sie vermeintlich adäquat ihre Generation repräsentieren. Ich kann nur über meine eigene Welt und meinen Erfahrungshorizont sprechen und habe auch keine Ambitionen mehr als das zu tun. Wenn es ein Lebensgefühl in meiner Arbeit gibt, dann das, was ich in mir drin trage.
Auf den ersten Blick erscheinen Deine Bücher wie eine spontane Momentaufnahme, nach genauem Hinsehen enthüllen sie sich als feine fotografische Komposition. Diese Spannung stelle ich mir wie ein schwieriger Balanceakt vor. Wie sieht Dein Arbeitsprozess bis zu der Fertigstellung aus?
Ich arbeite sehr intuitiv. Wenn mich etwas bewegt, positiv oder negativ, dann probiere ich, das in Bilder oder in Worte zu übersetzen. Dabei entsteht relativ viel Material und meine Aufgabe ist es anschließend, dieses Material adäquat und präzise zu filtern. Sodass das, was ich sagen möchte oder empfinde, zum Vorschein tritt. Das ist halt jetzt meine Arbeit, das zu teilen. Und im besten Fall berührt das irgendwo jemanden und schafft dadurch vielleicht einen Mehrwert oder ein sich-verstanden fühlen. Aber ja, allgemein ist mein Prozess: Überproduktion und dann runter filtern.
Parallel zu Deinen Fotografien schreibst Du auch Texte. Was für eine Bedeutung haben sie für Dich?
Die Texte stehen autark neben den Bildern. Sie sind keine Illustration meiner fotografischen Praxis, sondern existieren gleichwertig und unabhängig. Das Schreiben ist seit längerem Teil von dem, was ich tue. Und mir ist nach einiger Zeit aufgefallen, dass die Texte die Arbeit nicht zumachen, sondern öffnen. Dann dachte ich, es wäre vielleicht auch vertretbar, sie zu publizieren. Die Texte agieren mit einem ähnlichen Drängen wie die Bilder, finde ich. Mir war es wichtig, oder es ging auch nie wirklich anders, diese Ästhetik und die Relevanz, die ich in eher roughen Sachen sehe, zu artikulieren – sprachlich wie auch semantisch. Ich beschäftige mich auch relativ stark mit Literatur und mir ist z. B. aufgefallen, dass ich die Form, in der ich tagtäglich kommuniziere, bisher nicht in der deutschsprachigen, zeitgenössischen Literatur wiedergefunden habe. Das hatte ich nie verstanden. Warum sprechen die in Büchern von heute anders als ich heute spreche? Wo sind meine Leute in diesen Büchern? Wo meine Sprache? Die Flucht nach vorne und das Publizieren von diesen vermeintlich peinlichen, nicht-akademischen Straßentexten war dann das Ergebnis davon. Und mittlerweile fühlt sich auch das für mich ehrlich und richtig an.
In Deinem im DISTANZ Verlag veröffentlichten Katalog und Fotoband „Pictures and Words“, bzw. „Texte und Bilder“ bringst Du Bild und Text erstmals zusammen. Was passiert da?
Ich glaube, die Bilder und Texte tun einander gut. Und ich glaube, sie fordern nochmal die Weise heraus, mit der sich die Menschen mit Bildern im allgemeinen, und meiner Arbeit im spezifischen, beschäftigen.
Es gibt zwei Ausgaben des Katalogs: Eine erscheint auf Englisch und eine auf Deutsch. Hast Du alle Texte übersetzen lassen oder konnten einige Texte einfach nicht übersetzt werden, da sie plötzlich einen anderen Klang in der jeweils anderen Sprache einnahmen? Wie bist du mit dieser Unterschiedlichkeit der beiden Sprachen umgegangen?
Ich schreibe sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch, ich bin bilingual erzogen worden. Bei manchen Texten gelingt mir eine freie Übersetzung, bei anderen ist es mir einfach nicht möglich. In den beiden Editionen der Bücher sind einige wenige Übersetzungen, vielleicht insgesamt 30% aller Texte (übersetzt sowohl vom Englischen ins Deutsche als auch vom Deutschen ins Englische). Alle Übersetzungen mache ich selbst, alles andere würde sich irgendwie falsch anfühlen. Der Rest sind schlichtweg unterschiedliche Texte. Es sind also de facto zwei unterschiedliche Bücher.
Ich persönlich finde es fast einfacher, auf Englisch zu schreiben, da die Gefahr, pathetisch zu klingen, kleiner ist als auf Deutsch. Deutsch ist schwieriger, aber umso mehr „rewarding“, wenn man es richtig hinkriegt, präzise genug zu sein. Gleichzeitig ist es umso fataler, wenn man scheitert, was sich im Englischen leichter kaschieren lässt.
Obwohl beide ein ähnliches Lebensgefühls vermitteln, würde ich sagen, dass die englische Edition etwas optimistischer und wärmer ist. Die deutsche Ausgabe etwas rauer, aber an Stellen auch etwas eigenständiger. Trotz Bilingualität bin ich in Berlin zur Schule gegangen und wurde hier in frühen Jahren einprägsamer sozialisiert als z.B. in Irland. Das spiegelt sich natürlich auch in meiner Sprache wider.
Spielt Politik eine Rolle in Deiner Arbeit?
Je mehr ich produziere, desto mehr fällt mir selbst auf, dass eigentlich fast alles, womit ich mich auseinandersetze, von Weitem betrachtet, politisch motiviert ist. Die Beschäftigung mit sozialer Ungleichheit, die Hierarchien von Sprache, das Motiv vom Aufbegehren gegen vermeintliche Autoritäten. Das ist eine Grundstimmung der Arbeit, die alles trägt und zusammenhält.
Empfindest Du als Künstler eine Verantwortung, Deine Stimme politisch einzubringen?
Nein, nicht zwangsläufig als Künstler, aber als Mensch. Bei mir persönlich steckt eine gewisse Motivation hinter meiner Arbeit, aber Kunst kann genauso gut völlig frei von Politik agieren. Als wacher und fühlender Mensch denke ich allerdings über die Welt nach, in der wir leben – so wie alle anderen wachen und fühlenden Menschen auch –, und artikuliere sofern mich etwas negativ oder positiv umtreibt.
published 2020 online, translation: Katharina Volckmer
Art Cologne 2019 – New Positions
Press text by Matthias Kunz
Paul Hutchinsons photographisches Werk fällt spontan durch seine chromatische Intensität ins Auge. Vor dem Motiv steht vielleicht die Farbe, aber noch eher der Gestus des künstlerischen Augenmerks, das, was der Kamera bemerkenswert erscheint. Die Öffnung in die Demokratie des Blickes paart sich mit der Suche nach Momenten der Fragilität und Magie im Kontext zeitgenössischer Stadtkultur. Dieser scheinbar spontane Gestus folgt indes einem sorgsamen kompositorischen Blick. Hutchinson Bildern wohnt ein Wirklichkeitsdrang inne, der in einem sorgsamen Netzwerk von Referenzpunkten seine Hauptthemen setzt.
So wechseln Architekturaufnahmen mit Insignien von Jugendkultur, schreiben Blüten und Staubfäden ein Bild von schmerzhafter Vergänglichkeit des Moments, dessen Sentiment aber im gleichen Moment durch die skulpturale Apotheose eines Turnschuhs wieder aufgefangen wird. Dieser "Flow" spiegelt sich nicht zuletzt auch in Hutchinsons technischem Umgang mit der Photographie, im Wechsel zwischen low-res und high-end, zwischen großformatigen Tableaus und kleinen Inkunabeln.
Das Verhältnis von Individuum und Großstadtkultur, die Beobachtung unseres heutigen Seins, das sich vielfach durch Architektur und urbane Lebensräume prägt, versieht Paul Hutchinson mit einer ihm eigenen bildnerischen Viskosität. Die Reibungsenergie zwischen den Motiven seiner sorgsam arrangierten Bildwände, die Groß- und Kleinformate zu einer künstlerische Aussage verbinden, ist vergleichbar mit den Strophen eines Gedichts. Nicht umsonst nehmen eigene Texte und Wortkompositionen einen selbstverständlichen Raum im Werk Hutchinsons ein. Der Rhythmus zwischen Wort und Bild, Form und Farbe, Gegenstand und Gefühl kommt einem zeitgenössischen Lebensgefühl nahe, das in der künstlerischen Arbeit die Haltung zur Welt betont und die Rettung der Momente, die einen wundern und wagen lassen.
Hutchinson bringt in einer eindrücklichen Werkserie den sozialen Mobilitätsdrucks eines U-Bahnhofs so zum Stillstand, dass der Raum zur Begegnungsstätte wird und plötzlich die Energie eines königlichen Spiegelsaals entwickelt. Vielleicht ist es nicht zu weit gedacht, in diesen Bildern einen Aufruf der Selbstermächtigung zu lesen, einen Aufruf zur Teilnahme an Leben und Kunst, der durch genau die Kunst, Eindruck und künstlerisches Bild zu unterscheiden, einen sanften unaufhaltsamen Auftrieb erhält.
Doppelausstellung Saskia Groneberg & Paul Hutchinson
Press text
In his artistic work, Paul Hutchinson (* 1987 in Berlin) deals with social phenomena of urban life such as hip-hop culture, architectural interventions in public spaces and social mobility.
In his photographs and his lyrical prose, we encounter moments of intimacy and fragility, everyday situations and references to subcultures. His protagonists are buildings, plants, animals and again and again, people, either as central characters in the picture or in form of traces they left behind in their surroundings. For the exhibition Hutchinson has put together images from different contexts, mostly taken in his immediate urban environment. He captures his subjects in non-stereotypical moments. Sometimes the people he portrays turn away their faces, sometimes they are fully visible and sometimes only in extracts. We find still lives amongst these images, a shoe, flowers, bushes and pieces of clothing. It is precisely through the detail, something seemingly negligible, or a personal association, that Hutchinson achieves a unique characterisation of inner-city subculture. The artist engages with situations which might seem banal, yet which are of particular importance to him. For his second monograph “Wildlife Photography” (2016), for example, he focused on the appearance of the Berlin subway station Hermannstraβe in Neukölln and by analysing it he caricatures everyday exoticism as well as the conscious engineering of public spaces. The latter, Hutchinson considers as places of relative égalité and democracy – accessible to anyone, people from various backgrounds meet on a daily basis here.
Looking at social differences is central to Hutchinson’s work which is reflected in his pictures as well as his texts. By depicting fragility and tenderness in seemingly rough situations, or by deliberately using colloquial language in his poetry, he creates an aesthetic which tries to give access to as well as establish a dialogue between different social classes. Social housing, for example, is a recurring theme for the artist, because to him it acts as a symbol of how architecture and the city impact the individual and its social environment. In his publications and exhibitions, Hutchinson mixes these different motifs, combines high resolution pictures with pictures he took on his mobile phone and thus points towards the importance of imperfection and nonconformity. Oscillating between playful curiosity and political statement, he always understands his artistic work as an attempt to create a contemporary and individual vision of urbanity and thus to create new images of the time we live in.
With Saskia Groneberg and Paul Hutchinson we can therefore witness the encounter of two artistic perspectives that are exploring living spaces and their inhabitants in different ways and who, at the same time, manage to connect two seemingly opposite concepts: conceptual and documentary photography. In their own way, each of them makes us look beyond classic themes of photography and challenges our viewing habits. Behind both approaches we find the fundamental desire to engage with questions of society and to continue to broaden our understanding of what constitutes photographic art.
Paul Hutchinson (*1987 in Berlin) verhandelt in seiner künstlerischen Arbeit gesellschaftliche Phänomene des urbanen Lebens wie Hip-Hop-Kultur, architektonische Interventionen im öffentlichen Raum und soziale Mobilität.
In seinen Fotografien und lyrischen Texten begegnen uns Augenblicke von Intimität und Zerbrechlichkeit, Situationen des Alltags und Referenzen zu Subkulturen. Dabei bewegen sich seine Bilder zwischen dokumentarischer und poetisch-künstlerischer Ästhetik. Protagonisten seiner Bilder sind Gebäude, Pflanzen, Tiere und immer wieder der Mensch, als zentrale Gestalt im Bild oder in Form von Spuren, die er in seiner Umgebung hinterlassen hat. Für die Ausstellung hat Hutchinson Bilder zusammengestellt, die in unterschiedlichen Kontexten aufgenommen wurden, meist in seiner unmittelbaren urbanen Lebenswelt. Seine Sujets fängt er in klischeefreien Momenten ein. Mal wenden die Porträtierten ihre Köpfe ab, mal sind sie ganz oder nur ausschnittartig zu sehen. Immer wieder finden sich Stillleben unter den Bildern, ein Schuh, Blumen, Sträucher und Kleidungsstücke. Gerade über das Detail, eine scheinbare Nebensächlichkeit oder persönliche Assoziation gelingt Hutchinson die individuelle Charakterisierung von innerstädtischer Subkultur. Der Künstler setzt sich mit Situationen auseinander, die vermeintlich banal, für ihn jedoch von besonderer Bedeutung sind. So widmet er sich beispielsweise in seiner zweiten Monographie „Wildlife Photography“ (2016) dem Erscheinungsbild des Berliner U-Bahnhofs Hermannstraße in Neukölln und karikiert durch dessen Untersuchung alltäglichen Exotismus und die Inszenierung öffentlicher Räume. Letztere sieht Hutchinson als Orte relativer Egalität und Demokratie, die für jeden zugänglich sind und in denen folglich täglich Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft aufeinandertreffen.
Die Auseinandersetzung mit sozialen Unterschieden ist ein Kernthema in Hutchinsons Werk und spiegelt sich sowohl in seinen Bildern als auch in seinen Texten wider. Indem er in seinen Arbeiten Fragilität und Zartheit in vermeintlich rauen Situationen abbildet oder bewusst Umgangssprache in seiner Lyrik benutzt, schafft er eine Ästhetik, die sowohl einen Zugang zu als auch einen Dialog zwischen unterschiedlichen sozialen Schichten zu etablieren versucht. So stellt beispielsweise der Sozialbau ein wiederkehrendes Thema für den Künstler dar, da er in ihm ein Symbol für die Einwirkung von Architektur und Stadt auf das Individuum und sein Umfeld sieht. In seinen Publikationen und Ausstellungen mischt Hutchinson diese verschiedenen Motive, bringt hochaufgelöste Bilder mit selbst aufgenommenen Handyfotos zusammen, und weist damit auf die Bedeutung von Imperfektion und Nonkonformität hin. Zwischen spielerischer Neugierde und politischer Aussage balancierend versteht er dabei seine künstlerische Arbeit stets als Versuch, eine zeitgemäße und individuelle Vision von Stadt und somit neue Bilder unserer Zeit zu schaffen.
Mit Saskia Groneberg und Paul Hutchinson treffen zwei künstlerische Positionen aufeinander, die sich auf unterschiedliche Weise mit der Erforschung von Lebensräumen und deren Bewohnern auseinandersetzen und gleichzeitig zwei scheinbar gegensätzliche Konzepte miteinander verbinden: fotografische Konzeptkunst und Dokumentarfotografie. Auf jeweils eigene Weise lenken sie den Blick weg von klassischen Themen der Fotografie und fordern unsere Sehgewohnheiten heraus. Herangehensweisen hinter denen bei beiden der grundlegende Wunsch steht, sich mit gesellschaftlichen Fragestellungen.
Sieh die Stadt
Saskia Trebing
Auf der Berliner Yorckstraße liegt ein bisschen Glück. Da glitzert was, das könnte Verheißung sein. Oder vielleicht auch nur ein leeres Päckchen Capri-Sonne oder ein halb aufgegessenes Brathähnchen auf Silberfolie. Der Fotograf Paul Hutchinson, 1987 in Berlin geboren und im Schöneberg der Nachwendezeit aufgewachsen, arbeitet mit dem Lebensgefühl Großstadt. Hier sind die Sozialwohnungstürme brutale Monolithen, die auch auf einem anderen Planeten stehen könnten. Und statt einer Rakete oder wenigstens einer Zeitmaschine gibt es nur einen gebrauchten Motorroller als Fluchtfahrzeug.
Heute würden nachwuchshippe Teenager ihre linke Niere für eine Jugend in Berlin geben, doch für Paul Hutchinson war sie in den 90ern eine herausfordernde Angelegenheit. Der Langeweile setzte er tief hängende Hosen, einen schockresistenten Discman und den Hip-Hop entgegen. „Für mich und meine Freunde waren die groben Bässe, die mechanischen Snares und die kalte rhythmische Sprache eine Art Zufluchtsort“, sagt der Künstler, der an der Universität der Künste Berlin und am Central Saint Martins in London studiert hat.
Der Hip-Hop-Kultur, die vor allem eine Welt der Klänge ist, näherte er sich später mit dem stummen Medium der Fotografie. Für sein Projekt „B-Boys, Fly Girls & Horticulture“ (2015) reiste er ins indische Bangalore, um mit der Kamera die dortige Rap-Szene zu begleiten. Sein Blick heftet sich dabei eng an die Protagonisten. Die Posen, die im Hip-Hop so oft um männliche Überlegenheit kreisen (oder das, was man mit 16 dafür hält), interessieren den Fotografen nicht. Er fängt die Menschen in klischeefreien, gedämpften Momenten ein, die schlaksigen Körper passen kaum in den Bildrahmen, dazwischen Stillleben, in denen die Reste der Stadt plötzlich zu glänzen beginnen, und immer wieder Blumen und Sträucher, die aus Körpern und Dingen herauszuwuchern scheinen – die Jugend, das zarte Pflänzchen. „Man muss romantisch genug sein dürfen, um Blumen zu fotografieren. Vor allem, wenn man es auf eine eigene und ehrliche Weise tut“, sagt Hutchinson. „Fotografieren heißt für mich, in der Welt zu sein.“ Aber in der Welt, die der Künstler inszeniert, ist die Schönheit nie ungebrochen. Die Pflanzen wuchern über Müll, die Großstadtschmetterlinge umflattern die Wegwerfgesellschaft. Die ins Absurde domestizierte Wildheit beschäftigt Hutchinson auch in seiner Serie „Wildlife Photography“ von 2016. Darin spürt er der Unsitte nach, die unexotischsten öffentlichen Orte mit Wandbildern von Dschungeln, Savannen und Wüsten zu verzieren. Am U-Bahnhof Hermannstraße in Berlin lauern Leoparden und Tiger, die Stereotype von Fremdheit und Abenteuer schleichen sich in den Alltag ein.
Für unser Monopol-Portfolio hat Paul Hutchinson Bilder zusammengestellt, die unter anderem in Berlin, Bangalore und Paris aufgenommen wurden. Dazu kurze Texte, die an Rap-Lyrics erinnern und den Fotos Rhythmus und weitere Bedeutungsebenen geben. Ein bisschen Freestyle, ein bisschen Poesie, ein bisschen Wutschnauben. Wenn Hutchinson im städtischen Raum fotografiert, geht es ihm immer auch um soziale Unterschiede. Welcher Ort bedeutet welches Leben, wo wohnt der Wohlstand, wo sein Gegenteil? Sein Interesse für die Jugendkultur ist auch ein Interesse an Gemeinschaft, am gemeinsamen Suchen nach Zugehörigkeit und einem Ausweg aus der Enge. Auf einem seiner Bilder hat jemand sein lila Sternchentop ausgezogen und scheinbar achtlos von sich geworfen. Auf der Baumwolle ein ganzes Universum – und im Zentrum die leere Capri-Sonne.
erschienen in monopol, November 2018
Pictures and Words
Press text
The Ambivalence of Reality
Paul Hutchinson (b. Berlin, 1987; lives and works in Berlin) makes art that scrutinizes phenomena he observes in the environment of his daily life. His photographs show moments of intimacy, small imperfections of reality, and everyday urban situations. Striking a balance between poetic fragility and a certain rawness of existence, Hutchinson’s pictures examine the meanings we give to our sociocultural and sometimes accidental encounters. Many shots spotlight the individual with his or her vulnerability and flaws as well as distinctive beauty.
This book, the artist’s first, includes samples of his own writing, including lyrical soliloquies that reflect on scenes from his youth that struck and still strike him as peculiar, as well as sketches of his perceptions people’s interactions.
In pictures as well as words, Hutchinson expertly uncovers the seeds of moving stories that lie dormant in seemingly fleeting instants.
Texte und Bilder
Pressetext
Die Zwiespältigkeit der Wirklichkeit
Paul Hutchinson (geb. 1987 in Berlin, lebt und arbeitet in Berlin) setzt sich in seiner Arbeit mit Phänomenen auseinander, die er in seiner unmittelbaren Lebenswelt beobachtet. Seine Fotografien zeigen Augenblicke der Intimität, kleine Imperfektionen der Realität und alltägliche urbane Situationen. Zwischen poetischer Zerbrechlichkeit und einer gewissen Rohheit der Existenz untersuchen Hutchinsons Bilder die Bedeutungen, die wir unseren soziokulturellen, teilweise zufälligen Begegnungen beimessen. Dabei steht das Individuum mit seiner Verwundbarkeit, seinen Fehlern und nicht zuletzt mit seiner Schönheit oftmals im Zentrum.
Erstmalig veröffentlicht der Künstler in diesem Buch verschiedene eigene Texte. In den einen reflektiert er in Form eines lyrischen Selbstgesprächs Szenen aus seiner Jugend, die ihm damals wie heute fragwürdig erscheinen; in den anderen beschreibt er seine Wahrnehmung vom Umgang der Menschen miteinander.
Hutchinson versteht es gekonnt – in Bildern wie in Worten – scheinbar vergänglichen Momenten das Potenzial für tiefgründige Geschichten zu entlocken.
Paul Hutchinson on shooting b-boys, butterflies and U-Bahnhofs
by Diane Smyth
"I’d rather look at where the strangeness and wonder is in the here and now" says the Berlin-born artist, who's a fast-rising star of contemporary photography
Born in 1987 in Berlin, Paul Hutchinson graduated from the University of the Arts, Berlin in 2012, and from Central Saint Martins College of Art and Design, London in 2014. While in London he assisted Wolfgang Tillmans, and by 2015 he had published his first book – B-Boys, Fly Girls and Horticulture. He has gone on to publish two more, Wildlife Photography in 2016 and Schmetterlinge [Butterflies] in 2017. Hutchinson has won various awards and grants, and has shown his work at Galerie Mansart, the Berlinische Galerie Museum of Modern Art and The Photographers Gallery. The recent exhibition Perfect Storm, at the NRW Forum in Dusseldorf, included Hutchinson’s photographs alongside work by other fast-emerging image-makers such as Thomas Albdorf, Andrey Bogush, Vendula Knopova, Maurice van Es and Nikolas Ventourakis.
BJP: You were a bit of a tearaway at school, how did you get into photography?
Paul Hutchinson: I was never a typical troublemaker or bully, it was always about curiosity and trying things off the beaten track, which obviously hit some borders in the context of an educational system and authority. But in that sense photography was only the extension of a natural interest and offered me a form to work with that curiosity. It was a pretty unspectacular process really, a growing realisation that I am this more or less empty hull which I can fill with experiences, emotions and thoughts, and out of that form something which previously didn’t exist – say, a picture.
BJP: Why did you decide to come to London to study photography?
PH: I was attracted by the idea of doing a Masters in an Anglo-Saxon, multi-cultural and large urban environment, and therefore London seemed ideal. A scholarship helped me to get pass student fees and helped with living costs, so the idea eventually became reality – something I otherwise wouldn’t have been able to afford.
In retrospect I am very happy with how everything turned out, but during my two years at university I sometimes felt misguided and a little dissatisfied with how the system of the school was set up. I struggled to appreciate what is currently happening to some parts of British arts education – degrees are more and more treated as a commodity, universities more and more take on the form of exclusive members’ clubs. I am very much against this development as I think education should be anything but elitist.
That said, I met extremely talented and inspiring people while studying in London, learned and read a lot, did many things wrong, some right, and always felt privileged to be there. And if you ask me directly, the most important thing I got out of the course was the people, and the dialog I still have with some of them.
BJP: How did you get into photographing hip hop culture?
PH: I grew up with the local hip hop scene here in Berlin, and after returning from London I became interested in re-approaching the subject. The starting point was simply meeting old friends and remembering what that community once meant to me; I also always wanted to see if there was a way to represent the subculture free of all the common stereotypes. While I was working on that I was invited by the Goethe Institute in Bangalore to spend five weeks there, after pitching them the idea of photographing hip hop in India. People don’t expect a hip hop community in that part of the world but obviously, there are large cities, there’s internet, there are young people curious about what’s happening in other parts of the world. So something like hip hop can easily find ground there.
BJP: How did you get the idea to show horticulture alongside b-boys and fly girls in the book?
PH: In Bangalore I stayed in a beautiful house next to the Lal Bagh Botanical Garden, the biggest and most diverse in India. There are various schools of horticulture in the area, and I became interested in their botanical, scientific processes. I realised that, essentially, the way foreign species of plants are treated is similar to what happens to a foreign subculture – both arrive in their pure, natural state, then crossbreed, disseminate, and evolve into something new.
Thinking about the work as a book, I decided to juxtapose these two very different kinds of image because conceptually, they strongly relate to each another. And while working on everything I also became drawn to what happens visually between the two kinds of image, how the different textures and structures of each genre work with each other.
BJP: How did you come to publish this project as a book?
PH: I won a prize for the book dummy and also received additional funding from the Goethe Institute. I had always envisioned a book as one of the outcomes for this work, and was lucky that, with two sources of funding, I could realise it. I was also supported by the director of the Berlinische Galerie, who had seen and enjoyed the work and offered to write a text for it. Then also, of course, I was lucky to find a good publishing house who supported what I had dreamt up. Everything quite simply fell into place.
BJP: Could you say something about your book Wildlife Photography?
PH: My hip hop book became quite well known, and for a little while it seemed that I would forever be referred to as ‘the hip hop photographer’ – something I found inappropriate and simply untrue. Only about 5% of the pictures I take have anything to do with hip hop, and I think it’s important not to be defined by one fixed subject. Life is more layered than that.
Aside from hip hop, another thing which is quite dear to me is the train station I live next to here in Berlin Neukölln, U-Bahnhof Hermannstraße. I have a love-hate relationship with it – it’s a very interesting surface to read everyday occurrences from but it can also be a rather grim place to be in. In 2014 its interior was entirely re-designed into an utopian jungle landscape, with baboons, elephants and rhinos suddenly crossing the train tracks. I found this quite absurd given the immediate surroundings of the station – a working class neighbourhood in which mostly people of Arabic, Turkish or Roma descent live – and decided to take this as a starting point for my own little ‘photo safari’. To me it carries many layers – the collision of the external and internal world within a public space, the plain exoticism, the architecture of metal bars and the green leaves.
BJP: How did you come to be in China, South Korea and Japan shooting images that became the book Schmetterlinge [“Butterflies”]?
PH: I had developed an interest in Asia and wanted to see it, to see how the reality lined up with the pictures I had in my mind. It was all rather spontaneous but eventually I ended up travelling through for about six weeks. I got the idea of photographing butterflies while I was there – there are generally more butterflies in Asia than here in Europe, and they stood out to me very much among the sometimes grey cityscapes of east Asian cities.
In them I found both a certain sense of romanticism and longing, and also a certain absurdity of contemporary life, given the often vast urban contexts I was seeing them in. I could very much relate to that and also became interested in how the symbol of a butterfly is used throughout Asia in large billboard ads – collaged with food, real estate, military, you name it.
I took this as a starting point for how I wanted to photograph them. In the end it’s always a very basic question for photographers – how can you make it your own? I experimented with collaging in my images, merging butterflies with objects and abstract structures of contemporary urban life such as i-phones, cigarettes, manga comics. The whole undertaking had almost
a performative note to it, me juggling real life butterflies, these objects and a camera all at once.
BJP: How did you come to be so interested in wildlife?
PH: I wouldn’t actually say that I have a particular interest in wildlife. My book Wildlife Photography deals with exoticisms in an urban context and, if at all, mocks the connotations of the genre. And the butterflies, to me, also have very little to do with wildlife but rather with dreaming, with questions about about places right here and now and not so much ‘out there’. Even if I make use of the rhetoric, the last thing I aim to do is to show strange and wondrous things from far away – which, essentially, is what wildlife photography is all about. I’d rather look at where the strangeness and wonder is in the here and now.
BJP: You’ve worked with the same designer and publisher in all your books, why is that?
PH: I’ve worked with The Green Box Kunsteditionen all along – generally we work very well on a personal level, and I enjoy building lasting professional relationships. The books we have made so far all have a very unique value to me, and they all came about due to the dialogue I had with the publisher, Anja Lutz. Obviously it can be a bit painful to have someone else have thoughts about your work, but Anja has always put me in the right direction and really pushed me during the process. It’s not always easy in the moment but very enjoyable once done! Plus I always enjoy swinging by their office for a coffee as they are located in a super beautiful compound, St. Agnes, in Berlin-Kreuzberg.
The book, to me, is an extension of my practice as an image-maker. I think it looks into how contemporary photography can be pushed further by rather traditional means while also retaining a strong connection to my rather lyrical practice. I think one is unsure of what’s actually real [in my work] and this sort of magical realism is a place I feel increasingly comfortable in.
BJP: You’ve also had a lot of success with your exhibitions. How do you approach them?
PH: As with books exhibitions can be tricky, but it’s always incredibly enjoyable to see the work on the wall, interacting with other things and objects around it. There are obviously always the practical issues of space and budget, but generally I have two or three things I stick to – I enjoy working in sequences, and having images lined up in in a row at various distances but at the same height.
To me it can sometimes be a cm or two which makes all the difference. I enjoy having it slightly ‘off‘, not chasing the perfect harmony which then loses all traction. I like to have it formal but still weird. I think it’s easy to overdo presentation and I often see that in exhibitions. There’s a German term for it – Kunstwille, Der Wille zur Kunst, to the intention of making art. If it’s too obvious that you’re trying, the work falls apart somehow.
Books are very different because they are obviously read from a to z, and not perceived simultaneously. With the books I always try to form a loose narrative; in exhibitions I frequently let go of that and work with the overall feeling I want to get across. Both are equally bittersweet!
published in British Journal of Photography, online edition, 2017
www.bjp-online.com/paul-hutchinson-on-shooting-b-boys-butterflies-and-u-bahnhofs
Schmetterlinge
Press text
Following up on Wildlife Photography, Schmetterlinge is the second volume of a series of small-scale publications which Paul Hutchinson conceived in collaboration with The Green Box. In these books Hutchinson looks at seemingly banal situations and circumstances that, however disregarded, carry a deeper meaning and noteworthiness to the artist.
Inspired by the butterflies’ magical realism in-midst of the grey structures of east Asian cityscapes, Hutchinson creates images of a seemingly absurd beauty which question the conventional borders of fiction and reality. We see butterflies surrounded by plants and abstract shapes, collaged with manga-themes and QR-codes, next to cigarettes, iPhones and plastic bottles. By applying a playful thought to the act of image-making, Hutchinson opens up a space in which this well known subject can be interpreted fully anew. These images, created through performative actions, evoke their very own sense of aesthetics and bare witness to the urban-poetic feel which is inherent to Hutchinson’s work.
Schmetterlinge ist nach Wildlife Photography der zweite Band in einer Reihe kleinformatiger Publikationen von Paul Hutchinson, die er mit The Green Box entwickelt hat. In ihnen setzt sich Hutchinson mit Situationen und Gegebenheiten auseinander, die vermeintlich banal, für den Künstler jedoch von eigenartiger Besonderheit und Bedeutung sind.
Inspiriert von der magischen Realität der Schmetterlinge inmitten grauer Strukturen der städtischen Räume Ostasiens, kreiert Hutchinson in seinen Bildern eine absurd anmutende Schönheit, die darüber wundern lässt, wo die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit verläuft. Wir sehen Schmetterlinge umgeben von Pflanzen und abstrakten Strukturen, collagiert mit Manga-Motiven und QR-Codes, neben Zigaretten, iPhones und Plastikflaschen. Durch bewusstes Spielen mit der Bildgestaltung legt Hutchinson hierbei einen Raum frei um dieses wohlbekannte Sujet neu zu deuten. Die durch performative Prozesse entstandenen Bilder evozieren eine individuelle Form der Ästhetik und zeugen von dem poetisch-urbanen Lebensgefühl, das sich durch Hutchinsons Arbeit zieht
www.thegreenbox.net/en/books/schmetterlinge
Wildlife Photography
Press text
In his second monograph, Paul Hutchinson looks at an underground station in the Neukölln district of Berlin. Wildlife Photography is a playful journey into an every-day appearance of exoticism.
In 2014 the interior design of the U-Bahnhof Hermannstraße had suddenly been overhauled: aiming to avoid further potential spaces for graffiti, the train station was redesigned into a lively jungle scape. The columns, walls, doors, the tiles and floors, were filled with colorful illustrations, merging into large frescos that cover the inside of the station. Hutchinson has taken this as starting point for a conversation with the mindset behind the illustrations and to hint at the socio-urban context in which this jungle has been placed: originally a laborers’ stronghold, the immediate environment of the train station is still quite far from being gentrified, the inhabitants by now mainly of non-German descent.As an eager customer of Berlin’s public transport system and part of the local community Hutchinson, as most of his neighbours, at some point was unable to stop asking himself what this jungle was all about. Where do the monkeys, tigers and parrots come from, and what are they looking for here, underground?
In this publication images from the U-Bahnhof are juxtaposed with seemingly ‘real exotic’ pictures. A fake jungle is placed next to a real one: we see a real butterfly next to a fake anteater, an illustrated bird meeting his live counterfeit, observe a girl in a leopard suit dancing. All this while the architecture of a public space merges with depictions of animals that radiate their own photo-ethnographic feel – and with graffiti.
While Paul Hutchinson’s first publication with The Green Box mainly looked at something familiar to him within a foreign setting – Hip Hop culture in India –, this artist book investigates something utterly foreign within an environment he feels only natural about – a Berlin underground station.
In seiner zweiten Monographie widmet Paul Hutchinson seine Aufmerksamkeit einem U-Bahnhof in Berlin-Neukölln. Wildlife Photography ist eine verspielte Auseinandersetzung mit dem Erscheinungsbild eines alltäglichen Exotismus.
Die Gestaltung des Innenbereiches des U-Bahnhofs Hermannstraße wurde 2014 zur vermeintlichen Graffitibekämpfung in eine utopisch anmutende Dschungellandschaft konvertiert – die Säulen, Wände, Türen mit bunten Illustrationen geschmückt, die Fliesen zu großflächigen Wandbildern vereint. Hutchinson nimmt sich dieses Sujet als Auftakt, um einen Dialog mit der Gedankenwelt hinter den Illustrationen zu beginnen und auf den urban-sozialen Kontext einzugehen, in dem dieser Dschungel platziert wurde: Als ehemaliges Arbeiterviertel steht die unmittelbare Nachbarschaft des U-Bahnhofes auch heute noch überwiegend vor der Gentrifizierung, die Bewohner des Viertels sind mittlerweile größtenteils nicht deutscher Herkunft.
Als treuer Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel und Teil der lokalen Gemeinschaft konnte Hutchinson, wie viele seiner Nachbarn, ab einem gewissen Punkt der Frage nach der Bedeutung des Urwaldes nicht mehr ausweichen. Woher kommen die Affen, Tiger, Papageien, und wonach suchen sie hier, im Untergrund?
In dem Künstlerbuch werden Aufnahmen aus dem U-Bahnhof mit weiteren, vermeintlich ‚fremdartigen‘ Motiven in Verbindung gesetzt. Ein falscher Dschungel steht einem echten gegenüber: Man erkennt einen realen Schmetterling neben einem falschen Ameisenbär, ein lebendiger Vogel trifft auf sein illustriertesPendant, ein Mädchen im Leopardenanzug tanzt. Dabei verschmilzt die Architektur eines öffentlichen Raumes mit foto-ethnografisch anmutenden Tierdarstellungen – und mit Graffiti.
Nachdem Paul Hutchinson in seiner ersten Publikation mit The Green Box vorrangig etwas für ihn Bekanntes innerhalb eines fremden Kontextes betrachtet hat – Hip Hop Kultur in Indien –, setzt er sich nun mit etwas gänzlich Fremdem innerhalb einer für ihn nur natürlichen Umgebung auseinander – einem Berliner U-Bahnhof.
www.thegreenbox.net/en/books/wildlife-photography
Impenetrable Thickets
Shahin Zarinbal
Infrastructure is at the core of any modern city. Urbanity, therefore, is the linking of structures: the suppression of individual trajectories in favour of a collective movement. At the last stop of Berlin’s underground line U8, in a culturally diverse, still quite gritty and yet, by now, partly gentrified part of Neukölln, monkeys, tigers, parrots and okapis have taken over the walls. Since measures have been taken by the city to redesign the interior of the transport hub, it feels like stepping into a jungle full of wondrous animals such as you would find in a children’s picture book.
Impenetrable thickets, raging streams and distant howls lie within this dense wilderness. It’s quite peculiar to see tigers coming out of their hiding and silently observe elephants roaming through a valley, underground. And suddenly stainless steel bars cut through the sky and the animals’ bodies. The architecture of the U-Bahnhof violently intrudes, the surfaces, signs and outposts of civilisation, the trash bins, doors and emergency buttons appear in the midst of a lush vegetation.
Wildlife Photography is a social and visual jour- ney that navigates us through one of the most commonly used non-places: an underground station. These images, both in their original appearance and in Paul Hutchinson’s photo- graphs, however different, give a certain sense of what nature is, or has become, to us urban- ites: how we mimic and refer to it as a world that we are estranged from but so badly long to keep in touch with. After all, the U-Bahnhof Hermannstraße in its present form might be one of the most literal realisations of the metaphor of the urban jungle. Hutchinson roams along these subjects whilst in transit, not shying away from using the full digital zoom of his phone camera, whenever the situation demands.
Some images seem to examine the intentions of the makers of this jungle, while others play with the idea that an abundant nature has been confined by human means, physically and visu- ally. Here, nature somehow pushes back softly. By juxtaposing the context and subtext of the architectural items, the pillars and floors, the tiling and doors, the discontinued surfaces, Hutchinson creates circumstances in which the constellations themselves gain new meaning and authority, eventually transforming a given setting into a comment on the state of the world. Curiously observing, putting judgement aside, he extracts moments of candour in this patched-up scenery, turning it against itself, as if holding up a mirror to see the unexpected, noisy beauty of the urban jungle life. He is on a photo safari.
Meanwhile, some images are scattered distinc- tively throughout the book, evidently taken over ground, interrupting the stream of public order and disorder: a “real” plant, a “real” girl in a leop- ard jumpsuit, a butterfly, a hand feeling a leaf. Inward goes outward goes inward, it seems, and we learn that one other thing Hutchinson seems to be concerned with is conveying the seem- ingly banal but ultimately essential experience of growing familiar with formerly alien subjects and situations. And this sense of wonder, beauty and belonging, translated into an urban jungle where everything has been seen a million times, is maybe what Wildlife Photography is all about.
Back in the U-Bahnhof we see these funny animals in their natural habitat, looking at us as if we were around just to enjoy their sheer presence. As if they were there to make us happy and optimistic about the future. They seem to have accommodated our need to put bins and benches and fire extinguishers in their jungle, and they even seem fine with a tag on their face. The jungle, we learn, is a human experience.
published in Wildlife Photography, The Green Box Publishing, 2017
Paul’s Nature Books
Nikolas Ventourakis
With Paul we met during our MA at Central Saint Martins in London. He’s from Berlin – no, really, he did actually grow up there! – and his way of working could not be more radically different that mine. He is impulsive, present and connects with people. His eye is examining, but also he prefers not to overanalyse in advance. There is wonder about the world in his photography. His two most recent books are titled Wildlife Photography and Schmetterlinge (Butterflies). In his own words, in an interview he gave, he is not interested in nature photography or the exotic. Sometime his work – because it takes place in faraway places – might seem to simply depict the orient and the savant. That, however, is not true. His work is very urban and the rythm of the city is apparent. A couple of years ago he was visiting Athens and it was the first time I saw him working in the field. He was dancing. Whenever I find myself in a place I deal with the narratives that pre-exist within me and I spend more time analysing those in contrast to the physicality of my presence. Paul dives straight in and through his process analysis the environment around him.
Paul Hutchinson (b.1987) is an artist living and working in Berlin. He is a graduate of University of the Arts, Berlin, GER and Central Saint Martins College of Art and Design, London, UK. He has published three books with The Green Box. He has exhibited widely and is currently the selected artist for the Deutsche Oper Berlincommission. His accolades include selection for the Berlin Masters, the Ilse-Augustin-Foundation grant and the Eberhard Roters Grant for Young Art 2016.
published in Der Greif, online, 2017
www.dergreif-online.de/artist-blog/pauls-nature-books
8 quadrat
Pressetext
Paul Hutchinson setzt sich in seiner Arbeit mit Phänomenen auseinander, die die unmittelbare Umgebung seiner eignen Lebenswelt durchwalten. Seine Werke sind stille Beobachtungen einer Welt, die von Momenten der Intimität, einer zarten Imperfektion der Realität und eines urbanen Lebensgefühls durchzogen sind. Hutchinsons Bildern wohnt dabei ein Wirklichkeitsdrang inne, der die Zwiespältigkeit dieser Wirklichkeit anerkennt und nicht nivelliert. Zwischen dieser poetischen Zerbrechlichkeit und einer gewissen Rohheit der Existenz untersuchen seine Bilder präzise die Bedeutungen, die wir tagtäglich soziokulturellen Phänomenen geben, und die teilweise auch außerhalb der Sphäre des Einzelnen stehen. Gleichzeitig steht das Individuum mit all seiner Verwundbarkeit, Fehlbarkeit und nicht zuletzt seiner Schönheit oftmals im Zentrum des Interesses.
In “nett sind die spasten alle” zeigt Hutchinson erstmals Texte, die seine Fotografien begleiten. Teilweise in der Form eines lyrischen Gesprächs mit einem früheren Selbst reflektiert Hutchinson Momente aus seiner Jugend, die ihm damals wie heute, wenn auch unter anderen Vorzeichen, fragwürdig erscheinen. Andere hier gezeigte Texte sind wiederum Beobachtungen und Hinterfragungen des alltägliche Umgangs von Menschen miteinander. Dabei geht es in einem großen Maß darum zu zeigen, wie bestimmte Formen des Sprachgebrauchs darauf angelegt sind, soziale Trennungen deutlich zu machen anstatt diese aufzuheben.
Bei Hutchinson, ob in Bildern oder wie hier auch in Texten, ist ein Realismus am Werk, der scheinbar vergänglichen Momenten ihr Potenzial für eine größere Erzählung entlockt.
www.8q-cologne.de/exhibitions/paul-hutchinson-nett-sind-die-spasten-alle
Eberhard Roters Grant for Young Art
Press Text
In cooperation with Stiftung Preußische Seehandlung, Berlinische Galerie awards the Eberhard Roters Grant for Young Art to Berlin-based photographer Paul Hutchinson. On behalf of this occasion Berlinische Galerie will showcase a small work presentation between 14-20 October in its auditorium.
German-Irish Paul Hutchinson was born in Berlin in 1987 and grew up during the city´s post-reunification period. He studied at Berlin University of the Arts and Central St. Martins College of Art and Design, London. The young photographer has thus far worked in New York, Barcelona, Rio de Janeiro and most recently Bangalore.
As a teenager Paul Hutchinson has been of Berlin’s Hip Hop scene of the 1990’s. This urban youth culture he now approaches as an attentive observer: On behalf of an invitation by the Goethe Institute, for his first monograph “B-Boys, Fly Girls & Horticulture“ Hutchinson worked with the local Hip Hop scene in Bangalore, India. The resulting artist book, its concept and design, as much as the self-conscious work methods of the young artist, strongly convinced the jury.
Hutchinson’s photographs oscillate between documentary and poetics. What might at first sight seem like a spontaneous snapshot, is a carefully composed photographic expression, an aesthetic that speaks of inner motion through color and form. Often Hutchinson works specifically with the denial of individualizing information: The subjects turn away, their faces are covered or cut off, in group pictures juveniles merge to singular, intertwining shapes. Especially through details - the seemingly banal or very personal associations - Hutchinson achieves to convey a vivid and over-individualized characterization of a subculture. The artist pushes the boundaries of the medium so far that his images develop a painterly substance.
Zusammen mit der Stiftung Preußische Seehandlung vergibt die Berlinische Galerie im Oktober das Eberhard Roters-Stipendium für Junge Kunst an den in Berlin lebenden Fotografen Paul Hutchinson. Aus diesem Anlass wird vom 14. bis 20. Oktober 2016 eine kleine Werkauswahl im Auditorium der Berlinischen Galerie präsentiert.
Paul Hutchinson (*1987) wuchs als Deutsch-Ire im Berlin der Nachwende-Zeit auf und studierte dort an der Universität der Künste sowie an der Saint Martins Universität der Künste in London. Anschließend arbeitete er in New York, Barcelona, Rio de Janeiro und zuletzt Bangalore.
Als Jugendlicher war der Fotograf Teil der Berliner Hip-Hop-Szene der 1990er-Jahre. Dieser urbanen Jugendkultur nähert er sich heute als aufmerksamer Beobachter: Für seine erste Monografie „BBoys, Fly Girls & Horticulture“ fotografierte Hutchinson auf Einladung des Goethe-Instituts Jugendliche der Hip-Hop-Szene in Bangalore. Das in der Folge des Aufenthalts entstandene Künstlerbuch, dessen Aufbau und Gestaltung sowie die reflektierte Herangehensweise des jungen Künstlers überzeugte die Jury nachhaltig.
Hutchinsons Fotografien schwanken zwischen dokumentarischer und poetisch-künstlerischer Ästhetik. Was auf den ersten Blick scheint, wie eine spontane Momentaufnahme, ist vielmehr ein sorgsame fotografische Komposition. Häufig arbeitet Hutchinson gerade mit dem gezielten Entzug von individualisierender Information. Die Porträtierten wenden ihre Köpfe ab, ihre Gesichter sind verdeckt oder beschnitten, in Gruppenporträts scheinen die Jugendlichen zu einer Gesamtheit zu verschmelzen. Gerade über das Detail, die vermeintliche Nebensächlichkeit, eine persönliche Assoziation, das Fehlen des einzelnen Gesichts entsteht die sinnlich erlebbare und überindividuelle Charakterisierung der Subkultur. Der Künstler reizt die Grenzen des Mediums so weit aus, dass seine Fotografien eine malerische Anmutung entwickeln.
www.berlinischegalerie.de/eberhard-roters-stipendium
Stiftung Preussische Seehandlung
Press Text
"Eberhard Roters-Stipendium für Junge Kunst" 2016 vergeben Die Stiftung Preußische Seehandlung hat den in Berlin lebenden Fotografen Paul Hutchinson mit dem "Eberhard Roters-Stipendium für Junge Kunst" 2016 ausgezeichnet. Das Stipendium ist von der Stiftung 1999 zu Ehren und im Andenken an den Gründer der Berlinischen Galerie, Eberhard Roters (1929 - 1994), errichtet worden. Es dient der Förderung aktueller junger Bildender Kunst in Deutschland, wird von der Stiftung Preußische Seehandlung im Zusammenwirken mit der Berlinischen Galerie - Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur – verliehen und ist mit insgesamt 15.500 EUR dotiert. Die Dotation beinhaltet ein Jahresstipendium für den Künstler und den Ankauf eines seiner Werke für die Berlinische Galerie.
Der Jury gehören an: Dr. Thomas Köhler, Direktor der Berlinischen Galerie, Ulrike Kremeier, Direktorin des Kunstmuseums Dieselkraftwerk Cottbus, Prof. Mark Lammert, Universität der Künste Berlin sowie - mit beratender Stimme - der Berliner Galerist Olaf Stüber. In der Jurybegründung heißt es: "Paul Hutchinson (*1987) wuchs als Deutsch-Ire im Berlin der Nachwende-Zeit auf und studierte dort an der Universität der Künste sowie an der Saint Martins Universität der Künste in London. Anschließend arbeitete er in New York, Barcelona, Rio de Janeiro und zuletzt Bangalore. Als Jugendlicher war der Fotograf Teil der Berliner Hip-Hop-Szene der 1990er-Jahre. Dieser urbanen Jugendkultur nähert er sich heute als aufmerksamer Beobachter: Für seine erste Monografie „BBoys, Fly Girls & Horticulture“ fotografierte Hutchinson auf Einladung des Goethe-Instituts Jugendliche der Hip-Hop-Szene in Bangalore. Das in der Folge des Aufenthaltes entstandene Künstlerbuch, dessen Aufbau und Gestaltung sowie die reflektierte Herangehensweise des jungen Künstlers überzeugte die Jury nachhaltig. Hutchinsons Fotografien schwanken zwischen dokumentarischer und poetisch-künstlerischer Ästhetik. Was auf den ersten Blick scheint, wie eine spontane Momentaufnahme, ist vielmehr ein sorgsame fotografische Komposition. Häufig arbeitet Hutchinson gerade mit dem gezielten Entzug von individualisierender Information. Die Porträtierten wenden ihre Köpfe ab, ihre Gesichter sind verdeckt oder beschnitten, in Gruppenporträts scheinen die Jugendlichen zu einer Gesamtheit zu verschmelzen. Gerade über das Detail, die vermeintliche Nebensächlichkeit, eine persönliche Assoziation, das Fehlen des einzelnen Gesichts entsteht die sinnlich erlebbare und überindividuelle Charakterisierung der Subkultur. Durch die ausschnitthafte Charakterisierung ihrer Oberflächen reizt der Künstler die Grenzen des Mediums so weit aus, dass seine Fotografien eine malerische Anmutung entwickeln." Das Eberhard Roters-Stipendium wird Paul Hutchinson im Herbst in der Berlinischen Galerie verliehen.
A camera, fried chicken and 90's Hip Hop
Interview with Julia Karpova for 1Granary
Paul Hutchinson is a Berlin-based photographer and CSM graduate. B boys, Fly Girls & Horticulture is his latest published project and explores the relationship between plants and Hip Hop through a developing style that is a delicious fusion of poetics and documentary. In this interview, Paul gives us an intimate view of the hip-hop subculture in Berlin and India and what it means to be a Hip Hop kid in the 90s.
Paul went to Berlin’s Universität der Künste to do a design/communication degree that he then followed by an MA in photography at Central Saint Martins, but his education did not end there; spending a year studying in Spain during his bachelors was the tipping point in his photographic career. “This is, mainly, where I started to discover photography more seriously, spending time in the darkroom while my mates went to the beach.” Despite his fruitful education, Paul believes that the courses one has graduated from are not the main learning curves that bring success, stating that for him it is “just a fraction of things” while, for establishing an understanding of his own work, and of the work of others, “ conversations with people I have met equally within and outside of academic institutions” were a great deal more pivotal.
When asked how he got to become a photographer, Paul simply admits that he doesn’t really know. He approaches photography as a way to “make sense of the place that [he’s] in” and distances himself from professional photographers, admitting that they would probably “restrain from calling me their equal”.
Upon asking Hutchinson how he feels about his return to Berlin, he tells me “I just moved back to my hometown, really” — he doesn’t associate himself with the new wave of young creatives emerging in the city, although he agrees that it “would have been interesting” to be a part of that experience. On the plus side, moving back to Berlin rather than staying in London was “definitely different work-wise” due to the affordable studio prices. Having a studio “in London would have been impossible.”
“TO BE HONEST, I HOPE THAT ONLY VERY FEW OF MY PICTURES ARE CLEAR ABOUT WHERE THEY ORIGINATE FROM, IN WHICH CONTEXT THEY WERE CREATED.”
His initial drive to take pictures emerged from his personal experiences of being a part of the hip hop scene in 90s Berlin. Plus, like the rest of us, Paul is concerned with the struggle of getting “to the gist of this thing called you” in his work. Explaining that he finds it “difficult what one can talk about”, and personally only feels comfortable approaching things that are very close or dear to him. This intimate, natural honesty radiates throughout his work and challenges the difficulties of being true to oneself, seeking these “quite pure sensations” that we may feel when we try to figure out who we are.
These feelings came about when Paul returned to Berlin in 2014 and “met some of the people from back then” which sparked a memory of being a teenager in the time when Hip Hop played a big role in his life. He recalled the clothes, the music, the community, without being nostalgic about it, or, as he puts it: “rather an ‘ah, wow’. I had forgotten how intense it felt back then”. These experiences eventually led to a heightened curiosity, making him wonder if he “could convey this form of sensuality with images”, which started his photographic project.
The result, his book B boys, Fly Girls & Horticulture, is centered around a deep exploration of the Hip Hop scene in both Germany and India: A way of revisiting his past involvement in the subculture as an attentive observer of today’s youth.
The one photograph that really stands out from B boys, Fly Girls & Horticulture simply pictures fried chicken in aluminum foil, and Paul’s analysis of it is even more intriguing. What this close-up photograph reveals to us about Hip Hop subculture might be obscure, but Paul confirms that he prefers it that way – “to be honest, I hope that only very few of my pictures are clear about where they originate from, in which context they were created”. He contextualises it further, describing “the somewhat half-seducing, half-appalling visual opulence of it – while referencing a so-called ‘low-culture’ cliché.” This particular ‘low-culture’ cliché took place during a recording session with a couple of mates, when they were on a break. The story however, has little meaning to the photograph when it’s placed in a different context. Paul says that in a place of its own, the reference to Hip Hop wouldn’t be as immediate. And it is indeed this form of ambiguity and openness that he aims to achieve in his work, leaving the viewer with a flirtatious “it could be X, but it could also be…”
“EACH PICTURE CARRIES A UNIQUE ENERGY.”
When asked about the relationship between the abstracted close up shots and breakdancing subculture, Paul simply laughs and admits that “actually the level of abstraction in my work really says zero about the culture of breakdancing. I wouldn’t go as far as making this reference.” Instead, he observes that the abstraction in his photographs is more a means of conveying his “gut feeling,” “a haptic impression which works against the borders of what a two-dimensional medium can do”. Spontaneity and play is important in the production of his photographs. He uses this freedom as a way to displease “common Hip Hop imagery”, and to test how far he can get with “this thing called camera”, but does not consider it to be a conceptual translation culture itself.
B -Boys, Fly Girls & Horticulture is at its core juxtapositions between plants and Hip Hop imagery, a way of “comparing mechanisms of botany to those of a globalized subculture”. The editing of the book and placement of each photograph is not only based on the visual content or the forms created by the break-dancer’s bodies – “each picture carries a unique energy” as well. Still, the assemblages present in the book are fascinating in their own right. The photographs represent conscious decisions and yet “in contrast to the more thought-through, conceptual idea of placing plants next to hip hop imagery, the final juxtapositions are plainly conceived by intuition.” Paul welcomes the spontaneous method of editing: “there’s no ‘ah this flower shape goes there, and his arm here, this will so work’ game plan”. He is more intrigued by seeing what “the pictures do to each other, if they activate one another, open up one another, or close each other down”. As for the blank spaces, which are equally as important to Paul, he asks “what happens there, in between things?” – urging us to reflect on what the blank, white space in between the photographs and their borders does to the page.
Speaking about the contextualization of his book in Berlin, Paul gives us a lot of food for thought: “as westerners we grow up with certain images in mind of places like India, Asia, Africa etc… This almost comfortable belief in their otherness.” He challenges the western view by partnering photographs of Berlin next to the South Indian jungle in a way that plays with our conception of cultures. Judging by the reception of B boys, Fly Girls & Horticulture in his hometown, Paul thinks that “a tiny part of the audience here feels a form of questionable relief á la ‘finally, they’re getting there’ while another part sees exactly this process as highly problematic.” Photographs from a country such as India which show to an extent “how similar we all can be in this globalized world” make some people feel uncomfortable.
While wrapping up the interview, we found out that Paul is working on his next publication, due in the summer, which promises to be “very different to the last book”, something that gets him very excited. His other plans for the foreseeable future include spending some time in Paris, amongst other projects.
To conclude, as there is never enough music, we asked Paul for his Hip Hop recommendations and he came back with his list of classics we should all listen to at least once in our lifetime:
“I can only speak about the things I like, which are definitely the first 2-3 The Streets albums, all of A Tribe Called Quest, J Dilla is there obviously, famous things like B.I.G, Dre, or early Jay-Z I also like, also early Eminem, currently I’m listening a lot to the latest Kendrick Lamar album which is the first U.S. album I’ve enjoyed for a long time, also can’t really stop with Badbadnotgood and Ghostface Killah which I think is an incredible release. But obviously I also listen to lots of other things which are everything but Hip Hop.”
…and then he adds, “Ah, and the other day a friend showed me a Japanese Hip Hop artist called ‘Gebo’ which, to my ears, does pretty crazy things that I really enjoyed.”
www.1granary.com/interviews/paul-hutchinson
Was hat ein in Alufolie gewickeltes Brathühnchen mit Subkultur zu tun?
Interview mit iD-Germany
Wir haben mit dem Fotografen Paul Hutchinson über Jugendkulturen, die HipHop-Szene der 90er und Blumen gesprochen.
Was haben Berlin und Indien gemeinsam? Eine HipHop-Szene, die fasziniert. "Oberflächlich gesehen ist HipHop in Indien im Jahr 2015 das, was es in Deutschland im Jahr 1995 war", erzählt der Fotograf Paul Hutchinson im Interview. Er verbrachte einige Zeit in Bangalore, freundete sich mit den HipHop Kids an, die sich grade erst zusammenfinden, und fotografierte sie. Gemischt mit zahlreichen Aufnahmen von Pflanzen aus dem Botanischen Garten sind diese in seinem Buch "B-Boys, Fly Girls & Horticulture" zu finden, das heute im Museumscafé Dix in der Berlinischen Galerie präsentiert wird. Was Blumen und HipHop gemeinsam haben, erzählt er im Interview.
Erzähl uns ein bisschen etwas zur Idee deines neuen Buches "B-Boys, Fly Girls & Horticulture". Wann und wie entstand die Idee dazu? Wie lange hast du daran gearbeitet?
Ich bin im Somer 2014, nach zwei Jahren in London, wieder zurück nach Berlin gezogen. Ich bin hier aufgewachsen und für mich war irgendwann klar, dass ich Berlin und nicht London als Basis für mein zukünftiges Arbeiten wählen möchte. Nach meiner Rückkehr hab ich einige alte Bekannte wiedergetroffen, die immer noch Teil der HipHop-Szene sind. Ich selbst hatte über die Jahre gefühlt immer weniger mit aktuellem HipHop zu tun, aber als ich die Leute von damals wiedergetroffen habe, hat das irgendwas bei mir ausgelöst. Eine Art Erinnerung, ein positives Zurückdenken, ohne Nostalgie sondern eher ein überraschtes "Wow, das war ja auch mal Teil deines Lebens". Und für mich war es wichtig, dieser persönlichen Erfahrung eine Form zu geben, dem Gefühl, das auch gerne mit den verbreiten Klischees bricht. Wo bin ich und wo war ich in diesem Kontext? Was gibt mir das, wie fühlt sich das an? Was hat ein in Alufolie gewickeltes Brathühnchen mit Subkultur zu tun? Für mich viel. Ich habe schnell gemerkt, dass es für mich eine gewisse Tiefe und Potential hat. So habe ich schließlich über circa ein Jahr hinweg Ausstellungs- und Buchprojekte entwickelt.
Du warst in den 90er Jahren selbst in den HipHop-Kreisen Berlins unterwegs, wie sehr hat dies eine Rolle für das Buch gespielt?
Natürlich war meine persönliche Erfahrung als Jugendlicher in Berlin irgendwo Ursprung für das Buch. Nur aufgrund der Person, die ich damals war, habe ich überhaupt Interesse und ein Bewusstsein für das Thema. Aber letztendlich hat mich, so wie bei uns allen, nicht nur eine Sache geprägt, sondern die Vielfalt aller Erfahrungen in meinem Leben. Es ist mir wichtig, meine Arbeit nicht über HipHop zu definieren, denn das Thema ist vielmehr eine Oberfläche, auf der ich mich in dieser Publikation bewege, eine Perspektive, die ich einnehme, Teil eines größeren Ganzen.
Haben wir heutzutage noch eine HipHop-Kultur wie in den 90ern? Worin unterscheidet sie sich?
Ich möchte keine vermeintliche Autorität einnehmen, das objektiv zu beurteilen, das kann ich schlichtweg nicht. Ich kann nur sagen, dass mich persönlich wenig Sachen so berührt haben wie damals Tribe Called Quest, J Dilla oder early The Streets. Wobei ich nicht sagen möchte, dass damals alles besser war. Es ist nur klar, dass sich HipHop immer mehr zu einer Popindustrie, einem Produkt des westlichen Kapitalismus entwickelt hat. Was weder gut noch schlecht ist, nur anders. Es gibt mehr Marken, und es gibt mehr Fans. Und: mehr Musik.
Was hat es mit dem Titel auf sich?
B-Boys, Fly Girls & Horticulture bezieht sich auf das, was man hauptsächlich in dem Buch sieht: Breakdancer und Pflanzen.
Du beschäftigst dich im Buch mit der HipHop-Szene in Deutschland und in Indien. Was haben sie gemeinsam und worin unterscheiden sie sich?
Oberflächlich gesehen ist HipHop in Indien im Jahr 2015 das, was es in Deutschland im Jahr 1995 war. Es steht am Anfang und ist super interessant zu beobachten. Die Kids sind motiviert und bauen sich ihre eigene Subkultur und darüber auch eine eigene Identität auf. Sie machen Musik in ihren eigenen Sprachen. Natürlich ist der Kontext komplett verschieden. Ich gehe in Indien nach einem Treffen mit Leuten auf die Straße, habe zuvor in einem IKEA Wohnzimmergespräche in meiner zweiten Muttersprache (ich bin Halb-Ire) über Kendrick Lamar geführt, was auch irgendwo in Kreuzberg hätte passieren können. Aber eigentlich bin ich in Indien. In all seiner Unbeschreibbarkeit. Und mir fällt ein, ach ja, stimmt ja, da sind ja noch die anderen 1,2 Milliarden Menschen und tatsächlich erfasse ich davon nichts.
Auch Pflanzen spielen eine Rolle. Wie kam es dazu? Worin besteht die Verbindung?
Es ist ein konzeptueller Gedanke: Durch die Künstlerresidenz des Goethe Instituts in Bangalore habe ich unweit vom Botanischen Garten, The Lal Bagh Botanical Gardens, gewohnt, welcher einer der imposantesten Indiens ist. Die ansässige Schule für Hortikultur betreut eine der artenreichsten Pflanzen- und Baumsammlungen im Land und setzt sich vorrangig mit der Eingliederung und Betreuung von Fremdkulturen auseinander. Ich mag Pflanzen sehr gerne und konnte nach Gesprächen mit den Botanikern und Wissenschaftlern vor Ort ein Sinnbild für die Entwicklung von und im Umgang mit HipHop erkennen. Einer fremden Spezies innerhalb einer unnatürlichen Umwelt. Es ist eine gröbere Auseinandersetzung mit Exotismus und dem Umgang damit. Es geht auch um das Bewusstsein als weißer, westlicher, männlicher Fotograf, Jugendliche in Indien zu fotografieren. Was in sich politisch extrem aufgeladen ist.
Jugendkultur ist ein Wort, das immer wieder auftaucht, wenn man dein Buch recherchiert. Wie definierst du persönlich "Jugendkultur"?
Ich denke, es ist ein Identifikationsmerkmal zu einer Zeit im Leben, in der wenige schon ganz für sich selbst stehen. Eine Gruppe bietet einen haltenden Rahmen. Wie auch immer dieser aussehen mag.
Was steht in naher Zukunft bei dir an?
Als nächstes würde ich gerne HipHop in Japan, Simbabwe und Venezuela fotografieren. Nein, Scherz. Ich setze mich aber grade tatsächlich im weitesten Sinne intensiver mit Exotismus auseinander, habe eine neue grobe Buchidee, aber noch nichts Spruchreifes. Ich werde nicht der 97. Fotograf sein, der Flüchtlinge fotografiert, aber eine Auseinandersetzung mit der Situation in Deutschland ist natürlich nicht unwichtig. Aber vielleicht fotografiere ich auch einfach wieder Blumen.
www.i-d.vice.com/was-hat-ein-in-alufolie-gewickeltes-brathaehnchen-mit-subkultur-zu-tun
B-Boys, Fly Girls & Horticulture
Press text
The book B-Boys, Fly Girls & Horticulture documents the photo project by Paul Hutchinson dedicated to the Hip Hop scene in Germany and India. The photographer grew up in a post fall-of-the-wall Berlin and used to be part of the Hip Hop circles in the 90s. Now he approaches this youth culture as an attentive observer.
In his work, Paul Hutchinson shows the subculture as a sensuous experience. Through his both sober and sensitive photographic look he provides the insights into the daily life, surroundings and individual stories of the young hip-hoppers. For his portraits, he keeps taking new perspectives showing the juveniles as immersed, almost isolated individuals. The rhythm and motion that are commonly associated with this music and dance culture are only indicated through their attributes while the real ambience is created by carefully chosen details. An overall image emerges from this nonlinear narrative and the fragmentary shots convey a genuine impression.
The young photographer develops his own style that combines documentary and poetics and expresses the inner motion through the aesthetics of colour and form. The pictures from the Botanical Garden in Bangalore are presented alongside the pictures of the Hip Hop scene. They serve as a metaphorical imagery to explore the idea of 'exoticism' that corresponds with the 'foreignness' of the Hip Hop culture in India.
'But it is this spirit of negating all pragmatic circumstances, of pushing on and on, affirming life, that I found so inspiring while working amongst the youngsters in east and west.' (Paul Hutchinson in B-Boys, Fly Girls & Horticulture, 2015)
Das Buch B-Boys, Fly Girls & Horticulture dokumentiert das Fotoprojekt von Paul Hutchinson, das der Hip-Hop-Szene in Deutschland und Indien gewidmet ist. Der Fotograf ist im Berlin der Nachwendezeit aufgewachsen und war in den 90er Jahren selbst in Hip-Hop-Kreisen unterwegs. Nun beschäftigt er sich als aufmerksamer Beobachter mit dieser Jugendkultur.
Die Subkultur als eine Art Lebensgefühl darzustellen ist dabei sein Ziel. Mit einem nüchternen, aber zugleich empfindsamen fotografischen Blick liefert Paul Hutchinson Einblicke in den Alltag, die Umgebung und individuelle Geschichten der jungen Hip-Hopper. Die Portraits, für die er immer wieder neue Perspektiven findet, zeigen in sich versunkene, fast isoliert anmutende Jugendliche. Rhythmus und Bewegung, die klassisch mit dem Thema assoziiert werden, sind nur durch ihre Attribute angedeutet. Die eigentliche Stimmung wird dabei durch präzise ausgesuchte Details wiedergegeben. So entsteht aus einer nicht-linearen Erzählung ein Gesamtbild und die fragmentarischen Einblicke vermitteln die authentische Atmosphäre.
Der junge Fotograf entwickelt seine dokumentar-poetische Handschrift, in der die Ästhetik der Farben und Formen die inneren Bewegungen zum Ausdruck bringt. Parallel zu den Bildern der Hip-Hop-Szene stehen die Aufnahmen aus dem Botanischen Garten in Bangalore, anhand derer Paul Hutchinson das Phänomen des "Exotismus" erforscht und mit der für Indien "fremden" Hip-Hop-Kultur in Verbindung setzt.
"Es ist aber auch genau diese drängende Energie – das Verneinen aller vermeintlichen Hindernisse, die Neugierde aufs Leben –, die mich so inspiriert hat beim Arbeiten mit den Jugendlichen in Ost und West." (Paul Hutchinson in B-Boys, Fly Girls & Horticulture, 2015)
www.thegreenbox.net/de/buecher/b-boys-fly-girls-horticulture
Representation of Youth Culture in a Globalised World
Dr. Thomas Köhler
German-Irish Paul Hutchinson was born in Berlin in 1987 and grew up during the city’s post-reunification chaotic creative period. He studied both Photography and Communications, at Central St. Martins College of Art and Design London and Berlin University of the Arts respectively. The young photographer has thus far worked in New York, Barcelona and Rio de Janeiro, ultimately returning to Berlin, where he now resides.
With a strong background in other cultures and contexts, it’s hardly surprising that Hutchinson accepted an invitation from the Goethe-Institut in Bangalore to complete a 5-week photographic project that would culminate in an on-site exhibition of his work in August 2O15. The result is an unusually quiet and analytical series of photographs that examine the structure and atmosphere of the local hip-hop scene.
The adjective “quiet” takes on a particular double meaning within the context of Hutchinson’s recent works. In his work, Paul Hutchinson, who grew up amidst a protective and engaging hip-hop scene in Berlin of the late 199Os, focused on the hip-hop equivalent of the third largest Indian city of Bangalore. His eye reveals very silent close-ups of the local music scene to the observer. Mixer console insides and red-lit dance floors evoke an echo of sounds and beats. However, the emptiness and the intensity of colours seem to be more important to the photographer than the vibrant togetherness of the hip-hoppers. His musicians and break-dancers mostly remain alone, thoughtful and apparently isolated. There is no room for posing and group choreography in Hutchinson’s work. He rather individualizes and personalizes group aesthetics and presents them as a pensive and introverted one-man show. In his work the secret always lies in the detail. The protagonists’ spatial surroundings chart the gestures of the expression, the state of mind. A break- dancer in a green t-shirt is rehearsing a move on the floor, his face half turned-away, pressing his hands into the sand. The concrete ghetto dance cliché immediately dissolves, the movements become soft and self-referential.
There are hardly any direct frontal portraits in Hutchinson’s works. The juveniles seem to be caught in their attitude, captured protectively by sound and movement as if by a cocoon. Hutchinson describes similar youth experiences: “I grew up in a post fall- of-the-Wall Berlin of the nineties and for me and my friends the thick bass thuds, the mechanic snares and the cold rhythmic speech of hip hop music provided a haven from everyday teenage problems.(...)(it) was able to tune my surroundings down a little.” (Bangalore Mirror, 5 August 2015).
The picture of the group or rather of the hip-hop gang almost completely fades into the background. This becomes especially significant and powerful in a photograph of two boys in striking black-grey bomber jackets with flower print and snail leather look, turning to each other and away from us and thus hiding their faces (Einander, 2014). In another picture, we see the wearer of the flower print bomber jacket again, cover- ing his face with his hand. The photograph is like a stop signal, the purpose of which is to protect the private sphere from voyeuristic intrusion (Gear, 2014). Individuality and a protected private space are in the foreground of Hutchinson’s Bangalore works. The strict caste system of Indian society is not present among hip-hoppers. Youth culture occupies its own free space beyond societal values.
In social sciences there is the term “participating observation.” It describes a method of science – originating from ethnology – to examine the actions and behaviour of a person or group. A feature of this method is the researcher’s personal participation in the interactions of the persons that are the objects of the study. Distance and closeness to them are likewise important. Paul Hutchinson is not a researcher but still his method seems related to research. He is not part of the hip-hopper group in Bangalore but is still accepted by their members. From his own youth he knows the codes and their meanings. Trust is an essential condition for the accomplishment of these photographs. Hutchinson is allowed to enter the counter-world of Indian everyday life.
Another element of his works are exotic plants and flowers. Bangalore has large and famous Botanic Gardens. Many of the exhibits that are shown there are from other cultural spheres and so a “clash of vegetation species” develops, similar to the way hip-hop culture has brought new elements into Indian youth culture and integrated older ones. The migration of plants and the uniqueness of each single blossom or leaf reflect the longing for individuality and self-determination of juveniles. In one of Paul Hutchinson’s works, a boy carries symbolically a huge leaf over his head, less to disguise but more to enable him to be with himself. The romantic gesture of hiding becomes a kind of quiet protest against peer pressure.
Repräsentation von Jugendkultur in einer globalisierten Welt
Dr. Thomas Köhler
Der 1987 in Berlin geborene Deutsch-Ire Paul Hutchinson wuchs im kreativen Chaos des wiedervereinigten Berlins auf und studierte in London an der Central Saint Martins School of Arts and Design und in Berlin an der Universität der Künste sowohl Fotografie als auch Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation. Verschiedene Projekte und Assistenzen führten den jungen Fotografen unter anderem nach New York, Barcelona und Rio de Janeiro. Schließlich kehrte er nach Berlin zurück.
Vor dem Hintergrund seines Interesses an anderen Kulturen und Kontexten, wundert es kaum, dass Hutchinson im Sommer 2O15 die Einladung des Goethe-Instituts in Bangalore, Indien, annahm, über fünf Wochen vor Ort ein Fotoprojekt und eine Ausstellung seiner Arbeiten zu realisieren. Herausgekommen ist eine ungewöhnlich leise und analytische Serie von Fotografien, die die Strukturen und die Atmosphäre der dortigen Hip-Hop-Szene untersucht.
Das Adjektiv „leise“ bekommt im Kontext der aktuellen Arbeiten Hutchinsons eine besondere Doppelbedeutung. Aufgewachsen inmitten einer beschützenden und einvernehmenden Hip-Hop-Szene im Berlin der späten 199Oer Jahre, konzentriert sich Paul Hutchinson in seiner Arbeit auf das Hip-Hop-Äquivalent der drittgrößten indischen Stadt Bangalore. Sein Blick zeigt dem Betrachter sehr stille Detailaufnahmen der dortigen Musikszene. Interieurs von Mischpulten und rot beleuchteten Tanzflächen evozieren einen Nachhall von Klängen und Beats. Allerdings scheint die Leere, die Intensität der Farben dem Fotografen wichtiger zu sein, als das pulsierende Miteinander der Hip-Hopper-Clique. Seine Musiker und Breakdancer bleiben zumeist für sich, in Gedanken und scheinbar isoliert. Das Posieren und die Gruppenchoreografie finden in Hutchinsons Arbeiten keinen Platz. Vielmehr individualisiert und personalisiert er die Gruppenästhetik, macht sie zu einer nachdenklichen, introvertierten One Man Show. Das Geheimnis liegt bei Hutchinson immer im Detail. Das räumliche Umfeld der Protagonisten kartografiert den Gestus des Ausdrucks, den Geisteszustand. Ein Breakdancer in grünem T-Shirt mit halbabgewandtem Gesicht übt am Boden einen Move. Die Hände drückt er dabei in den Sand. Das Klischee vom Betonghettotanz löst sich sofort auf, die Bewegung wird weich und selbstbezüglich.
Direkte frontale Porträtaufnahmen finden sich in seinen Arbeiten selten. Es scheint, dass die Jugendlichen in ihrer Haltung eingefangen sind von Klang und Bewegung. Wie ein Kokon legt sich beides schützend um sie. Ähnliche Jugenderfahrungen beschreibt Hutchinson in einem Zitat: „Ich bin im Nachwende-Berlin der Neunzigerjahre aufgewachsen, und für meine Freunde und mich waren die groben Bässe, die mechanischen Snares und der klare rhythmische Sprechgesang eine Art Rückzugsort aus einem genervten Teenagerleben.“ (übersetzt aus: Bangalore Mirror, 1. August 2015).
Das Bild der Gruppe, bzw. der Hip-Hopper-Gang tritt bei Hutchinson fast zur Gänze in den Hintergrund. Besonders eindringlich und deutlich wird dies in einer Fotografie, in der zwei Jungen, in sehr auffälligen Bomberjacken mit schwarz-grauem Blumendruck und Schlangenlederoptik, durch ihre sich zu- und uns abgewandte Haltung ihre Gesichter verbergen (Einander, 2014). Auf einem weiteren Foto sehen wir erneut den Träger der schwarzen Bomberjacke, der sich mit der Hand das Gesicht verdeckt. Die Fotografie wirkt wie ein Haltesignal, das vor dem voyeuristischen Eindringen in die Privatsphäre schützen soll (Gear, 2014). Individualität und geschützter privater Raum stehen in den Bangalore-Arbeiten von Hutchinson im Vordergrund. Die starre Kastenordnung der indischen Gesellschaft findet unter den Hip-Hoppern keinen Platz.
Jugendkultur nimmt sich über gesellschaftliche Werte hinaus ihren Freiraum. In den Sozialwissenschaften bezeichnet der Begriff „Teilnehmende Beobachtung“ eine Methode der Forschung, die ursprünglich aus der Ethnologie stammt und dazu dient, das Handeln und Verhalten einer Person oder einer Gruppe zu untersuchen. Ein Kennzeichen dieser Methode ist die persönliche Teilnahme des Forschers an den Interaktionen jener Personen, die Gegenstand der Untersuchung sind. Distanz und Nähe zum Untersuchungsgegenstand sind gleichsam wichtig. Paul Hutchinson ist kein Forscher und dennoch scheint seine Methode der Forschung verwandt. Hutchinson ist nicht Teil der Hip-Hopper-Gruppe in Bangalore und dennoch wird er von den Gruppenmitgliedern akzeptiert. Er kennt aus seiner eigenen Jugend die Codes und ihre Bedeutung. Das Vertrauen ist eine wesentliche Voraussetzung für das Entstehen der Fotos. Hutchinson wird es erlaubt, in die Gegenwelt zum indischen Alltag einzudringen.
Ein weiteres Element seiner Arbeiten sind exotische Pflanzen und Blumen. Bangalore verfügt über einen großen und berühmten Botanischen Garten. Eine Vielzahl der dort gezeigten Exponate kommt aus anderen Kulturkreisen, so dass ein „Clash“ der Vegetationsarten entsteht, ähnlich wie die Hip-Hop-Kultur neue Elemente in die indische Jugend gebracht und Vorgefundenes integriert hat. Die Migration der Pflanzenwelt und die Einzigartigkeit jeder einzelnen Blüte, jedes Blattes spiegeln die Sehnsucht nach Individualität und Selbstbestimmung der Jugendlichen. Symbolisch trägt bei Paul Hutchinson ein Junge über seinem Kopf ein riesiges Pflanzenblatt, weniger um sich zu maskieren, als mit sich selbst sein zu können. Der romantische Gestus des sich Verbergens wird zu einer Art stillen Protests gegen Gruppenzwänge.
published in B-Boys, Fly Girls & Horticulture, The Green Box Publishing, 2015
Paul Hutchinson
*1987 in Berlin, GER
2008 – 2012 University of the Arts, Berlin, GER
2012 – 2014 Central Saint Martins College of Art and Design, London, UK
thegreenbox.net/artists/paul-hutchinson
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SELECTED PRESS TEXTS, INTERVIEWS AND ESSAYS ENGLISH DEUTSCH
Paul Hutchinson – Nähe und Distanz
Boris Becker
Betrachtet man die Fotografien von Paul Hutchinson, postuliert sich zunächst eine unglaubliche, scheinbar vertrauliche Nähe zu den abgebildeten Sujets der unbewussten Stadträume, der Stillleben und Portraits. Achtlos umgeworfene Gartenstühle, ein angeblitzter Sneaker in einem dürren Strauch, die Beine zweier Personen auf einem Baumarktscooter, all diese Motive lassen eine persönliche, vielleicht sogar intime Beziehung des Künstlers zu den abgebildeten Orten und Personen vermuten. Dies mag sogar im Einzelnen der Fall sein - vor allem bei einer Aufnahme, wo offensichtlich die Beine von Paul Hutchinson in einer doppelten Spiegelung zu sehen sind - würde aber seinen Arbeitsansatz zu stark eingrenzen und vordergründig leicht interpretierbar machen. Es wäre eine weitere künstlerische Position, die durch einen narrativen Blick auf die persönliche Situation versucht, dieses individuelle Umfeld zu einem künstlerischen Ort zu erhöhen. Aber bei aller sicher vorhandenen Nähe zu den abgebildeten Motiven gelingt es Hutchinson, die Szenen, Objekte und Personen sich selbst zu überlassen, so dass sie eine eigene Aura entwickeln können, die sich nicht nur durch den persönlichen Blick des Künstlers definieren ließe. Die Portraitserie einer jungen Frau (Kadia) erinnert eher an eine Filmszene als an eine klassische Personendarstellung. In einer dreiteiligen Sequenz wendet sich aus einer scheinbar unbeobachteten Situation heraus der Blick der Frau über einen kurzen Moment der Kamera zu, um abschließend den Betrachter direkt anzusehen. Die Szene ist offen angelegt, sie impliziert eine weitere Bewegung, die nicht vorhersehbar ist und einer eigenen Interpretation freien Raum gibt. Wir nehmen zwar an der persönlichen Umgebung des Künstlers teil, allerdings ohne ihn darin zu finden, er fixiert die Motive, um sie gleich wieder zu verlieren. Das Bild der beiden grüngelben Schmetterlinge vor einem magentafarbenen Tuch lässt die Situation gleichsam im eigenen als auch im übertragenen Sinn regelrecht schwirren und ist zugleich ein experimentelles Spiel mit der Farblehre. Es ist ein erzählendes Aneignen und Loslassen, das den Betrachter in die gezeigten Situationen und Räume führt und ihn dort mit seinen individuellen Assoziationen sich selbst überlässt. In einer Stadtansicht (Porte de Flandre, Paris) wird dies exemplarisch ablesbar. Eine anonymisierte Hochhausarchitektur dominiert den ersten Gesamteindruck, der allerdings durch mehrere Szenen im Bild wieder aufgebrochen wird. Der Blick wird zunächst auf eine kleine Personengruppe gelenkt, die im Gegensatz zu der markant abgestuften Architektur steht. Eine nostalgisch anmutende Schrift über einer historisierenden Detailansicht, eventuell der Eingang einer Metrostation, und eine knallrote Markise kontrastieren ebenfalls die eher kühle Szenerie. Durch diese zufällig anmutenden Versatzstücke wird das formal strenge Hochhausraster gebrochen. Der Blick gleitet im Bild von einer Szene zur nächsten und erlaubt dem Betrachter eine eigene Interpretation und Sichtweise auf die dargestellte Situation.
Hutchinson ist in seinen Fotografien vordergründig zutiefst anwesend und zugleich meilenweit entfernt.
erschienen in Résumé No. 7: Paul Hutchinson, Kunststiftung Kunze, 2022
AvaTourismus
Aileen Treusch
Paul Hutchinson beobachtet – sein Blick auf die Stadt ist mitfühlend melancholisch und hoffnungsvoll suchend zugleich. Es ist das besondere Gespür für ein Dazwischen, einen Schwellenzustand und eine Liminalität, das seine Fotografien auszeichnet. Zu sehen sind flüchtige Begegnungen, die ohne Resonanz zu bleiben scheinen; bedeutungslos? In eine Vergangenheitsbewältigung und Vorahnung der Zukunft mischen sich politische Statements: Wer ist bloß Bewohner:in, wer Bürger:in einer Stadt? Wer tritt in Erscheinung, darf bleiben, wohnen, dazugehören? Wer bleibt zurück oder sagt sich los? „Stadt für Alle“ zeigt geschwungene Rundum-Perspektiven auf das, was vor sich geht. Unorte sollen wieder zu Orten werden. Die Arbeiten kreisen ebenso um Fragen nach der eigenen Existenz und Identität. Wohin führt die Reise? Gebannt vom fortwährenden Kreislauf der Berliner „Ringbahn“, die sich über Hilfsmittel zur Beobachtung des Raums buchstäblich selbst bespiegelt, dokumentiert Hutchinson ein selbstreferenzielles Transit-System. Es zeigen sich Blickkontrollen und eine Überwachung im Takt der Metropole – noch 125 Meter bis zum Notausgang – für den, der aussteigen will, den, der nicht mehr mitfährt. Almost there – „Almost a Citizen“.
Anlässlich der Gruppenausstellung AvaTourismus, Offenbacher Kunstverein Mañana Bold e.V., Atelier Frankfurt, Frankfurt/Main, 2021
Von der Kunst loszulassen
Anna Brohm
„Am Anfang weiß ich gar nicht wo die Reise hingeht“, sagt Paul Hutchinson im Interview als ich ihn an einem verregneten Vormittag auf der Zeche Zollverein treffe. Am Tag zuvor hat er bereits das Gelände erkundet: die Folkwang-Uni, das SANAA-Gebäude und die Kokerei. An Tag zwei geht es in eine Keramik-Werkstatt, zu PACT und ins Ruhr Museum.
Paul Hutchinson, 1987 in Berlin geboren, in Schöneberg aufgewachsen, lebt heute wieder in der Hauptstadt. Seine letzte Publikation „Stadt für alle“ (2020) zeigt das neue Berlin, die Veränderungen und Kontraste, die sich dort in das Stadtbild einschreiben. Die Bilder erzählen von der Immobilienblase, von Ungleichheiten, von Straßenkultur und Baustellen, Wohnhäusern und ihren Überbleibseln und zeigen Hutchinsons eigenen Blick auf Entwicklungen, die sich „wie ein Angriff auf meine Heimat anfühlen“.
Zollverein ist für ihn neues Terrain. Turnschuhe, Herbstblätter, Oberflächen, jemand unterwegs im hohen Gras – die Bildstrecke die dort, als künstlerischer Beitrag für dieses Heft, entstanden ist, zeigt das Beiläufige: Details, Momentaufnahmen, das Bekannte im Unbekannten. „Mir ist es wichtig in meiner Arbeit Dinge zu meinen Eigenen zu machen. Wo in diesem ganzen Komplex verorte ich mich selbst? Wo kann ich etwas zeigen was vielleicht noch nicht gezeigt worden ist?“ In den Fotografien ist der ikonische Gebäudekomplex Zollverein kaum sichtbar; sie konzentrieren sich auf die Menschen, ihr Tun und die Spuren, die sie überall hinterlassen.
Für Hutchinson beginnt die Arbeit oft erst nach dem Fotografieren. Das Auswählen aus der Menge der Bilder und das Platzieren ebendieser, in Ausstellungen oder Publikationen, ist essenzieller Teil seiner künstlerischen Praxis. Das Verfassen von Text passiert unabhängig vom Fotografieren. Die Worte geben seinen Bildern eine noch persönlichere Stimme und erweitern deren Wahrnehmung. „Text ist das fieseste und schönste zugleich, du kannst ihn nicht faken“, sagt er im Interview. Überhaupt spielt Authentizität eine wichtige Rolle für Hutchinsons Arbeitsweise. Nach sich selbst suchen und sich dennoch nicht in den Mittelpunkt stellen. „Man sieht so schnell den Kunstwillen in Bildern. Nicht Sachen zu wollen, sondern sie passieren zu lassen. Nicht zu forcieren. Ob beim Schreiben oder Fotografieren – ich probiere loszulassen.“ Das ist die Herausforderung.
Hutchinson macht Bilder vom urbanen Leben in unserer globalisierten Welt. Er ist Teil der Szene oder der Stadt die er fotografiert und gleichzeitig ihr aufmerksamer Beobachter: Sneaker, U-Bahn, Gesichter in Momentaufnahmen, schillernde Oberflächen, städtische Grünflächen. In seiner Arbeit hat Hutchinson über die Jahre eine Art persönliches Referenzsystem etabliert: Viele kleine Bausteine, die sich zu einem größeren Ganzen zusammensetzen und das Große im Kleinen ausmachen. Seine Bilder transportieren Intimität und Fragilität und haben trotzdem – oder gerade deswegen – einen politischen Blick auf die Welt. „Ich hatte immer Lust raus zu gehen, Lust die Welt zu sehen, einen gesunden Körper, das Privileg von einem deutschen Pass.“ Wer weiß schon wo die Reise hingeht.
erschienen in Fotostadt Essen Magazin, November 2021
In grey light: Must the boy wake up?
Larissa Kikol
“Hauptstadtmafia” is written on a bridge in the capital as graffiti. Painted downwards with paint rollers from above, from upside down. Isn't youth culture always the strongest culture? Or at least in a country where it is not violently suppressed. If, on the other hand, adults merely try to restrict, direct or dismiss it as a short-lived one-way phenomenon, then it will prevail, then it will become strong. For a youth culture to assert itself means that it is in a healthy condition. Paul Hutchinson does not primarily photograph youth culture, but urban culture. However, youth culture is to be found everywhere, has left its mark on the cityscape, on adult culture.
Its traces are battle scars - showing graffiti, sweatshirts, hoodies, shoes up on underground train seats and comforting butterflies. “wach mal auf junge wach mal auf” ("wake up boy wake up") comes from a monologue with a lyrical counter-inside-super ego, which could be an alter ego as Hutchinson's lyrical grandmother, or a father-spirit, shining from the tunnels of underground stations. We find a glimpse of his own youth in the work youth. A still life from the artist's present living room. We see a photo from his teenage days on the wall, almost as a kind of reliquary. Himself, in the front row wearing a dark T-shirt, surrounded by friends. They are posing with beer bottle and middle finger, copying poses of masculinity and hostile behaviour, yet at the same time seeming as vulnerable as a boy band, separated from the parental homes too early to go on tour. The flower in front of it, an Oxalis triangularis, also called a "false shamrock", looks wilted, again like something from a teenager's room. "No, no, it's just growing, it has to look like that," Hutchinson assures me.
On a motorway bridge it says "Hauptstadtmafia" (“mafia of the capital”) and at the top of a huge firewall "Potse bleibt". The Potse was a youth club in the left-wing scene. In September 2020, the eviction verdict was confirmed by the courts which led its young regulars to react with squatting and painted bed sheets. The taz (translator’s note: german daily newspaper, left-leaning) quoted the Tempelhof-Schöneberg’s local youth councillor as voicing his sympathy for an eviction. He simultaneously said that they would unfortunately not be able to offer the youth club an alternative building.
Hutchinson oscillates between anger and romanticism when he roams the city. Depending on where he looks, what he gets to read and where he puts his feet. The visual language of his photographs does not work towards spotlighting these places and cultural sites. It is no fashionable, iconic Stern (tn: german weekly magazine) photography, no staged Jeff Wall photography, and no overwhelming photography like that of Andreas Gursky. Paul Hutchinson's works seem casual and subtle. The leitmotif is the decision-making process from the corner of the eye, arising from the subconscious of a sensitive act of moving past something or walking into it. This also explains the presence of graffiti in his works. He himself has no history as an active graffiti artist, yet he sees this genre as part of the familiar culture in which he grew up, aesthetically in the cityscape and in a social environment that enables friendly relations. In remnants (I), an attempt was made to wash a train, or at least to damage the graffiti so that its creator and his followers can no longer read the former image of the name. The defiant mixture of water and colour results in an abstract painting on a moving pictorial medium.
On a branch of the Stadtsparkasse (tn: german savings bank), a citizen or non-citizen wrote: "Almost A Citizen". Graffiti and political statements as urban occupation, a part of city-for-all, a part of secret parallel cultures that remain present, that grow stronger with every letter and every intervention in the cityscape. Hutchinson photographs graffiti hotspots just as he depicts the little muddy patches on the fringes of public life, where rubbish accumulates, hotspots of the unsightly. People suspect bacteria and viruses, they would rather not touch the handkerchiefs. Plastic resists the decomposition process, only fallen leaves disintegrate soundlessly. These are non-places, side effects of place-places. "Let someone else take care of that, have the city council make an effort," the citizen thinks to himself. Before that happens, a butterfly settles, Hutchinson's red thread, the object of his search. The romantic innocence of fragility, it flies from the Hauptstadtmafia to sit beside the used handkerchief and on to who-knows-where. Hutchinson encounters them often.
Shoes and feet are his own. The downward gaze is part of the soliloquy, it is averted just when the other voices are talking once again. "Wake up" is perhaps what the young people of the Potse were hearing when they were fighting for their local culture. Anyone living in Berlin, however, is also likely to hear this from committed ageing taxi drivers. You wrap yourself up, not just for these moments, but actually always, looking for a womb-like warmth within your hoodie. A hoodie – a recurring piece of clothing in Hutchinson's street scenes. Everyone has one, everyone knows why. That cuddly blanket for adults, because adults have to get up, because they have to rise socially. But at least with a hood that is pleasantly brushed on the inside. Ears and temples are comforted.
When I spoke to Paul Hutchinson about his inspirations, he mentioned many, from rap to the political essays of George Orwell. But he was also influenced by the atmosphere of West Berlin, like Schöneberg, where his parents ran two Irish pubs. Like many young people, he also soaked up the street air, and everything that went with it. Even the "street hassle", having to be part of it and wanting to be part of it. Growing up between the urge to go out into the big wide world and having only limited (financial) means to do so.
The silkscreen prints are another series of works. His photos take on a black-and-white graininess here. They look like slightly fuzzy paper surfaces with a roughened substance that gives the photographic image a painterly softness. While the subject is recognisable at the right distance, the grey depth becomes a blotchy composition in the mist from close up, which poses mystical pictorial riddles to the eye. Across it, his handwriting, in yellow. "School pad graffiti", his friends joke about Hutchinson's typography. And indeed, he plays with connotations here, from the street, from the public toilet cubicle, from the squared school pad. Again: "wach mal auf junge wach mal auf", in front of the tiled wall in a Berlin underground station. The watch is cut off. "the way you look at me smiling while I'm losing my vision" is written on the picture with the two chestnuts resting in the palm of a hand. Who is looking at him? The changing city and its real estate industry surely do. So the two chestnuts are no longer of any use, you can' t even make a puppet out of them. What remains is a romantic childhood memory.
The romance of the metropolis is a prevalent mood in Hutchinson's work. It is found under loose cobblestones, in the muddy fringes, within the dark hood. But the grey sky, Berlin's grey light is also romantic. A love-hate relationship with this light which signifies home. In this, at least, the vision does not change, at least in this it retains its original colour. Understandably, his photographs are never really colourful. A shadow settles over everything and marks the city as his beloved Berlin. The only place where even butterflies flutter around with a comforting grey tinge.
Im grauen Licht: Muss der Junge aufwachen?
von Larissa Kikol
„Hauptstadtmafia“ als Graffiti an einer Hauptstadtbrücke. Mit Streichrollen von oben, also falsch herum, heruntergestrichen. Ist die Jugendkultur nicht immer auch die stärkste Kultur? Zumindest in einem Land, indem sie nicht gewalttätig unterdrückt wird. Versuchen Erwachsene sie hingegen nur einzuschränken, zu lenken oder als kurzlebiges Einwegsphänomen abzutun, dann wird sie sich durchsetzen, dann wird sie stark werden. Für eine Jugendkultur bedeutet das Durchsetzen, dass sie sich in einer gesunden Verfassung befindet. Paul Hutchinson fotografiert in erster Linie keine Jugend-, sondern Stadtkultur. Und doch ist sie überall präsent, hat ihre Spuren im Stadtbild hinterlassen, in der Kultur der Erwachsenen.
Ihre Spuren sind Kampfspuren – Graffitis, Sweatshirts, Kapuzen, Schuhe auf U-Bahn-Sesseln und tröstende Schmetterlinge. „wach mal auf junge wach mal auf“ ist in einem Selbstgespräch mit einem lyrischen Gegen-Innen-Über gefallen, das könnte ein Alter Ego als lyrische Großmutter Hutchinsons sein, oder als Vatergeist, der in U-Bahnhöfen aus den Tunneln scheint. Einen Einblick in seine eigene Jugend finden wir in der Arbeit Youth. Ein Stillleben aus dem aktuellen Wohnzimmer des Künstlers. Dort hängt, quasi als Reliquie, ein Foto aus Teenagertagen. Er selbst, in der vordersten Reihe mit dem dunklen T-Shirt, und seine Freunde. Sie posieren mit einer Bierflasche und dem Stinkefinger, kopieren Männlichkeitsposen und Aggressionsideale, wirken aber gleichzeitig so verletzlich wie eine Boyband, die zu früh von ihrem Elternhaus getrennt auf Tournee gehen musste. Die Blume davor, eine Oxalis triangularis, auch „falsches Kleeblatt“ genannt, sieht verwelkt aus, ebenfalls wie aus einem Teenagerzimmer. „Nein, nein, die wächst ja gerade, die muss so aussehen“, beteuert Hutchinson mir gegenüber.
Auf einer Autobahnbrücke steht „Hauptstadtmafia“ und am oberen Rand einer riesigen Brandschutzmauer „Potse bleibt“. Die Potse war ein Jugendclub der linken Szene. Im September 2020 wurde das Räumungsurteil gerichtlich bestätigt. Die Jugendlichen reagierten mit Besetzung und Bettlaken. In derselben Zeit zitierte die taz den Jugendstadtrat von Tempelhof-Schöneberg, dass er eine Zwangsräumung verstehen würde. Gleichzeitig betonte er, dass sie dem Jugendclub leider kein alternatives Gebäude anbieten können.
Hutchinson schwankt zwischen Wut und Romantik, wenn er durch die Stadt zieht. Je nachdem wo er hinschaut, was er zu lesen bekommt und wo er seine Füße ablegt.
Die Bildsprache seiner Fotografien arbeitet nicht an einer Inszenierung dieser Orte und Kulturstätten. Es ist keine modische, ikonenhafte Stern-Fotografie, keine inszenierte Jeff-Wall-Fotografie und keine Überwältigungsfotografie wie die von Andreas Gursky. Paul Hutchinsons Arbeiten scheinen beiläufig und subtil. Leitmotiv ist der Entscheidungsprozess im Augenwinkel, entstanden aus dem Unterbewusstsein des sensiblen Vorbeilebens oder des Dagegenlaufens. Das erklärt auch die Präsenz von Graffiti in seinen Arbeiten. Er selbst hat keine Vorgeschichte als aktiver Sprüher, trotzdem sieht er Graffiti als Teil seiner vertrauten Kultur, in der er groß geworden ist, ästhetisch im Stadtbild und in einem sozialen Umfeld, das freundschaftliche Brücken schlägt. Auf remnants (I) wurde versucht, einen Zug zu waschen oder zumindest das Graffiti so zu beschädigen, dass sein Urheber und seine Anhänger das einstige Namensbild nicht mehr lesen können. Der trotzige Wasser- und Farbmisch wird in Wirklichkeit zur abstrakten Malerei auf einem fahrenden Bildträger.
An einer Filiale der Stadtsparkasse schrieb ein Bürger oder ein Nicht-Bürger: „Almost A Citizen“. Graffiti und politische Statements als Stadtbesetzung, ein Teil von Stadt-für-alle, ein Teil geheimer Parallelkulturen, die anwesend bleiben, die sich mit jedem Buchstaben und jedem Eingriff ins Stadtbild stärken. Hutchinson fotografiert Graffiti-Hotspots genau so wie die kleinen Schlammecken am Rande des öffentlichen Lebens, dort wo sich der Müll ansammelt, Hotspots des Unschönen. Der Mensch vermutet Bakterien und Viren, die Taschentücher möchte er lieber nicht anfassen. Plastik widersteht dem Zersetzungsprozess, nur Laub geht klanglos unter. Es sind Nicht-Orte, Nebenwirkungen der Ort-Orte. „Darum sollen sich andere kümmern, darum könnte sich ja mal die Stadt bemühen“, denkt sich der Bürger. Bevor es so weit ist, setzt sich ein Schmetterling hinein, Hutchinsons roter Faden, sein Suchobjekt. Die romantische Unschuld im Zerbrechlichen, sie fliegt von der Hauptstadtmafia neben das benutzte Taschentuch und dann wer weiß wohin. Hutchinson begegnet ihnen öfters.
Die Schuhe und Füße sind die eigenen. Der Blick nach unten gehört zum Selbstgespräch, er wird gerade dann abgewendet, wenn die anderen Stimmen mal wieder sprechen. „wach mal auf“ hörten vielleicht auch die Jugendlichen der Potse, als sie um ihre Heimatkultur kämpften. Wer in Berlin lebt, kann dies aber auch von engagierten, in die Jahre gekommenen Taxifahrern zu hören bekommen. Nicht nur in diesen Momenten, sondern eigentlich immer, wickelt man sich ein, sucht Mutterleibswärme in der Kapuze. Im Hoodie – ein wiederkehrendes Kleidungsstück in Hutchinsons Straßenszenen. Jeder hat einen, jeder weiß warum. Die Kuscheldecke für Erwachsene, weil Erwachsene ja aufstehen müssen, weil sie ja sozial aufsteigen müssen. Aber dann zumindest mit angenehm von innen angerauter Kapuze. Die Ohren und die Schläfen werden beruhigt.
Als ich Paul Hutchinson nach seinen Inspirationen fragte, nannte er einiges, vom Rap bis zu den politischen Essays von George Orwell. Aber auch die Atmosphäre in West-Berlin wie in Schöneberg, wo seine Eltern zwei Irish Pubs betrieben, prägte ihn. Wie viele Jugendliche sog auch er die Straßenluft auf, und zwar mit allem, was dazugehörte. Selbst den „Straßen-Stress“, ihn zu haben und ihn zu machen. Ein Erwachsenwerden zwischen dem Drang, raus in die weite Welt zu müssen, aber dafür nur begrenzte (finanzielle) Mittel zur Verfügung zu haben.
Eine andere Arbeitsserie sind die Siebdrucke. Seine Fotos bekommen hier schwarz-weiße Körnungen. Sie wirken wie leicht fusselige Papieroberflächen, deren angeraute Substanz dem fotografischen Bild eine malerische Unschärfe verleiht. Erkennt man in einem angemessenen Abstand das Motiv, wird die graue Tiefe aus der Nähe zu einer fleckigen Komposition im Nebel, die dem Auge mystische Bildrätsel aufgibt. Darüber seine Handschrift, in Gelb. „Schulblock-Graffitis“, witzeln seine Freunde über Hutchinsons Typografie. In der Tat spielt er hier mit Konnotationen aus der Straße, aus der Toilettenkabine, aus dem karierten Schulblock. Auch hier wieder: „Wach mal auf junge wach mal auf“, vor einer gefliesten Wand in einer Berliner U-Bahnstation. Die Uhr ist abgeschnitten. „the way you look at me smiling while I’m losing my vision“ steht auf dem Bild mit den zwei Kastanien, die in einer Hand liegen. Wer guckt ihn an? Die sich verändernde Stadt und ihre Immobilienwirtschaft schauen bestimmt herüber. Dann bringen die zwei Kastanien auch nichts mehr, selbst ein Männchen kann man nicht daraus basteln. Was bleibt, ist eine romantische Kindheitserinnerung.
Die Großstadtromantik ist ein präsentes Gefühl in Hutchinsons Arbeiten. Sie findet sich unter lockeren Pflastersteinen, in den matschigen Randgebieten, in der dunklen Kapuze. Aber auch der graue Himmel, Berlins graues Licht ist romantisch. Eine Hass-Liebe zu diesem Licht, das Heimat bedeutet. Zumindest das ändert sich nicht, zumindest darin behält die Vision ihre ursprüngliche Farbe. Verständlich, dass seine Fotografien nie wirklich bunt sind. Ein Schatten legt sich über alles und kennzeichnet die Stadt als geliebtes Berlin. Der einzige Ort, an dem auch die Schmetterlinge mit einem wohligen Graustich umherflattern.
published in "wach mal auf junge wach mal auf" (exh. cat.), Sies + Höke, 2021
Umbigo x Paul Hutchinson
in conversation with Josseline Black
JB: Has your artistic practice changed through isolation?
PH: In a way it does affect my work, because usually I would be surrounded by more people, and therefore more people would appear in it. Now, it’s more secluded in the way that I am spending more time with my family and my girlfriend and her kids, and there is less social interaction outside of that. On the other hand, the energy goes elsewhere. So I don’t really mind. From the beginning of March to the beginning of May we had a pretty tight lockdown here in Germany. But I personally found it calming as, usually, I would have to travel a lot for work and meet people and the lockdown provided space to refocus my energies. I continued working 5 days a week, wrote more, finished a book design.
JB: What is your approach to collaboration at the moment?
PH: I don’t really work on any particular collaborative project at the moment but a lot of my work comes to life through conversations I have with family and friends. Things I think about in my daily life. I guess that’s my form of ongoing collaboration. Dialogue is really essential to me.
JB: With your book Pictures and Words (2018) did you generate the text out of dialogue?
PH: No, the texts don’t stem from dialogues. But, similar to my photography, a lot of my writing happens on the go, in the ubahn, on the bus, while I’m traveling – it can be two words or two hundred that I note down. I have an archive email address I send these texts to. And then I’d usually start further working on them / with them whenever I find time and purpose to do so: a book project, a reading, a magazine contribution. A lot happens subconsciously. There is a good term in German, Kunstwille. Aiming for something to be art. And I try to refrain from that and let the work come of itself, not to force it too much. I think art shouldn't be about the desire to make work, but about the work itself.
JB: How would you define the present moment, metaphysically/literally/symbolically?
PH: I guess we’re experiencing a point of transformation in the world. And to be honest I am optimistic about that. A lot of things weren’t going too well in the world, I believe. And maybe it wasn’t so obvious to people. But now due to the pandemic some things have become more visible. The gain of few due to the work of many – seems ever more apparent. That’s painful. But I think people can actually learn from that, and try to make a change. Not wanting to disregard the obvious suffering and many negative things this pandemic causes. But I do think this can also be a time of optimism.
JB: Do you see the potential for renewed support for cultural production in spite of macro and micro economies which are currently rapidly restructuring?
PH: Being in Germany…we are very lucky to be here. I received a grant on behalf of Corona, which really helped me, whereas in other countries people don’t get anything. But within that privileged context, I think the problem lies elsewhere: The opportunities for creative production are still relatively hard to reach and elitist within German society. And therefore such an occupation can seem far-away and mysterious to people of the general public. Though we receive a lot of appreciation from the state as practicing artists, by means of funding opportunities, free higher education, healthcare infrastructure, I think it’s almost more important to break down the borders between the supposed „Elfenbeinturm“ (ivory tower) of artistic production and other members of society. We are all workers, essentially. And there’s no mysticism behind, for example, what I do.
JB: How do you feel this time is influencing your perception of alterity in general?
PH: I think at the moment it’s a little difficult actually because people increasingly rely on media from their own bubble, fed through often commercially minded algorithms. So, less and less people are they faced with things they don’t know. This is dangerous because through social media you can easily fall into the trap of only seeing your own thought reflected. Particularly at times like these when one relies so much on digital media, people need to face the other, the unknown. I think being aware of the things you don’t know, your own blindspots and fallibility, is ever more important as unlimited to access to information can easily create an illusion of knowledge.
JB: Is there a connection between working with portraiture and solidarity?
PH: Yes, I think that connection is empathy. Actually that’s a really important word within visual discourse, especially photography. I wouldn’t say I could make a good image of someone that I despise. I can only make a good image of people that I feel close to or that I have some admiration for. That needs to be the baseline for me to work. Once in a while, however, I get the opportunity to steer away a little from my usual mode of making portraits. For example, last Autumn I was asked by the Münchener Kammerspiele theatre in Munich, which is a very well known, politically active theatre and to portray their actors. I was flattered by the invitation and met 32 people there who I previously didn’t know. Within an hour or an hour and a half each, I would have to establish some kind of personal connection to justify my particular way of trying to make a valid representation of someone. So that was really interesting. Some of these encounters where really touching and I believe you can tell in the images. But that’s an extraordinary situation obviously.
JB: Your most recent publication, Stadt für Alle (transl. City for All), can you speak a bit about it’s content?
PH: While I was working on it, it carried the working title “Ugly baby”. It’s 240 pages thick but relatively small in dimensions, a mono-thematic investigation. It basically looks at the changes we are experiencing in society, mainly taking as example the gentrification of inner city Berlin: A lot of previously state-owned property was sold off in the early 2000s because the city was broke. The results of that we are experiencing today with investors building plastic luxury real estate and invading large parts of the inner city. In turn, rents skyrocket on regular flats. A few years ago I noticed myself photographing these construction sites, and the architecture of these buildings some of which I find highly questionable. These kinds of images accumulated over time, and in 2019 I realised that I had to do something with them. It took another year to gather funding and finish my working on the texts that are also included in the book. Stadt für Alle raises the question of who the city is built for. Overall I guess it’s a pretty well-known and somewhat pathetic narrative any major metropolis goes through from time to time. Just with Berlin I obviously feel personally affected as I witness my own culture being pushed out. And the velocity of this happening seems so particularly vulgar. Famously liberal values being turned into neo-liberal competition.
JB: What is your utopia now?
PH: Hard to say but I guess my utopia is a sense of justness. There will always be a certain divide, and I don’t want to seem too naive, but even in my short lifespan I’ve seen the gap between rich and poor widening, especially in urban contexts, and I want to question that. I lived in London for 2.5 years and I’ve seen what an increasingly profit-driven system can do. I simply don’t think it’s healthy for people, even people with money. And I want to question what that system does to me, my body, how it pulls apart my home. Upholding these values and questions within the art world is obviously difficult, too. Another system whose mechanism are questionable. But on the other hand there will always be money involved and wealthy individuals, institutions or the state will have to support practitioners without monetary means. I fully believe that, eventually, a healthy discourse is beneficial for society as a whole and that that kind of investment will pay off at some stage. Despite my earlier criticism, I always felt that Britain, for example, is great at making art accessible to the public and tearing down supposedly intellectual barriers and this inherent perception of class I often feel in Germany. Then again, here we have the system of the Kunstvereine in Germany, which are great for critical discourse and showcasing voices that might be overlooked by larger institutions. I guess everyone tries their best in their own way.
JB: What are you reading at the moment?
PH: I‘m currently looking at the journalistic side of Gabriel Garcia Marquez’ writing. He is similar to Orwell in that way that they both were mainly journalists, which I find really interesting. Both their writing is really easy to read and I find it really enjoyable, especially the non-fiction. There is another book, only recently published, on Marquez’s speeches. It’s only a tiny book, a compilation of speeches he held all over the world. It’s full of humor and warmth and to me it’s really inspiring how he manages to disguise his thinking on social injustice and class somewhere within that. He basically does the same in his prose writing. After all, I guess that’s something I try to do with my work as well – provide somehow appealing hints that tempt people into thinking about the larger issues we’re all facing.
Interview: Josseline Black, February 2021
no need to be silent
Press text
Bringing together works from his latest publication “Stadt für Alle" (Distanz, 2020) with further topics of his practice, “no need to be silent" portrays urban life through the inquisitive and politically driven observations of the artist.
Purposefully created systems of signifiers are revealed that raise questions of class differentiation and social inequality, whilst maintaining an air of dreaminess and fragility. As a counterpoint to his photographic endeavours, the show premieres a sound installation created on the basis of Hutchinson's writing. Taken from one of these recent texts, the title of the show “no need to be silent" refers to the underlying sentiment of opposition and revolt, the questioning of alleged authorities – a thread that runs through much of Hutchinson’s work.
In dieser Ausstellung bringt Paul Hutchinson Werke aus seiner letzten Publikation „Stadt für Alle“ (Distanz, 2020) mit weiterreichenden Themen seiner Arbeit zusammen. „no need to be silent“ porträtiert urbanes Leben durch die wissbegierigen und politisch geprägten Augen des Künstlers.
Bewusst erschaffene Referenzsysteme werden offenbart, die Fragen über Klassenaufteilungen sowie soziale Ungleichheiten aufwerfen, wobei eine gewisse Aura der Verträumtheit und Zerbrechlichkeit bewahrt wird. Als Gegenpol zu seiner photographischen Praxis zeigt die Ausstellung erstmalig eine Audio-Installation, welche auf Hutchinsons lyrischen Arbeiten basiert. Der Titel der Show, „no need to be silent“, wurde aus einem seiner jüngsten Texte entnommen und bezieht sich auf das unterschwellige Gefühl der Opposition und Revolte, das In-Frage-Stellen von vermeintlichen Autoritäten – ein roter Faden, der sich durch Hutchinsons Arbeiten zieht.
Der Fotokünstler Paul Hutchinson durchdringt die Stadt so wie sie ihn
Beate Scheder
Am S-Bahnhof Yorckstraße, ungefähr da, wo Kreuzberg in Schöneberg übergeht, steht er, der vielleicht hässlichste Neubau Berlins. Und er spricht sogar mit einem: „who are you" steht in schwarz-grünen Lettern auf der steingrauen Fassade. Die eigene Antwort gibt er ums Eck gleich selbst: „More than a Gym". Der Künstler Paul Hutchinson hat ihm ganze fünf Seiten in seinem Buch „Stadt für Alle“ gewidmet, diesem Sinnbild für den oft ziemlich geschmacklosen Bauboom Berlins. Hutchinson hält den rasanten Wandel der Hauptstadt mit seinen Fotografien schonungslos fest. Er richtet die Kamera auf Baustellen, die wie Mondlandschaften aussehen, in aufgerissene Gruben auf Absperrband und Bauzäune, Gerüste, Kräne, Bagger in Nahaufnahme, auf Graffiti und Werbeplakate mit Architekturrenderings und Lockbotschaften für ein betuchtes Klientel: ,.Wo Architektur zum Meisterwerk wird." Geboren ist Hutchinson 1987 in Berlin, aufgewachsen in Schöneberg 30, dort, wo Magnolienblüten vor Satellitenschüsseln blühen und das Herbstlaub in Pfützen vermatscht. Geprägt davon fühlt er sich bis heute: „egal was ihr wollt/ oder was da steht auf dem papier / ihr kriegt schöneberg nord / nicht raus aus mir“ Hutchinsons neues Buch durchzublättern ist ein wenig so, als leihe man sich seinen Blick aus, auf der Suche nach kleinen Dingen um sich daran festzuhaken. Oft sind es die wiederkehrenden Details der fortschreitenden Gentrifizierung. ,,Stadt für Alle" ist ein Titel wie ein Slogan, den aktivistische Gruppierungen an luxussanierte Gebäude sprühen. Hutchinsons eigene Texte, die sich über die Seiten ziehen, sind mal auf Deutsch, mal auf Englisch, ohne Rücksicht auf Interpunktion oder Groß- und Kleinschreibung notiert, so rhythmisch wie Rap-Lyrics, poetisch und politisch zugleich. Wem gehört die Stadt? Einer wie Hutchinson lässt sie sich jedenfalls nicht nehmen: ,,kopfhörer rein, jacke zu, kapuze auf / raus / komm schon junge lauf".
erschienen in monopol, Dezember 2020
Stadt für Alle
Press text
How do we want to live in the future?
Paul Hutchinson’s (b. Berlin, 1987; lives and works in Berlin) work conveys an intimate and unvarnished perspective, rendering the imperfections, incidental details, and human facets of urban culture. Fleeting moments and encounters often act as a base for his critical photographic practice.
The central protagonists in his most recent project, titled Stadt für Alle (transl. City for All), are countless cranes, excavators, and construction signs. These are the tools that power the remaking of any city’s urban fabric – here Berlin mostly sets the example. Building pits constitute the foundation for farewells and new beginnings. Advertising banners for luxury developments vie against protest placards hanging limply on the façades of older buildings. The artist has compiled a pictorial atlas that prompts reflections on the transformation of the city and thereby gives form to the advancing gentrification, the constant feeling of threat and the increasing loss of inner city street culture. Hutchinson’s writing complements the deft visual analysis of these processes: “The way you look at me, smiling while I’m losing my vision” is one such observation that, in conjunction with his images, opens up a space for interpretation and a probing inquiry into what urban life will mean in the future.
Wie wollen wir in Zukunft leben?
Die Arbeit von Paul Hutchinson (geb. 1987 in Berlin, lebt und arbeitet in Berlin) ist intim und unverstellt. In seinen Fotografien zeigt er das Imperfekte, Zufällige und Menschliche urbaner Kultur. Oft sind es flüchtige Momente und Begegnungen, die eine Grundlage für seine kritische Praxis bieten.
In seinem jüngsten Projekt Stadt für Alle sind unzählige Kräne, Bagger und Baustellenschilder die Hauptprotagonisten. Sie sind das Werkzeug für den Umbau von Großstadtkulissen – hier vor allem am Beispiel Berlin. Baugruben agieren als Fundament für Abschied und Neuanfang. Werbebanner für Luxusimmobilien konkurrieren mit Protestplakaten, die müde an ausgewaschenen Altbaufassaden hängen. Entstanden ist ein Bilderatlas, der den Wandel von Stadt und die voranschreitende Gentrifizierung kommentiert und damit dem konstanten Gefühl von Bedrohung und dem Verlust von Straßenkultur im innerstädtischen Raum, eine Form gibt. Prozesse, die Hutchinson textlich begleitet. „The way you look at me, smiling while I’m losing my vision“ ist einer dieser Verse, die er mit seinen Bildern verschränkt: ein Interpretationsraum, der uns fragen lässt, was Stadt in Zukunft bedeutet.
www.distanz.de/stadt-fuer-alle
»My work contains the culture I come from.«
Interview with Dr. Sylvia Metz for Collectors Agenda
In his photographs and texts, Paul Hutchinson addresses issues of equality, urban life, and social mobility. In doing so, he gives his generation a unique voice and at the same time draws a bittersweet portrait of our time. We spoke with him in his Berlin studio about his unusual path, the harsh Berlin winters, and his artistic practice not the least part of which is an intention on his part to discourage exclusion and class differentiation.
Paul, you were born in 1987 and, as you once put it yourself, “grew up in the gray post-war Berlin of the nineties”. Doesn’t really sound like a good time, does it?
That’s a pointed phrase of mine. In retrospect, I would say that I had a fulfilling, warm, and loving childhood. But what also corresponded to the reality of our lives was the fact that some of us grew up in precarious circumstances. The environment in the north of Schöneberg was rough, especially in our youth. Everybody was hanging around on the streets, getting into trouble at school, smoking pot, waiting for hours for some guy selling weed to show up, there was also violence. Back then, you always put on a kind of armor when you went out, especially in winter. Hanging out at Kleistpark, at Potsdamer Straße, at the Pallas... there will also be conflict. These are the themes of my early teens.
Have you lived in the “Pallas(seum)” yourself? The apartment block often appears in your early photos.
No, my parents live around the corner – in Goltzstraße, which is not aggressive at all, but rather pleasantly lively and still has a bit of old West Berlin charm. But as kids we naturally hung out where something was going on. Pallas was one of these anchor points because that’s where the action was. The building itself is quite crazy – built on top of an old bunker. Looking back, each cultural imprint was also important in this context. I have a German-Irish background, am halfway immigrant kid. I’m a dark type, black-haired, which was not a completely unimportant detail at the time. Many people in that area have a Turkish, Arab or broader Muslim background. Most of my friends are children of Polish immigrants. Culturally, these are obviously huge differences. Some collided in our youth, and some were irrelevant. Basically, almost everyone came from somewhere else. At some point, however, the various groups split off more and more from each other.
That doesn’t sound like an environment where people say: “I want to become an artist later!” How did that change, how did you get into art?
It just happened over time, really. Early on, I felt the need to get out and see more of the world than just Schöneberg North. Maybe it has something to do with the fact that as a kid I spent a lot of time in Ireland. And also I had the opportunities: I graduated from high school, I could always work, I have a German passport that enables me to access the world and scholarships and grants. After what I call a small, “chaos phase” in my early teens, I developed an awareness of my situation and I realized that if I wanted to get out, I could do it. I could apply to 100 different things and get 90 rejections. But maybe 10 would work out. And it had nothing to do with art in the first place, but with the idea of travel. I always wanted to see the world. And somehow I’ve always found a way to receive funding for it. In the last ten years, I must have spent about four or five years abroad, and since then I’ve been an expert at writing applications.
But first you stayed in Berlin and studied Social and Business Communication at Berlin University of the Arts (UdK). When did art come into your life?
After my A-levels and a first stay abroad, I completed an internship in the design department of an advertising agency. We used to do a little tagging and I thought it might be related somehow. That’s how I came to the UdK and saw for the first time that people make art and speak about art. Previously I had never really been in touch with something like that.
You have been to Rio de Janeiro, Bangalore, and many other places. How did you get there?
During my six years of study I tried to fill the semester breaks with things that made sense to me. That’s why I was always on the lookout for sponsored projects and activities abroad. Through various programs and engagements, e.g., through the Goethe Institute, the DAAD, PROMOS, Erasmus, I was in India twice, Latin America three times, and a year in Spain. In Rio de Janeiro, for example, for two months we gave photography workshops for socially disadvantaged young people in the favelas in a team of four through the program ASA – Engagement Global. In 2010, I spent three months in New York assisting Magnum photographer Steve McCurry and survived that summer thanks to One Dollar pizza slices. Things like that. During the entire time, my inner curiosity and social aspects – learning about the world and about myself – were what mattered to me. The artistic work came gradually. In the beginning, I thought I would never really succeed with that. However, in 2012, I moved to London and, with the help of Bafög and DAAD funding, I was able to do a Masters degree in Photography at Central Saint Martin’s School of Arts and Design. Since then I started to take my work more seriously. In London I also met Wolfgang, Wolfgang Tillmans that is, whom I worked for while studying and afterwards back in Berlin, too – assisting in book making and some other projects. That obviously also had an influence.
What was the moment when you realized that there was no longer a plan B, that this is not a hobby, this is me?
In fact, the feeling of knowing that I am able to do this and also having a sense of integrity about it, claiming it as my own and not just repeating the patterns of others, came in retrospect rather late, after the completion of my studies, during the last three or four years. Of course there are still references, but I believe that I have developed my own language and a discourse that stands for itself. If anyone asks me today what I do for a living, I answer: I’m an artist. That’s not so easy and natural in photography, I think. For me, it really had a lot to do with recognition from outside. To a large degree my self-reflection was initiated by others, by the way my work was perceived and how it touched people. I first had to develop a lot of work in order to convince myself that it came out of me and was authentic and not copied or in any way derivative.
What does it mean to you to photograph?
Today, as then, photography to me is always about a consciousness of “being in the world”. It is a possibility of reflection. I am here. I am doing and experiencing this. I experienced traveling through writing and through photography. At first it had nothing really to do with the pictures. As I said, I was guided by an inner curiosity about the world. And taking photographs was only a symptom of this attitude. I have a healthy body and a mind that works well, and I have the privilege of this German passport. So, here we go.
When did you start writing? As a counterpart to photography?
For the last three or four years I’ve kept what I have written. I’ve been writing for a while, but it’s only recently that I’ve afforded it space and allowed myself to take my efforts seriously; it was a similar process with my photography. I had never really felt represented in contemporary German literature, neither as the person that I am nor in the culture that I come from. With all these books and texts, I was unable to see myself in them, hear my language or the language of the people that surround me. So I felt an urge to address this and tried to find words of my own.
What has been your most important literature project so far?
In 2017, I was invited to exhibit at the Deutsche Oper Berlin; that was very cool. Once a year they invite an artist to show work in the context of this the super beautiful building, exemplifying modernism, designed by Fritz Bornemann in the 1960's. I felt very honored. And this was the first time that I worked with my texts in an exhibition. The show was presented over the three floors of the foyer. Opposite these floors within the building are two freestanding walls which extend over the 12 meters [approximately 40 feet] height of the building. I had the idea of placing two of my texts on each of these walls, which the audience would then encounter as they entered the auditorium. I especially liked this thought since my texts are rather rough; a contrast to what we might expect in a place of presumed high culture. I put forward the concept to the Deutsche Oper team and they were very open and supportive of the idea, an openness I still appreciate today. Ultimately, stage construction professionals installed the plotted texts, which are about 10 meters [about 33 feet] high on each of the walls. Initially I felt uneasy about how the audience would respond, but fortunately we received very positive feedback, which I was really pleased about, because it was an experiment, and the lyrics hung there for a further ten months.
You also did a project on Hip-Hop, in Bangalore.
Right. That was also my first major publication. In 2015, in the context of an artist residency at the Goethe Institute, I was there for a month. In retrospect, it was there that I started to consolidate my voice and my artistic practice. At the time, my feeling was: I want to talk about things that touch and interest me and I want to have contact with people with whom I can share something. There was an active hip-hop scene in Bangalore. Through the Goethe Institute a first contact was established and I specifically got along very well with a circle of friends right away. In the end, I spent the month mainly with them. The people were super open and inviting, took me to some rap and breakdance sessions, and we experienced a few other things together. I wasn't really interested in documenting something as such, I was just impressed by the people and their attitude towards me and these positive feelings resulted in pictures.
Sounds like something happened to you in India, would you say that? Yeah, maybe. At the beginning of my work I was unsure, now I can say: for example, I can't photograph people I dislike.I just don't do that. It wouldn't result in anything good. And so it started, among other things, in India that I learned to trust this natural intuition. In the last years, I listened more and more to my inner voice and in the process my work became more precise and, simply, better, because I managed to be more honest to myself.
How did you end up photographing butterflies? Is the butterfly series (2016) ironic or socially critical?
Ironic, yes but critical of society, no. The series was largely created in Asia. It is about the connection between nature and urban space, and about poetry. It's a side story that came into being precisely because I followed my feelings, quite intuitively. I wanted to allow myself to do something like that. It's a small nuance of what corresponds to my work in the larger context: to see a certain fragility and beauty in something rough.
The work is great and at the same time really brave, because you balance the series at the borderline of kitsch.
Yes I know – and it can lose balance really quickly. In retrospect, it was the right exercise, walking on that border, on this fine line. That’s where it gets interesting. If I only worked clean and factual, my artistic production would be lifeless. And that is not me. But hanging pink butterflies everywhere is obviously also mindless. I am interested in the combination of the two.
What does a day in your artistic practice look like? Do you get up in the morning and decide: today I make art?
No, I don’t think like that. Every day of the week is a normal working day. For me, the most demanding aspect is to organize the work. Writing e-mails, assigning inventory numbers, making sure that the production is right, that the galleries have what they need and so on. Everything else is intuition. I do a lot of creative things on the side, unconsciously and unfiltered. For example, I often write texts on the side, in the subway, 400 words at once when some thought enters my mind, totally rough. I send them to my own archive e-mail address and edit them later. This can happen up to a year later. Generally, I produce a lot of material, and then filter it at some stage. And then in a the second step analyze what my impulses have made me do. I would say that this filtering is actually my artistic practice. When I cognitively force myself to produce something, then you often see the artistic will in the work, the Kunstwille, and I try to avoid that. Being free, being in flow – that’s a good description of my work. If I know I can let go, it doesn’t really matter where I am.
Are the books, in which you publish both your photographs and your texts to be understood as a Gesamtkunstwerk? Are they each an expression of the same artistic need, only in two media?
The two media stand for themselves. Both my texts and my images must function individually when they stand on the page. Nonetheless, they discuss similar themes and have a similarly rough and at the same time bittersweet form of articulation, both visually and rhetorically.
A detail, no matter how small, gets maximum attention in your photographs. Where does this eye for the “beside”, for the unspectacular come from?
I find that small details can also be used to illustrate larger statements about our world. For example, the new motif I am currently thinking about: The shoe that almost steps on a flower. For me this is a political act. Or the picture of my old Reebok sneaker: it contains so many aspects of the culture I stem from. And every boy on the street could relate to that. The tough Berlin winters that have worn this shoe down twice, hip hop, street culture, aggression. However, this picture is titled “vorwärts” (transl.: onwards). So it’s also about social mobility, about a how do we get out of here, where do we go, motion, progress. A large part of my work and of my thinking is concerned with class differentiation, the questioning of alleged authorities, rebelling at feelings of exclusion. Surely, people with an affinity for art can decode certain images easily, as they have more access, more practice and knowledge in doing so. But I am concerned with people of my background – people without academic parents or much financial security – who should also be able to access these pictures and words, and read them and maybe see something touching and relatable in them. If I can get even a little bit closer to that with images like vorwärts, then I know what I am doing my work for.
»In meiner Arbeit steckt die Kultur drin, aus der ich komme.«
Interview mit Dr. Sylvia Metz für Collectors Agenda
Paul Hutchinson (*1987) thematisiert in seinen Fotografien und Texten gesellschaftliche Unterschiede, urbanes Leben und soziale Mobilität. Damit verleiht er seiner Generation eine einzigartige Stimme und zeichnet zugleich ein bittersüßes Porträt unserer Zeit. Wir haben mit ihm in seinem Berliner Atelier über seinen ungewöhnlichen Weg, den harten Berliner Winter und seine künstlerische Praxis gesprochen, mit der er nicht zuletzt Mut gegen Ausgrenzung und Klassendifferenzierung machen will.
Paul, du bist 1987 geboren und, wie du es selbst einmal formuliert hast, „im grauen Nachwende-Berlin der Neunzigerjahre aufgewachsen“. Klingt nicht so richtig nach einer schönen Zeit, oder doch?
Das ist zugespitzt formuliert von mir. Ich würde rückblickend sagen, dass ich eine erfüllte, warme Kindheit mit viel Liebe hatte. Was aber auch der Lebensrealität von uns entsprach, war die Tatsache, dass einige von uns in prekären Verhältnissen aufgewachsen sind. Die Umgebung im Schöneberger Norden war rau, besonders in der Jugend. Alle hängen auf der Straße rum und machen Blödsinn, haben Stress in der Schule, kiffen, warten stundenlang auf irgendwelche Ticker, es gibt auch Gewalt. Früher hat man beim Rausgehen immer eine Art Panzer aufgesetzt. Grade im Winter. Am Kleistpark abhängen, Potsdamer Straße, am Pallas ... Da gibt’s halt auch Stress. Das sind die Motive meiner frühen Jugend.
Hast du selbst im „Pallas(seum)“ gewohnt? Der Wohnblock taucht oft in deinen frühen Fotos auf.
Nein, meine Eltern wohnen dort um die Ecke – in der Goltzstraße, die gar nicht aggressiv, sondern eher angenehm belebt ist und noch ein bisschen alt Westberliner Charme hat. Aber als Kids haben wir natürlich da rumgehangen, wo was los war. Der Pallas war einer dieser Ankerpunkte, weil sich um ihn rum viel abgespielt hat. Das Gebäude selbst ist natürlich irgendwie auch verrückt – so auf einen alten Bunker draufgebaut. Und, klar, die kulturelle Prägung war in dem Zusammenhang auch wichtig. Ich bin zur Hälfte Einwandererkind, habe einen deutsch-irischen Hintergrund. Ich bin ein dunkler Typ, schwarzhaarig, was zu der Zeit kein komplett unwichtiges Detail war. Viele Leute in der Gegend stammen aus einem türkischen oder arabischen bzw. muslimischen Kontext. Ein Großteil meiner Freunde sind Kinder polnischer Einwanderer. Das sind kulturell natürlich alles riesige Unterschiede, die in der Jugend zum Teil aufeinanderprallten, zum Teil aber auch egal waren. Klar war eigentlich nur: Jeder kam irgendwo anders her. Irgendwann haben sich die Gruppen dann allerdings mehr und mehr voneinander abgespaltet.
Das klingt insgesamt nicht so nach einem Umfeld, in dem man sagt: „Ich möchte später Künstler werden!“ Wie hat sich das gewandelt, wie kamst du zur Kunst?
Das hat sich so ergeben. Ich hatte früh das Bedürfnis, raus zu wollen und mehr zu sehen von der Welt als nur Schöneberg-Nord. Vielleicht hat das auch was damit zu tun, dass wir als Kinder viel in Irland waren. Und auch die Möglichkeiten, die ich hatte: Ich hab Abi gemacht, konnte immer arbeiten gehen, habe einen deutschen Pass, der mir die Türen in die Welt und zu Stipendien und Förderungen öffnet. Nach einer, ich nenne es mal, kleinen jugendlichen „Chaosphase“ habe ich dafür ein Bewusstsein entwickelt und dachte, wenn ich raus will, kann ich das hinkriegen. Ich kann 100 Bewerbungen schreiben und kriege 90 Absagen. Aber bei zehn kommt vielleicht was Positives zurück. Und das hatte in erster Linie nichts mit Kunst zu tun, aber mit der Vorstellung vom Reisen. Ich wollte immer die Welt sehen. Und irgendwie habe ich immer einen Weg gefunden, dass mir das finanziert wurde. In den letzten zehn Jahren war ich bestimmt vier, fünf Jahre im Ausland und seitdem bin ich Profi im Anträge- Schreiben.
Aber erst mal bist du in Berlin geblieben und hast an der UdK Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation studiert. Wann kam die Kunst in dein Leben?
Nach meinem Abi und einer ersten längeren Reise habe ich ein Praktikum im Designbereich einer Werbeagentur gemacht. Wir haben früher ein bisschen getagged, und ich dachte, das hängt vielleicht irgendwie zusammen. Dadurch kam ich anschließend zur UdK und habe dort dann zum ersten Mal gesehen, dass Leute Kunst machen oder sich mit Kunst beschäftigen. Davor hatte ich nie wirklich damit Berührung.
Du warst bereits in Rio de Janeiro, Bangalore und an vielen anderen Orten. Wie bist du dort hingekommen?
Während der insgesamt sechs Jahre Studium habe ich probiert, die Semesterferien mit irgendwas für mich halbwegs Sinnvollem zu füllen. Deswegen habe ich immer Ausschau gehalten nach geförderten Projekten und Aktivitäten im Ausland. Durch verschiedene Programme und Engagements, wie z. B. über das Goethe-Institut, den DAAD, über das PROMOS und Erasmus, war ich zweimal länger in Indien, insgesamt dreimal länger in Lateinamerika, ein Jahr in Spanien. In Rio de Janeiro haben wir z. B. für zwei Monate in einem Vierer-Team über das Programm ASA – Engagement Global Fotoworkshops für sozial benachteiligte Jugendliche in den Favelas gegeben. Ich habe 2010 drei Monate in New York verbracht, um dem Magnum-Fotografen Steve McCurry zu assistieren, und diesen Sommer dank der 1-Dollar-Pizza Slices überlebt. Solche Geschichten! Während dieser ganzen Zeit standen für mich Neugierde und auch soziale Aspekte – ein Lernen über die Welt und auch über mich selbst – im Vordergrund. Das mit der künstlerischen Arbeit kam dann erst so Stück für Stück. Das hätte ich mir anfänglich nie zugetraut. Letztendlich habe ich 2012 meinen Lebensmittelpunkt nach London verlagert und konnte mithilfe von Bafög und einer Förderung des DAAD an der Central Saint Martins School of Arts and Design noch mal Fotografie resp. Foto-Kunst studieren. Seitdem nehme ich das alles ernster. In London habe ich auch Wolfgang kennengelernt, Wolfgang Tillmans meine ich, für den ich dann während des Studiums und auch danach in Berlin gearbeitet habe – hauptsächlich im Rahmen von Buchprojekten und einigen anderen Sachen. Das hat natürlich auch einen Einfluss gehabt.
War das der Moment, in dem du gemerkt hast, jetzt gibt’s keinen Plan B mehr, das ist kein Hobby, sondern das bin ich?
Tatsächlich hat sich das Gefühl, zu wissen, dass ich das kann und darin auch eine Ehrlichkeit habe, was Eigenes besitze und nicht nur Muster von anderen wiederhole, erst ziemlich spät eingestellt. Rückblickend betrachtet, erst nach dem Studium, in den letzten drei vier Jahren. Natürlich gibt es immer noch Referenzen, aber ich glaube, inzwischen eine eigene Sprache und Aussage entwickelt zu haben, die für sich stehen. Wenn mich heute jemand fragt, was ich beruflich mache, sage ich inzwischen: Ich bin Künstler. Das ist gar nicht so einfach und selbstverständlich bei der Fotografie, finde ich. Bei mir hatte das tatsächlich auch viel mit Anerkennung von außen zu tun. Meine Selbstreflexion wurde in großen Teilen durch andere angestoßen, dadurch, wie meine Arbeit bislang wahrgenommen wurde und wie sie Menschen berührt. Ich musste erstmal viel entwickeln, um mich selbst davon zu überzeugen, dass das aus mir herauskommt und wirklich echt und nicht abgeguckt oder geschummelt ist.
Was bedeutet es dir, zu fotografieren?
Heute wie damals ist das Fotografieren für mich immer auch ein Bewusstsein über das „In-der-Welt-Sein“. Es ist eine eigene Reflexionsmöglichkeit. Ich bin hier, ich mache und erlebe das gerade. Die Erfahrungen des Reisens z. B. – das ging bei mir zum einen übers Schreiben, aber eben auch über das Fotografieren. Es hatte anfangs gar nichts mit den Bildern an sich zu tun. Ich wurde, wie gesagt, geleitet von einer inneren Neugierde der Welt gegenüber. Und das Fotografieren war nur ein Symptom dieser Einstellung. Ich habe einen gesunden Körper und einen Geist, der funktioniert, und ich habe das Privileg von diesem deutschen Pass. Also, los geht’s.
Wann hast du mit dem Schreiben angefangen? Parallel zum Fotografieren?
Seit drei, vier Jahren behalte ich, was ich schreibe. Ich schreibe schon länger, aber gebe dem jetzt erst einen Raum und nehme mich darin ernst. Es war ein ähnlicher Prozess wie bei den Bildern: Ich hatte mich selbst oder die Kultur, aus der ich komme, in zeitgenössischer, deutschsprachiger Literatur nie wirklich repräsentiert gefühlt. Bei all den Büchern und Texten konnte ich meine Sprache und meine Leute nicht hören und hab mitunter deswegen ein Bedürfnis entwickelt, selbst Worte zu finden.
Was war dein bislang wichtigstes Literaturprojekt?
2017 wurde ich eingeladen in der Deutschen Oper in Berlin auszustellen, das war schon sehr cool. Die laden einmal pro Jahr eine*n Künstler*in ein, das super schöne, von Fritz Bornemann in den 1960er-Jahren gebaute Gebäude – Modernismus – zu bespielen. Ich habe mich sehr geehrt gefühlt. Und das war das erste Mal, dass ich in einem Ausstellungskontext mit meinen Texten gearbeitet habe. Über drei Foyer-Etagen wird die Ausstellung präsentiert und diesen drei Etagen gegenüber liegen im Inneren des Gebäudes zwei große, frei stehende Wände, die sich über die 12 Meter Höhe der Oper ziehen. Die Idee entstand, auf diesen zwei Wänden zwei meiner Texte anzubringen, denen das Publikum dann auf dem Weg zum Opernsaal begegnen würde. Ich mochte die Vorstellung natürlich, weil meine Texte eher rough sind und wir uns dort an einem Ort vermeintlicher Hochkultur befinden. Ich habe dem Team der Deutschen Oper das Konzept vorgeschlagen, und sie waren super offen und haben diese Art Spannung sogar befürwortet, was ich bis heute sehr zu schätzen weiß. Letztendlich haben dann professionelle Bühnenbauer die circa zehn Meter hohen, geplotteten Texte auf den beiden Wänden angebracht. Und ich war für einen Moment erst mal peinlich berührt. Wir haben zum Glück ein positives Feedback seitens des Publikums erhalten, was mich auch wirklich gefreut hat, da es ein Experiment war und die Texte dort schließlich zehn Monate hingen.
Du hast auch ein Projekt über Hip-Hop gemacht, in Bangalore.
Genau. Das war auch meine erste größere Publikation. 2015 war ich, im Kontext einer Artist-Residency des Goethe-Instituts, für einen Monat dort. Da ging es, rückblickend betrachtet, los mit dem Festigen meiner Stimme und meiner künstlerischen Praxis. Das Gefühl damals war: Ich will über Dinge reden, die mich berühren und interessieren, und mit Leuten Kontakt haben, mit denen ich etwas teilen kann. In Bangalore gab es eine aktive Hip-Hop-Szene. Durch das Goethe-Institut wurde ein erster Kontakt hergestellt, und ich habe mich spezifisch mit einem Freundeskreis auf Anhieb sehr gut verstanden. Letztendlich hab ich den Monat dort hauptsächlich mit denen verbracht. Die Leute waren super offen und einladend, haben mich zu einigen Rap und Breakdance Sessions mitgenommen, und wir haben noch ein paar andere Sachen zusammen erlebt. Mir ging es nicht wirklich darum, etwas groß zu dokumentieren, mich haben einfach die Menschen beeindruckt, und aus diesen positiven Gefühlen sind die Bilder entstanden.
Hört sich so an, als wäre da in Indien was mit dir passiert, kann man das so sagen?
Ja, vielleicht. Am Anfang meiner Arbeit war ich unsicher, jetzt kann ich sagen: Ich kann z. B. nicht Leute fotografieren, die ich blöd finde. Mache ich nicht. Das wird auch nicht gut. Und damit ging es, unter anderem, in Indien los, dass ich lernte, auf diese natürliche Intuition zu vertrauen. In den letzten Jahren habe ich immer mehr auf meine innere Stimme gehört, und dadurch wurde auch die Arbeit profilschärfer und besser, weil ich ehrlicher zu mir selbst wurde.
Wie kam es eigentlich dazu, dass du Schmetterlinge fotografiert hast? Ist die Schmetterlings-Serie (2016) ironisch oder gesellschaftskritisch gemeint?
Ironisch, ja, aber gesellschaftskritisch, nein. Die Serie ist zum großen Teil in Asien entstanden. Es geht um die Verbindung zwischen Natur und Stadtraum, und um Poesie. Es ist eine Side Story, die eben deshalb entstanden ist, weil ich meinem Gefühl gefolgt bin. Ganz intuitiv. Ich dachte, das ist schon ok, so was auch mal zu bringen. Es ist eine kleine Nuance von dem, was meiner Arbeit im größeren Kontext entspricht: eine gewisse Fragilität und Schönheit im Rauen zu sehen.
Die Arbeit ist toll und zugleich auch wirklich mutig, denn du balancierst mit der Serie auf der Grenze zum Kitsch.
Ja, ich weiß – und es kann auch schnell kippen. Aber das war für mich, wenn ich von jetzt aus drauf schaue, genau die richtige Übung. Eben auf diesem Grenzweg zu gehen, auf dieser feinen Linie. Genau da wird es ja auch spannend. Wenn ich nur clean und faktisch arbeiten würde, dann wäre meine künstlerische Produktion leblos. Und das entspricht mir nicht. Wenn ich jetzt allerdings nur noch pinke Schmetterlinge überall hinhänge, ist das natürlich auch bekloppt. Die Verbindung von beidem interessiert mich.
Wie sieht ein Tag in deiner künstlerischen Praxis aus? Stehst du morgens auf und beschließt: Heute mache ich Kunst?
Nee, so denke ich nicht. Jeder Tag unter der Woche ist für mich ein ganz normaler Arbeitstag. Dabei ist für mich vor allem das Organisieren die Arbeit: also E-Mails schreiben, Inventarnummern vergeben, gucken, dass die Produktion stimmt, dass die Galerien haben, was sie haben müssen und so. Alles andere ist Intuition. Ich mache viele kreative Sachen nebenbei, unbewusst und ungefiltert. Ich schreibe z. B. Texte oft nebenbei, in der U-Bahn, 400 Wörter, wenn mir etwas in den Kopf kommt, völlig rough. Ich schicke mir die dann an eine eigene Archiv-E-Mail-Adresse und bearbeite sie später weiter. Das kann bis zu einem Jahr später passieren. Allgemein ist mein Arbeitsmodus: viel produzieren und dann runterfiltern. Und dann auch im zweiten Schritt analysieren, was zu tun mich meine Impulse bewogen haben. Ich würde sagen, dieses Filtern ist tatsächlich meine künstlerische Praxis. Wenn ich kognitiv forciere, etwas zu produzieren, dann sieht man oft den Kunstwillen in der Arbeit. Und das versuche ich zu vermeiden. Sich frei zu machen, im Flow sein – das ist eine gute Beschreibung für mich und den Entstehungsprozess meiner Arbeit. Wenn ich weiß, ich kann grade loslassen, dann ist es auch egal, wo ich bin.
Sind deine Bücher, in denen du sowohl Fotografien als auch Texte von dir veröffentlichst, als ein Gesamtkunstwerk zu verstehen? Sind sie jeweils ein Ausdruck desselben künstlerischen Bedürfnisses, nur in zwei Medien?
Die beiden Medien stehen autark für sich. Meine Texte müssen individuell funktionieren, wenn sie alleine auf dem Blatt stehen, genauso wie die Bilder individuell funktionieren müssen. Nichtsdestotrotz besprechen sie ähnliche Themen und haben visuell und rhetorisch eine ähnlich grobe und zugleich bittersweete Form der Artikulation.
Ein Detail, sei es noch so klein, bekommt in deinen Fotografien eine maximale Aufmerksamkeit. Woher kommt dieser Blick für das „Daneben“, auf das Unspektakuläre?
Ich finde anhand kleiner Details lassen sich auch größere Aussagen über unsere Welt abbilden. Beispielsweise das neue Motiv, über das ich gerade nachdenke. Der Fuß, der fast eine Blume wegtritt. Das ist für mich eine politische Handlung. Oder das Bild meines alten Reebok-Sneakers: Da steckt die Kultur drin, aus der ich komme. Jeder Junge auf der Straße versteht, was dieses Bild zeigt. Berliner Winter, zwei Mal durchgetragen, Hip-Hop, Straße, Aggression. Auf der anderen Seite heißt das Bild „Vorwärts“ (engl.: onwards). Es geht also auch um soziale Mobilität, um ein Wie-kommen-wir-hier-raus, Wo-geht-es-weiter, ein Voranschreiten. Ein großer Teil meiner Arbeit beschäftigt sich mit Klassendifferenzierung, das Hinterfragen von Autoritäten, das Aufbegehren bei Gefühlen von Ausgrenzung. Klar, kunstaffine Menschen können bestimmte Bilder ganz anders dekodieren, weil sie mehr Übung und Wissen haben. Aber mir geht’s z. B. auch darum, dass Leute mit meinem Hintergrund – ohne Akademikereltern, ohne große finanzielle Absicherung – die Bilder und Texte feiern und sie lesen und in ihnen was Berührendes sehen können. Wenn ich mit Bildern wie „Vorwärts“ da auch nur ein Stück rankomme, dann weiß ich, wofür ich meine Arbeit mache.
published 2020 online and in print (excerpts), re-published 2022 in print
www.collectorsagenda.com/in-the-studio/paul-hutchinson
Tinfoil Dreams
June Drevet
I
The general nature of the present may be described as a state of transition—political, technological, and social. This thought runs through my mind daily, while traveling up and down the arterial roads of the metropolis of Berlin. Sailing past countless construction sites, seemingly fenced in for all time, more the orphaned incipiencies of large-scale initiatives for change than forward-looking investments. In between, there are creatures—people, animals, plants. Here, those who are accelerating the transition; there, those who are trying to keep pace. When looking at Paul Hutchinson’s photographs, I notice that the focus is never on fixed positions, but rather on fragile relations comprising attitudes toward the external reality of a contemporary metropolis. As such, the motifs of his pictures are entirely familiar from my own direct experience on the one hand, but they still continually foster a sense of irritation on the other. The Berlin-based photographer sets this transition at the motivic center of his artistic work, but not only that: he also positions it on technical and formal levels, so that we are ultimately faced with a nexus of diverse motifs, a melding of photographic genres, of exposure techniques and lyrical texts. His artistic intention: raising awareness of one’s own time.
Paul Hutchinson’s biography was shaped by numerous sojourns in metropolises in various regions of the world, before he returned to Berlin—to the place where he grew up during the post-reunification period, as a child of a family of German-Irish descent. During his youth, he spent his time on the streets and in the public space of Berlin’s Schöneberg district facing a context of immigration, precariat, and hip-hop. Following the principle “the city as a stateless mind,”1 Hutchinson traces the energetic vigor of big cities in his photographic practice, energy that arises at the borderlands between asperity and poetry. Today, cities throughout the world have morphed, through globalization and media, into spaces of placenessness. They no longer present a clear identity to us, but rather embrace us as “non-places.” When moving through these transitory spaces, the question perpetually arises as to which standpoint an artistic perspective can take in relation to these spaces. What standpoint do Paul Hutchinson’s shots take in showing us a metropolis? It cannot be that his photographs and texts mean to show us a specific place, since what we see is already familiar. Nothing new for anyone. A collection of trivialities is compiled, an apparent bagatelle. And it is at this very point that his narrative begins.
II
One element in Paul Hutchinson’s photographs is architecture as landscape, or the remains of nature in the city. The artist indicates as much through shots of insects and plants, bushes, trees, and fallow land already overgrown by weeds. He eludes broader narratives in the process, sticking with the beauty and texture of the perceived plants which arrived there by chance and imbue the gray of the concrete with color. Are these plants tropical? Or actually just ordinary ones that appear so extraordinary due to the detailed gaze? It is not only his focus on the next familiar environment that lends the things photographed by Hutchinson a magical touch. Even his positioning, for instance that chosen for a self-portrait in a subway tunnel, causes us to suddenly see his body as fragmented.
A magical moment in a situation that could not be more realistic. Here, too, something inscrutable opens up at the very point where a rendering of enraptured reality arises. The creation of magical elements in realistic situations is rooted in a tradition of the his- tory of literature and art which can be traced back to the 1920s and to Magical Realism; the tangible and the visible were correlated with dreams and hallucinations to foster a kind of third reality. But we also find this stylistic vein in contemporary art and in literature, such as in the narrative dance between the grotesque and the commonplace by Clemens Setz. It is here that a disruptive element creates a disturbance in the entire text, making our sense of orientation begin to totter, leaving us unsure as to what is actually happening. Hutchinson cites as an important reference the painter Peter Doig, who in contemporary art is considered to be a representative of Magical Realism and who touches on the style of New Objectivity in his artwork. In both literature and painting, Magical Realism is viewed less as a genre and more as a mindset that meanders between reality and uncanniness, objectivity and magic. Yet the human likeness does not dominate these pictures; instead, meaning is assigned to supposedly incidental objects. Does Magical Realism also play out in the realm of photography?
In photographic history, little information can be found about this particular genre, but during my research I came across this term in connection with a photographer from the 1920s who was also devoted to commonplace objects and who revealed, through the gaze of her camera, the magical and simultaneously uncanny moment beneath the common surface. Aenne Biermann (1898–1933), a photographer only peripherally known, recognized the special nature of the quotidian: in the view out of the window onto the narrow rear courtyard, in an ashtray filled with cigarette butts, in a sliced cucumber on a plate on the kitchen table, or in the dark succulent leaves of a ficus. In Hutchinson’s photographic series, in turn, there are shots that remind us of similar scenes: the roasted chicken in tinfoil or the random arrangement of withered blue petals and white cigarette filters on a table, through which the charging cable of a laptop is coiling. A houseplant with a shiny shell between its leaves, held by the artist. The roasted chicken in tinfoil is captured from a top view.
With its apparent randomness, this perspective is reminiscent of flirtation with the sumptuous still life. As opposed to vanitas or floral still lifes, such luxuriant renderings portrayed Dutch merchants of the seventeenth century in grand style. Hutchinson stages his found motifs similarily, in a way that, according to Maren Lübbke-Tidow, disallows narration on the one hand and establishes one’s own semiotic system in the image on the other hand, so as to foster present-day references to everyday culture.2 We may not know who shredded the roasted chicken, whether and why it already lay three days in the sun or was maybe just now taken down from the spit. But it is most definitely present, with its glistening grease, at every food stand, at any time of day.
Another subject taken up by Hutchinson and made part of his semiotic system is the butterfly. An insect that withdraws into the dark, only to return in altered form. It is this transformation, the simultaneous delicacy and robustness of the insect, that permits its continued existence in an ever-changing world. With its compound eyes, the butterfly views the world as if through a kaleidoscope, from several thousand angles at once. The fragility of the brimstone butterfly regularly returns—visually, but also metaphorically, as an autonomous microcosm within the urban dynamics—to Hutchinson’s images and texts:
to get out of this town / out of the grey, the frail, the freeze / it’s not working for me / so give me something to fly / head off for a while . . . // just like these tiny things with wings / that take off, like that // mind forward, back closed // I’m one of those3
The conflation of transformation, fragility, transience, and ephemerality is evident in numerous photographs. The artist’s awareness of street life and tenderness not being mutually exclusive is also found in his texts that have accompanied many of his photographs since 2016. Here, the artist writes in a language familiar to him from his youth and from the streets of his neighborhood, lending the texts lyrical form. He wants to proceed in a way similar to his photographs: creating stand-alone works of art filled with their own magic and without need of any genre ascriptions. Similar to the photos, with his poems Hutchinson intends to “push and exert physical pres- sure.”4 The rapper Ebow from Vienna sings the following on her current album “K4L” (2019): “Ihr seid sauer wenn / die Straßen schlauer klingen” (You are miffed when / the streets sound smarter). For his poems, the artist favors a language evocative of the slang of hip-hop and rap. There are parallels in terms of content as well, such as when topics like class differences and discrimination, but also the propensity of youth to hang out, mooch, roam about, and wait without a concrete goal, are described. The idea underlying the poems is to bring “non-academic language” into a literary form and to publish it in places where people are convinced that this cannot be called “German.”
Paul Hutchinson lets the linguistic and artistic exploration of his own origins flow into his work in many respects, which rein- forces the impression of a highly subjective artistic approach. Can we liberate ourselves from our situatedness within society by analyzing it? Rather than in the field of sociology, this question is currently being posed in the context of literature: authors like Didier Eribon, Édouard Louis, and Ocean Vuong are returning in their narratives to their own social roots and are viewing the imprint of these roots with a temporal distance from today’s vantage point and also as a transformation of the self.5 Such a process is likewise evident in Paul Hutchinson’s photographs, whether highly visually concrete through the reiterate rendering of subway rearview mirrors or through extensive portrait series of his young protagonists. The shots show friends and acquaintances in their material reality of sneakers and hoodies, yet also their softness and vulnerability. For Hutchinson, this softness is actually much more distinctive in the description of young adults today. The establishment of such de-pictions of emotional worlds in their own semiotic system enables Hutchinson to create his own kind of matrix. Perhaps this is what gives rise to the impression that the artist is conveying his own inner freedom—or maybe state of liberation—through his work.
The processes of change related to genre and format ascriptions or to the selection of subjects and themes, which Hutchinson uses to highlight the life of young individuals in big cities, are continued by the artist on a technical level, thus aligning himself with a con- temporary photographic style. After all, the history of photography is also a history of technological progress. Moving away from the analogue toward the digital facilitates a remarkable scope of technology for taking photos but also for their dissemination. In the case of Hutchinson’s photographs, the question likewise arises as to how the present should be read and how we might respond to it technically. Hutchinson thematically incorporates transitions within society and in photographic discourse by constellating, again and again, low- and high-resolution shots together. The images stand alone without hierarchy, together and above discourse on analogue and digital photography. Through grainy and noisy “poor images”6 taken by a smartphone camera, along with high-resolution photographs, Hutchinson purposefully allows visual dissonance to arise, resulting in multiplied materiality. The coexistence of moments, events, and feelings becomes formally visible and tangible.
III
“To me, what’s currently happening to Berlin is an example of how crazy this world is.”7 Paul Hutchinson’s photographs initially show microcosms, which, however, immediately allude to a larger whole. And sometimes these “cosms” are so teensy that we almost overlook or dismiss them: as brief as fleeting eye contact or as small as the size of a tiny snail shell. His most recent series of photos, presented for the first time here, was created during his stay in southern France in the summer of 2019 during the Berlin Masters Schliemann Residency Program. In this series, the artist photographically approximates the city of Marseille, among other places. Apparently, it is one of the most socially precarious cities in Western Europe, at the same time surrounded by the affluent Provençal region. Hutchinson’s pictures once again show the apparent nugacities of summer vacation, roadside stands, landscapes of urban greenery and refuse, as well as the raw beauty of Le Corbusier’s Unité d’habitation, the “machine for living,” in the evening light. Accompanied by a multiline poem, which unexpectedly takes us away from the dusky microcosm:
sitting in the train writing / will they check my ticket / where have all these fancy glasses come from / where the make up / and the busy looks / is this the beginning of the end/is this how it looks// thinking back to your little tinfoil dreams / this can’t be enough
As of now there is no way back. We cannot view the images without thinking of the beginning of the end. Paul Hutchinson encounters his muteness in the face of reality’s contradictions with a dreamy artistic air. But a fascination with the trivial should not be confused with apathy. Perhaps the code of the present is stored within the discarded and neglected? The pictures seem as if they wished to endow things with language. Might the roasted chicken in tinfoil say something about us after all—if we were only to listen more closely? When moving through the city, we are indeed confronted with the trivial, of which some things make sense, while others (initially) do not.
1 This was the name given to the first issue of the street-art magazine Arts of the Working Class in 2018.
2 Maren Lübbke-Tidow, Introduction to Obstinacy of Things: Still Life in Photographic Concepts of the Present, eds. Bettina Leidl and Maren Lübbke-Tidow (Leipzig: Spector Books, 2018).
3 Excerpt from the poem “Schmetterlinge” (Butterflies), in Paul Hutchinson, Schmetterlinge (Berlin: The Green Box, 2016), p. 1.
4 Paul Hutchinson in conversation with the author, August 2019.
5 Édouard Louis, “Changing: On Self-Reinvention und Self-Fashioning,” lecture in the scope of Mosse-Lectures at the Humboldt-University zu Berlin, June 27, 2019.
6 Hito Steyerl, “In Defense of the Poor Image,” e-flux Journal 10 (November 2009).
7 Paul Hutchinson in conversation with the author, August 2019.
Alufolienträume
June Drevet
I
Die allgemeine Beschaffenheit der Gegenwart lässt sich als eine des Übergangs beschreiben – politisch, technologisch und sozial. Das denke ich etwa ein Mal täglich, wenn ich mich auf und in den Verkehrsadern der Großstadt Berlin bewege. Im Vorbeiflug unzählige Baustellen, scheinbar bis in alle Ewigkeit umzäunt, vielmehr die verwaisten Anfänge groß angelegter Veränderungsvorhaben denn zukunftstaugliche Investitionen. Dazwischen Wesen – Menschen, Tiere, Pflanzen. Hier die, die den Übergang vorantreiben und dort jene, die versuchen, mit ihnen mitzuhalten. Schaue ich auf Paul Hutchinsons Fotografien, stelle ich fest, dass es sich nie um fixierte Positionen, sondern um fragile Verhältnisse handelt, aus denen sich die Einstellung gegenüber der äußeren Wirklichkeit einer zeitgenössischen Großstadt zusammensetzt. So sind mir die Motive seiner Bilder zum einen aus der unmittelbaren Erfahrung durchweg bekannt, zum anderen erzeugen sie fortlaufend Irritationen. Der Berliner Fotograf macht diesen Übergang nicht nur motivisch zum Zentrum sei- ner künstlerischen Arbeit, sondern auch auf technischer sowie auf formaler Ebene, sodass wir schlussendlich ein Geflecht aus einer Motivvielfalt, eine Verschmelzung fotografischer Genres, von Aufnahmetechniken und lyrischen Texten vor uns haben. Seine künstlerische Intention: ein Bewusstsein für die eigene Zeit zu schaffen.
Paul Hutchinsons Biografie ist geprägt von zahlreichen Aufenthalten in Großstädten in unterschiedlichen Regionen der Welt, bevor er nach Berlin zurückkehrte – dorthin, wo er als Kind einer deutsch-irischen Familie in der Nachwendezeit aufgewachsen ist und während seiner Jugend in Berlin-Schöneberg im Kontext von Immigration, Prekariat und Hip-Hop seine Zeit auf den Straßen und an öffentlichen Plätzen verbrachte. Nach dem Leitsatz »the city as a stateless mind«1 spürt Hutchinson in seiner fotografischen Praxis den generellen Energien von Großstädten nach, die im Grenzgang zwischen Rauheit und Poesie entstehen. Städte weltweit haben sich heute zu Räumen der Ortlosigkeit globalisiert und medialisiert. Sie treten uns nicht mit einer klaren Identität gegenüber, sondern nehmen uns als »Nicht-Orte« auf. In der Bewegung durch diese transitorischen Räume stellt sich immer wieder die Frage nach dem Standpunkt, den eine künstlerische Perspektive ihnen gegenüber einnehmen kann. Von welchem Standpunkt aus zeigen Paul Hutchinsons Aufnahmen eine Großstadt? Mit seinen Fotografien und Texten kann er uns keinen spezifischen Ort zeigen wollen, denn das, was wir sehen, kennen wir schon. Nichts Neues für nie- manden. Eine Ansammlung von Nebensächlichkeiten wird erstellt, eine scheinbare Bagatelle. Und genau an dieser Stelle beginnt seine Erzählung.
II
Ein Element in Paul Hutchinsons Fotografien ist die Architektur als Landschaft beziehungsweise die Reste von Natur in der Stadt. Diese zeigt der Künstler mit Aufnahmen von Insekten und Pflanzen, Sträuchern, Bäumen und Brachflächen, auf denen sich das Unkraut bereits flächig ausgebreitet hat. Dabei lässt er weiter greifende Narrative weg und belässt es bei der Schönheit und Textur der gesehenen Pflanzen, die durch Zufall dort gelandet sind und das Betongrau mit Farbe versehen. Sind es tropische Pflanzen? Oder doch ganz gewöhnliche, die nur durch den detaillierten Blick so außergewöhn-lich erscheinen? Nicht nur sein Fokus auf die nächste und vertraute Umgebung verleiht den Dingen, die Hutchinson fotografiert, etwas Magisches.
Auch seine Positionierung, die er etwa für ein Selbstporträt in einem U-Bahn-Schacht wählt, führt dazu, dass wir seinen Körper plötzlich zerstückelt sehen. Ein magischer Moment in einer Situa- tion, die realistischer nicht sein könnte. Es tut sich auch hier etwas Abgründiges an der Stelle auf,wo eine Abbildung entrückter Wirklichkeit entsteht. Das Kreieren von magischen Elementen in realistischen Situationen steht in einer literatur- und kunsthistorischen Tradition, die sich bis in die 1920er-Jahre und auf den Magischen Realismus zurückführen lässt; Greifbares und Sichtbares wurde mit Träumen und Halluzinationen zu einer Art dritten Realität in Beziehung gesetzt. Wir finden diese stilistische Strömung aber auch in der Gegenwartskunst und in der Literatur, wie beispielsweise in dem narrativen Tanz zwischen dem Grotesken und Gewöhnlichen von Clemens Setz. Hier sorgt ein disruptives Element für eine Störung im gesamten Text und unsere Orientierung gerät ins Wanken, wir sind unsicher, worum es nun eigentlich geht. Hutchinson spricht von dem Maler Peter Doig als wichtige Referenz, der als Vertreter des Magischen Realismus in der zeitgenössischen Kunst gilt und in seinen Arbeiten an den Stil der Neuen Sachlichkeit anknüpft. Sowohl in der Literatur als auch in der Malerei versteht man den Ma- gischen Realismus weniger als eine Gattung, sondern vielmehr als eine Geisteshaltung, die ständig zwischen Realität und Unheimlich- keit, Objektivität und Magie mäandert. In diesen Bildern dominiert allerdings nicht das Abbild des Menschen, vielmehr wird vermeintlich nebensächlichen Gegenständen Bedeutung beigemessen. Gibt es einen Magischen Realismus auch in der Fotografie?
In der Geschichte der Fotografie lässt sich nur wenig zur genannten Strömung finden, allerdings stoße ich im Zuge meiner Recherchen auf die Formulierung in Verbindung mit einer Fotografin der 1920er-Jahre, die sich ebenfalls alltäglichen Objekten widmete und durch ihren Kamerablick deren magisches und zugleich unheimliches Moment hinter der gewöhnlichen Oberfläche offenlegte. Die nur peripher bekannte Aenne Biermann (1898 – 1933) erkannte die Besonderheit im Alltäglichen: im Blick aus dem Fenster in einen engen Hinterhof, in einem mit Zigaretten gefüllten Aschenbecher, einer aufgeschnittenen Gurke auf einem Teller auf dem Küchentisch oder in den dunklen fleischigen Blättern eines Fikus. In Hutchinsons Fotostrecken lassen sich wiederholt Aufnahmen finden, die an ähnliche Szenen erinnern: das Grillhähnchen in Alufolie oder die zufällige Anordnung von blauen, verwelkten Blütenblättern und weißen Zigarettenfiltern auf einem Tisch, durch die sich das Ladekabel eines Laptops schlängelt. Eine Zimmerpflanze, zwischen deren Blättern der Künstler eine schimmernde Muschel hält. Das Grillhähnchen in Alufolie ist in einer Draufsicht festgehalten. Diese Ansicht lässt in ihrer scheinbaren Zufälligkeit an ein Kokettieren mit dem Prunkstillleben denken. In Abgrenzung zum Vanitas- oder Blumenstillleben bildeten solche Glanz und Gloria der niederländischen Kaufleute im 17. Jahrhundert ab. Hutchinson inszeniert seine gefundenen Motive auf ähnliche Weise, sodass, laut Maren Lübbke-Tidow, einerseits eine Narration verweigert wird und andererseits eigene Zeichensysteme im Bild etabliert werden, um einen alltagskulturellen Gegenwartsbezug herzustellen.2 Wir wissen zwar nicht, wer das Grillhähnchen zerfetzt hat, ob und weshalb es schon drei Tage in der Sonne lag oder ob es frisch vom Spieß kommt. Aber es ist zweifellos da, mit seinem glänzenden Fett, an jedem Imbiss und zu jeder Uhrzeit.
Ein weiteres Sujet, dessen Hutchinson sich annimmt und Teil seines Zeichensystems werden lässt, ist der Schmetterling. Ein Tier, das sich ins Dunkle zurückzieht, um dann in veränderter Erscheinung wiederzukehren. Es ist die Transformation, die Zartheit und zugleich die Robustheit des Insekts, die es ihm ermöglicht, in der sich ständig verändernden Welt weiterhin zu existieren. Mit seinen Facettenaugen betrachtet er die Welt kaleidoskopartig aus mehreren tausend Winkeln zugleich. Die Zerbrechlichkeit des Zitronenfalters kehrt sowohl visuell als auch metaphorisch als eigenständiger Mikrokosmos innerhalb der Stadtdynamik regelmäßig in den Bildern und auch in Textform bei Hutchinson wieder:
raus aus der stadt / raus aus dem grauen, dem faulen, dem fiesen / also gib mir was zum fliegen [...] // genau wie diese kleinen dinger mit flügeln / will nicht mehr lügen / kopf nach vorne, rücken zudrehen // ich bin einer von denen3
Die Verschmelzung von Transformation, Zerbrechlichkeit, Flüchtigkeit und Kurzlebigkeit ist in zahlreichen Fotografien wiederzufinden. Den Sinn dafür, dass sich Streetlife und Zartheit nicht ausschließen, stiftet der Künstler auch in seinen Texten, die er seit 2016 vielen seiner Fotografien beistellt. Hierfür schreibt er in einer Sprache, die er aus der Jugend und von den Straßen seines Kiezes kennt und bringt sie in eine lyrische Form. Er möchte hier ähnlich vorgehen wie bei seinen Fotografien: für sich selbst stehende Kunstwerke schaffen, die in sich eine eigene Magie tragen und keine Genrezuschreibung benötigen. Wie mit den Bildern, will Hutchinson mit den Gedichten »pushen und einen physischen Druck ausüben.«4 Die Wiener Rapperin Ebow singt auf ihrem aktuellen Album »K4L« (2019): »Ihr seid sauer wenn / die Straßen schlauer klingen«. Der Künstler wählt für seine Gedichte eine Sprache, die an den Slang von Hip-Hop und Rap erinnert. Auch inhaltlich gibt es Parallelen, wenn wiederholt Themen wie Klassenunter- schiede und Chancenungleichheit, aber auch das jugendliche Abhängen, Schnorren, Herumstreunen und Warten ohne konkretes Ziel beschrieben werden. Der Gedanke, der den Gedichten zugrunde liegt, ist es, die »nicht-akademische Sprache« in eine literarische Form zu bringen und an jenen Orten zu veröffentlichen, an denen es heißt, dass es sich dabei nicht um »Deutsch« handele.
Die sprachliche und künstlerische Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft lässt Paul Hutchinson vielfach in seine Arbeit einfließen und verstärkt dadurch den Eindruck eines sehr subjektiven künstlerischen Ansatzes. Können wir uns freimachen von unserer Situiertheit innerhalb der Gesellschaft, wenn wir sie analysieren? Diese Frage stellt man sich aktuell weniger in der Soziologie denn in der Literatur: Autoren wie Didier Eribon, Édouard Louis und Ocean Vuong kehren in ihren Erzählungen zu den eigenen sozialen Wurzeln zurück und betrachten ihre Prägung mit einem zeitlichen Abstand aus heutiger Sicht auch als eine Transformation des Selbst.5 Auch in Paul Hutchinsons Fotografien ist dieses Vorgehen gegenwärtig, ob ganz bildhaft konkret durch das wiederholte Abbilden von U-Bahn-Rückspiegeln oder durch umfangreiche Porträtserien seiner jungen Protagonist*innen. Die Aufnahmen zeigen Freund*innen und Bekannte in ihrer materiellen Realität aus Sneakern und Hoodies, doch auch in ihrer Softness und Verletzlichkeit. Diese Fragilität ist für Hutchinson eigentlich viel markanter in der Beschreibung eines jungen Erwachsenen heute. Durch das Etablieren solcher Abbilder von Gefühlswelten in ihrem eigenen Zeichensystem ermöglicht Hutchinson es sich, eine Art eigene Matrix zu erstellen. Vielleicht rührt daher der Eindruck, dass der Künstler eine eigene innere Freiheit – oder vielleicht Befreitheit – mit seiner Arbeit vermittelt.
Die Veränderungsbewegungen im Hinblick auf Genre- und Formatzuschreibungen oder die Wahl der Sujets und Themen, mit denen Hutchinson das Leben junger Individuen in Großstädten aufzeigt, führt er auch auf technischer Ebene weiter und reiht sich damit in einen zeitgenössischen fotografischen Stil ein. So ist die Geschichte der Fotografie auch eine des technologischen Fortschritts. Die Bewegung weg vom Analogen hin zum Digitalen ermöglicht einen außergewöhnlichen Umfang sowohl an Aufnahme- als auch an Veröffentlichungstechniken. Auch bei Hutchinsons Fotografien tut sich die Frage auf, wie Gegenwart zu lesen ist und wie man technisch darauf reagieren kann. Übergänge in der Gesellschaft sowie im Fotodiskurs bindet Hutchinson thematisch ein, indem er Low-Res- und High-Res-Aufnahmen immer wieder miteinander verschränkt zeigt. Die Bilder stehen hierarchielos, gemeinsam und über der Debatte um die analoge und digitale Fotografie. Durch körnige und rauschige »poor images«6 von einer Smartphone-Kamera sowie hochaufgelöste Fotografien lässt Hutchinson absichtlich eine visuelle Dissonanz entstehen, die eine vervielfältigte Stofflichkeit zum Ergebnis hat. Die Koexistenz von Momenten, Ereignissen und Gefühlen wird formal sichtbar und spürbar.
III
»Die aktuelle Entwicklung von Berlin nehme ich als Beispiel dafür, wie verrückt diese Welt ist.«7 Paul Hutchinsons Fotografien zeigen zunächst Mikrokosmen, die aber unmittelbar auf ein größeres Ganzes verweisen. Und manchmal sind diese Kosmen so winzig klein, dass wir sie fast übersehen oder abtun: so klein wie die Länge eines flüchtigen Blickkontakts oder wie die Größe eines winzigen Schneckenhauses. Seine neueste Fotostrecke, die hier erstmalig abgebildet ist, entstand im Sommer 2019 während seines Aufenthalts in Südfrankreich im Rahmen des Berlin Masters Schliemann Residency-Programms. Hier nähert er sich fotografisch unter anderem der Stadt Marseille. Sie ist eine der wohl sozial prekärsten Städte Westeuropas und zugleich von der wohlhabenden provenzalischen Region umgeben. Hutchinsons Aufnahmen zeigen erneut scheinbare Belanglosigkeiten zwischen Sommerurlaub, Straßenständen, Landschaften aus städtischem Grün und Abfall sowie die raue Schönheit von Le Corbusiers »Wohnmaschine« Unité d’habitation im Abendlicht. Dazu ein Mehrzeiler, der uns unerwartet den schummrigen Mikrokosmos verlassen lässt:
sitz im zug und schreibe / kontrollieren die mein ticket / wo kommen die ganzen teuren augen her / wo das make-up / und die gestressten blicke / ist das der anfang vom ende / ist das was alle wissen // schau zurück auf deine kleinen alufolienträume / da kann was nicht stimmen
Ab jetzt gibt es kein Zurück, wir können die Bilder nicht mehr betrachten, ohne an den Anfang vom Ende zu denken. Seiner Sprachlosigkeit angesichts der Widersprüchlichkeit der Realität begegnet Paul Hutchinson mit einem träumerisch anmutenden künstlerischen Gestus. Aber Faszination für das Belanglose ist nicht zu verwech- seln mit Teilnahmslosigkeit. Ist in diesem Weggeworfenen und außer Acht Gelassenen vielleicht der Code der Gegenwart gespeichert? Die Bilder wirken, als wollten sie den Dingen eine Sprache geben. Kann das Grillhähnchen in Alufolie nicht doch etwas über uns sagen – sollten wir dafür nur genauer hinhören? Denn wenn wir uns durch die Stadt bewegen, sind wir ständig mit Belanglosem konfrontiert, von dem manches einen Sinn ergibt, und anderes (zunächst) nicht.
1 This was the name given to the first issue of the street-art magazine Arts of the Working Class in 2018.
2 Maren Lübbke-Tidow, Introduction to Obstinacy of Things: Still Life in Photographic Concepts of the Present, eds. Bettina Leidl and Maren Lübbke-Tidow (Leipzig: Spector Books, 2018).
3 Excerpt from the poem “Schmetterlinge” (Butterflies), in Paul Hutchinson, Schmetterlinge (Berlin: The Green Box, 2016), p. 1.
4 Paul Hutchinson in conversation with the author, August 2019.
5 Édouard Louis, “Changing: On Self-Reinvention und Self-Fashioning,” lecture in the scope of Mosse-Lectures at the Humboldt-University zu Berlin, June 27, 2019.
6 Hito Steyerl, “In Defense of the Poor Image,” e-flux Journal 10 (November 2009).
7 Paul Hutchinson in conversation with the author, August 2019.
published in Camera Austria #147, 2019
Interview
with Julia Rosenbaum for Visual Thoughts
Paul Hutchinson (*1987) grew up in a German/Irish family in Berlin, he studied there at Universität der Künste and at Central Saint Martins College of Art and Design, University of London. A conversation about origins, visual and textual language as well as the latest works.
Julia Rosenbaum/ Studio Visits: As a teenager you were part of the Berlin Hip-Hop scene of the 1990s.
PH: People are always quick to say, ‘part of the hip-hop scene’, also because I used that phrase myself a few years ago. But I have come to realise that this has led to the wrong associations. Hip-Hop scene doesn’t convey the right image. It makes you think of gigs, active participation, music production and a small, narrow circle. That was also part of it. But for us the music-making aspect was rather passive. Hip-hop was something unconscious that we took for granted, like a background noise – and many of us didn’t contribute actively to it. The whole culture that I grew up in and that influenced me contains a million other things that are not exclusively related to hip-hop. That would be too insular. Other important keywords are immigration, language, street culture. For instance, we didn’t have any breakdance. And graffiti also remained on the margins. Alpha male posturing, even aggression, mugging and selling/buying weed were very present. That’s North-Schöneberg of the 90s/2000s. Schöneberg 30. Hip-hop was of course part of everything, but it never really felt special, or like a ‘scene’. It just felt like an ordinary youth in the city. I mean the Royal Bunker was founded on Yorkstraβe, people like KKS/MOR, Aggro Berlin, were important in that area back then. But so were many other things.
What brought you from there to photography?
PH: Looking at it retrospectively, what brought me to photography is that I wanted to get away from the then grey, musty and rough West-Berlin. I wanted to see more than just Kleistpark and all those places and faces. Therefore education and travel. Living elsewhere, exploring other circles. I was always aware of the disposition of having a German passport and thus being eligible for German funding opportunities. And to be naturally curious. And I have always felt very privileged in that way. To just feel like doing stuff and generally to be in a good mood – especially after I spent a lot of my time as a teenager smoking weed and hanging out or making trouble – was something I was always grateful for and still am today. And the translation of these experiences, of my travels, but also the notion of somehow having been fortunate enough to find myself undergoing an academic education and amongst very educated people, the physical manifestation of all that, for me personally, was to take pictures.
How have your childhood and youth influenced your photography?
PH: I believe that everything I do, all my activities, are somehow linked to where I come from and the experiences, I have been able to make since.
Your style can neither be referred to as documentary nor does it belong to purely poetic-artistic aesthetics.
When looking at my work, it’s useful to bear in mind that I am purposefully creating my own system of references to reflect my inner emotions and my perception of our reality. Within this system metro stations can exist next to butterflies and next to trainers because they all have a similar air to them and they reflect the mindset with which I approach the world: naivety.
Revealing this and to be open about it, as well as the experiences that come with it – on the one hand a profound belief in all that’s good and positive in life, on the other failure and the aggression and despair that come with it –, is what defines my voice. Just life, really.
I also think that ‘style’ is a problematic term to apply to art and I would say that’s not what it’s all about. The question of style arises in the second and third instance. And I think one shouldn’t focus on trying to emulate it. First of all, it’s about content and, maybe, emotion. At least that’s how I perceive art.
In 2016 you were awarded the Eberhard-Roters-Stipendium (bursary) for Young Art, which apart from an acquisition by the Berlinische Galerie, Museum of Modern Art, also comes with a grant of 15,500 Euros.
PH: Yes, that was somehow an important moment when I thought: ‘Okay, maybe I can actually do this.’ To put aside any daydreaming and really, pragmatically, think about the future and reallse – this could be my job one day, no joke. Someone’s actually paying me to do this. Without this kind of support and the recognition of the work that comes with it, the incentive to carry on, I wouldn’t have been strong enough to develop my own practice. There are of course many ways in which things could be improved, but generally I believe we should consider ourselves extremely lucky that we have this cultural infrastructure here in Germany. And what it makes possible for society as a whole, not just with regard to artists. The achievements of the KSK or the BBK alone should always be mentioned I think – these institutions are not something we should take for granted.
For the series ‘Schmetterlinge’ (Butterflies) you are looking at an almost classical subject. That’s brave, since animal pictures are usually something for National Geographic.
PH: Yes, totally. At first, I was also wondering what this is all about. But after a while it all made sense and I began to see in these comical motifs, partly my own collages, a kind of bittersweetness and poetry, which corresponds to my work in general. I always think that we should allow ourselves to take risks and not be afraid of failure. Initially, I wasn’t sure about the butterflies – something that now feels completely natural and carries so much narrative – and I was almost too embarrassed to really go ahead with it. A few years later you then realise ‘Oh no, that was exactly right’. And as you gain experience with creating work you learn to trust precisely this inner intuition and how to channel it. I always think that the courage to be free in artistic production as we know it from Polke, Richter or Kippenberger or a Hannah Höch is maybe what art is missing nowadays. When everything is so corporate and slick and clear profiled. I always found the spectrum of variation that those positions contained to be very inspiring.
Your publication ‘Pictures and Words’ (Texte und Bilder) also deals with a subculture, this time the pictures were mostly taken in Berlin. Are we encountering the portrait of a generation or rather a way of life?
PH: No, I don’t think that I would be in a position to portray my generation – that’s not what I’m trying to do. For instance, I don’t feel like I am in any way part of the whole ‘New Creative Berlin’ international start-up thing which is taking up more and more space amongst members of my generation. Or the hip and cool and Berghain way of being. This is simply my home here, my heimat. The place I breathe and feel and live. And if I take pictures of people it’s because I feel some kind of affection for them, or because I admire them. Not because they are seemingly appropriate representatives of their generation. I can only talk about my own world and my own experiences and I have no ambition to do anything else. If there is a particular way of being in my work, then it’s the one that I carry within myself.
At first glance your books always seem like a spontaneous snapshot, on closer inspection they turn out to be delicate photographic compositions. I imagine that this tension is a difficult balancing act. What does your work process up to completion look like?
PH: I work very intuitively. If something moves me, positively or negatively, then I try to translate it into images or words. The result is a lot of material and it’s my job afterwards to adequately and precisely filter this material. So that what I want to say or feel, becomes visible. After all, it’s part of my job now, to share this. And ideally this moves someone somewhere and therefore maybe creates some sort of value or makes someone feel understood. But yes, generally this is my process: overproduction and then filtering it down.
In addition to your photography you also write texts. What do they mean to you?
PH: The texts have their own life, next to my images. They are not an illustration of my photographic practice, instead they exist equally and independently. Writing has been a part of what I do for quite some time now. And after a while I realised that the texts don’t close my work down, but rather open them up. So I thought it might be justifiable to publish them. The texts act with a similar urge as the images, I think. It was important for me, or there was never really another way to do so, to articulate the aesthetics and the relevance that I see in rather rough subjects – linguistically as well as semantically. I engage quite a bit with literature, and I have realised for instance that I haven’t yet been able to find the form in which I communicate on a daily basis, represented in contemporary German literature. I never understood that. Why do the books of today speak so differently to the way I speak? Where are my people in these books? Where is my language? The decision to forge ahead and publish these seemingly embarrassing non-academic street texts was the result of all of that. And now this also feels honest and right to me.
In your catalogue and photography book ‘Pictures and Words’ (Texte und Bilder) published by Distanz Verlag, you combine pictures and texts for the first time. What’s happening there?
PH: I believe that these images and texts are good for each other. And I think they challenge the way people engage with pictures in general and with my work in particular.
There are two editions of the catalogue: one published in English and another one in German. Have you had all texts translated or was it simply not possible to translate some of them because they would suddenly have sounded so differently in the other language? How did you deal with the differences between the two languages?
PH: I write in German and I write in English, I was raised bilingual. With some texts I managed to do a free translation, with others it just wasn’t possible. In both editions of the book there are a few translations, maybe 30% of all texts (translated from English to German as well as from German to English). I did all the translations myself, anything else wouldn’t feel right. The rest are simply different texts. So really these are two different books. Personally, I almost find it easier to write in English, the risk of sounding pathetic is much smaller than in German. German is more difficult to me but also much more rewarding if you manage to pull it off, to be precise. At the same time, it’s much more disastrous if you fail, which is easier to hide in English again. Even though they both convey a similar way of life, I would say that the English edition is a bit more optimistic, a bit warmer. The German edition is a bit rougher but in parts also more independent. Despite the bilingualism, I still went to school in Berlin and that’s also where I feel the socialisation of my early years much more strongly than, for instance, in Ireland. That’s of course reflected in my language.
Do politics play a role in your work?
PH: The more I produce the more I realise myself that almost anything I engage with is, if seen from a distance, politically motivated. Engaging with social inequality, the hierarchies of
language, the motif of uprisings against so-called authorities. That is the prevailing mood of my work, which carries everything and holds it together.
Do you feel a responsibility as an artist to make your voice heard politically?
No, not necessarily as an artist, but as a human being. In my own case there is a certain motivation behind my works, but art can also work perfectly free of politics. However, as a conscious and feeling human being I think about the world we live in – just like all other conscious and feeling human beings too – and I articulate whatever occupies my mind, be it positive or negative.
Interview mit Julia Rosenbaum für Visual Thoughts
Paul Hutchinson (*1987) wuchs als Deutsch-Ire in Berlin auf und studierte dort an der Universität der Künste sowie an der Central Saint Martins University of the Arts in London. Ein Gespräch über Herkunft, Bild- und Textsprache sowie die neueste Arbeit.
Julia Rosenbaum / StudioVisits: Du warst als Jugendlicher Teil der Berliner Hip-Hop-Szene der 1990er Jahre.
Paul Hutchinson: Das mit „Teil der Hip-Hop“ Szene wird immer schnell gesagt, auch weil ich das selbst mal vor Jahren so formuliert hatte. Mir ist inzwischen aufgefallen, dass damit die falschen Assoziationen geweckt werden. Hip-Hop Szene vermittelt das falsche Bild. Da denkt man schnell an Konzerte, aktives Teilhaben, Musikproduktion und an einen kleinen, engen Kreis. Das gab es auch. Aber bei uns war es vom Musikmachen her eher passiv. Hip-Hop war unbewusst und selbstverständlich. Wie ein Hintergrundrauschen – für das viele von uns nichts aktiv produziert haben. Zu der gesamten Kultur, mit der ich aufgewachsen bin und die mich geprägt hat, gehören tausend andere Sachen, die nicht ausschließlich was mit Hip-Hop zu tun haben. Das wäre zu klein. Wichtige Schlüsselworte sind auch Immigration, Sprache, Straßenkultur. Bei uns gab es z.B. kein Breakdance, auch Graffiti gab es nur peripher. Präsent war Alphagehabe, auch Aggression, Abziehen, Ticken. Das ist Nord-Schöneberg der 90er/2000er Jahre, Schöneberg 30. Hip-Hop schwebte dabei natürlich über allem, aber fühlte sich nie wirklich besonders oder „szenig“ an, sondern einfach wie eine Standard-Jugend in der Stadt. Klar, der Royal Bunker wurde in der Yorckstraße gegründet, Leute wie KKS/MOR, Aggro Berlin, waren damals in der Gegend wichtig. Aber vieles andere auch.
Wie kamst Du von da zur Fotografie?
Zur Fotografie kam ich, retrospektiv betrachtet, weil ich aus dem damals grauen, muffigen, rauen West-Berlin weg wollte. Und mehr sehen wollte als nur den Kleistpark und die ganzen Orte und Gesichter. Deswegen Bildung und Reisen. Woanders leben, andere Kreise kennenlernen. Über die Disposition, einen deutschen Pass zu haben, damit für deutsche Fördermöglichkeiten berechtigt zu sein und ganz natürlich diese innere Neugierde zu haben, war ich mir immer bewusst und habe mich damit privilegiert gefühlt. Einfach Lust zu haben, Sachen zu machen und allgemein gut drauf zu sein – vor allem nachdem ich viel Zeit in meiner Jugend mit Grasrauchen und Rumhängen oder mit Stressmachen verbracht hatte – war etwas, worüber ich dankbar war und noch heute bin. Und die Übersetzung von diesen Erfahrungen, von dem Reisen, aber auch von dem Gefühl irgendwie aus Glück in einer akademischen Ausbildung und unter viel gebildeteren Menschen gelandet zu sein, der physische Umgang damit, folgte dann bei mir persönlich über das Bildermachen.
Was für einen Einfluss hatte Deine Kindheit und Jugend auf Deine fotografische Arbeit?
Ich glaube, alles was ich tue, all meine Aktivitäten, sind in irgendeiner Form darauf zurückzuführen, wo ich herkomme und welche Erfahrungen ich seitdem machen konnte.
Dein Stil ist weder in der dokumentarischen noch in der rein poetisch-künstlerischen Ästhetik einzuordnen.
Bei der Betrachtung meiner Arbeit ist es sinnvoll, sich zu vergegenwärtigen, dass ich bewusst ein eigenständiges Referenzsystem aufbaue, was meine innere Gefühlswelt und meine Wahrnehmung unserer Realität reflektiert. Innerhalb dessen können U-Bahnhöfe neben Schmetterlingen neben Turnschuhen existieren, weil sie alle einen ähnlichen Gestus in sich tragen und das widerspiegeln, mit dem ich der Welt begegne: Naivität.
Das Offenlegen davon und der ehrliche Umgang damit, sowie die damit verbundenen Erfahrungen – auf der einen Seite ein tiefer Glaube an das Gute und Positive im Leben, auf der anderen auch das Scheitern und die damit verbundene Aggression oder Verzweiflung – definieren meine Stimme. Das Leben halt. Ich finde „Stil“ auch einen schwierigen Begriff innerhalb der Kunst und würde sagen, darum geht es eigentlich nicht. Stil ergibt sich an zweiter oder dritter Stelle. Und sollte nicht vordergründig das sein, dem man nacheifert. Es geht ja erst einmal um Inhalt und, vielleicht, Emotion. In meiner Wahrnehmung von Kunst zumindest.
2016 wurdest Du mit dem Eberhard-Roters-Stipendium für Junge Kunst geehrt, das neben einem Ankauf von der Berlinischen Galerie auch mit 15.500 Euro dotiert ist.
Ja, das war irgendwie ein wichtiger Moment, in dem ich gedacht habe: „Okay, ich kann das hier vielleicht wirklich machen“. Also das Hintenanstellen von Träumereien und wirklich, lebenspragmatisch, das Bewusstsein langsam aufzubauen – das könnte hier echt mal mein Job sein, no joke. Die geben mir grade Geld hierfür. Ohne derart Förderungen und die damit verbundene Anerkennung der Arbeit, das Gefühl von Weitermachen, wäre ich nicht stark genug gewesen, meine Praxis zu entwickeln. Natürlich gibt es unzählige Möglichkeiten der Verbesserung, aber allgemein müssen wir uns extrem glücklich schätzen, dass es hier in Deutschland diese kulturelle Infrastruktur gibt und was sie, nicht nur in Bezug auf Künstler, sondern gesamtgesellschaftlich, ermöglicht. Allein die Leistungen der KSK oder des BBK etc. sind immer wieder hervorzuheben, finde ich – und sie sind nicht selbstverständlich.
In der Serie „Schmetterlinge“ betrachtest Du ein fast klassisches Sujet. Mutig, denn Tierbilder sind ja eher etwas für National Geographic.
Ja, total. Ich hab mich auch erst einmal gewundert, was das soll. Aber mit der Zeit hat es Sinn ergeben und ich konnte in diesen komischen, von mir teilweise real-collagierten, Motiven eine Art bittersweetness und Poesie sehen, die meiner Arbeit im Allgemeinen entspricht. Ich denke immer, man sollte sich etwas Fallhöhe zutrauen und auch mal Mut zum Scheitern zeigen. Anfänglich war mir das mit den Schmetterlingen nicht geheuer – etwas, das sich jetzt so natürlich anfühlt und soviel eigene Narration trägt – und es war mir fast peinlich, das wirklich durchzuziehen. Ein paar Jahre später merkt man dann „Ach nee, war genau richtig“ und mit der Übung im Produzieren lernt man dann, genau auf diese innere Intuition zu vertrauen und sie zu kanalisieren. Ich denke immer, der Mut zur Freiheit in der künstlerischen Produktion von einem Polke, Richter oder Kippenberger oder einer Hannah Höch ist vielleicht das, was der Kunst heute fehlt. Wenn alles so corporate und slick und klar profiliert wird. Die Variationsbreite, die solche Positionen hatten, fand ich immer inspirierend.
In deiner Publikation „Texte und Bilder“ geht es auch um eine Subkultur, diesmal sind die Bilder größtenteils in Berlin entstanden. Begegnen wir einem Porträt einer Generation oder eher einem Lebensgefühl?
Nein, ich denke, ich wäre nie in der Lage, meine Generation zu porträtieren – dazu habe ich keine Ambition. Ich fühle mich z.B. in keiner Weise Teil von dem „New Creative Berlin“ internationalem Startup Ding, das immer mehr Raum bei Vertretern meiner Generation einnimmt. Oder von dem Hip-und-Cool-und-Berghain-Sein. Das ist hier halt mein Zuhause, meine Heimat. Die ich atme und spüre und lebe. Und wenn ich Leute fotografiere, dann weil ich in irgendeiner Form eine Zuneigung zu Ihnen verspüre oder sie bewundere. Nicht, weil sie vermeintlich adäquat ihre Generation repräsentieren. Ich kann nur über meine eigene Welt und meinen Erfahrungshorizont sprechen und habe auch keine Ambitionen mehr als das zu tun. Wenn es ein Lebensgefühl in meiner Arbeit gibt, dann das, was ich in mir drin trage.
Auf den ersten Blick erscheinen Deine Bücher wie eine spontane Momentaufnahme, nach genauem Hinsehen enthüllen sie sich als feine fotografische Komposition. Diese Spannung stelle ich mir wie ein schwieriger Balanceakt vor. Wie sieht Dein Arbeitsprozess bis zu der Fertigstellung aus?
Ich arbeite sehr intuitiv. Wenn mich etwas bewegt, positiv oder negativ, dann probiere ich, das in Bilder oder in Worte zu übersetzen. Dabei entsteht relativ viel Material und meine Aufgabe ist es anschließend, dieses Material adäquat und präzise zu filtern. Sodass das, was ich sagen möchte oder empfinde, zum Vorschein tritt. Das ist halt jetzt meine Arbeit, das zu teilen. Und im besten Fall berührt das irgendwo jemanden und schafft dadurch vielleicht einen Mehrwert oder ein sich-verstanden fühlen. Aber ja, allgemein ist mein Prozess: Überproduktion und dann runter filtern.
Parallel zu Deinen Fotografien schreibst Du auch Texte. Was für eine Bedeutung haben sie für Dich?
Die Texte stehen autark neben den Bildern. Sie sind keine Illustration meiner fotografischen Praxis, sondern existieren gleichwertig und unabhängig. Das Schreiben ist seit längerem Teil von dem, was ich tue. Und mir ist nach einiger Zeit aufgefallen, dass die Texte die Arbeit nicht zumachen, sondern öffnen. Dann dachte ich, es wäre vielleicht auch vertretbar, sie zu publizieren. Die Texte agieren mit einem ähnlichen Drängen wie die Bilder, finde ich. Mir war es wichtig, oder es ging auch nie wirklich anders, diese Ästhetik und die Relevanz, die ich in eher roughen Sachen sehe, zu artikulieren – sprachlich wie auch semantisch. Ich beschäftige mich auch relativ stark mit Literatur und mir ist z. B. aufgefallen, dass ich die Form, in der ich tagtäglich kommuniziere, bisher nicht in der deutschsprachigen, zeitgenössischen Literatur wiedergefunden habe. Das hatte ich nie verstanden. Warum sprechen die in Büchern von heute anders als ich heute spreche? Wo sind meine Leute in diesen Büchern? Wo meine Sprache? Die Flucht nach vorne und das Publizieren von diesen vermeintlich peinlichen, nicht-akademischen Straßentexten war dann das Ergebnis davon. Und mittlerweile fühlt sich auch das für mich ehrlich und richtig an.
In Deinem im DISTANZ Verlag veröffentlichten Katalog und Fotoband „Pictures and Words“, bzw. „Texte und Bilder“ bringst Du Bild und Text erstmals zusammen. Was passiert da?
Ich glaube, die Bilder und Texte tun einander gut. Und ich glaube, sie fordern nochmal die Weise heraus, mit der sich die Menschen mit Bildern im allgemeinen, und meiner Arbeit im spezifischen, beschäftigen.
Es gibt zwei Ausgaben des Katalogs: Eine erscheint auf Englisch und eine auf Deutsch. Hast Du alle Texte übersetzen lassen oder konnten einige Texte einfach nicht übersetzt werden, da sie plötzlich einen anderen Klang in der jeweils anderen Sprache einnahmen? Wie bist du mit dieser Unterschiedlichkeit der beiden Sprachen umgegangen?
Ich schreibe sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch, ich bin bilingual erzogen worden. Bei manchen Texten gelingt mir eine freie Übersetzung, bei anderen ist es mir einfach nicht möglich. In den beiden Editionen der Bücher sind einige wenige Übersetzungen, vielleicht insgesamt 30% aller Texte (übersetzt sowohl vom Englischen ins Deutsche als auch vom Deutschen ins Englische). Alle Übersetzungen mache ich selbst, alles andere würde sich irgendwie falsch anfühlen. Der Rest sind schlichtweg unterschiedliche Texte. Es sind also de facto zwei unterschiedliche Bücher.
Ich persönlich finde es fast einfacher, auf Englisch zu schreiben, da die Gefahr, pathetisch zu klingen, kleiner ist als auf Deutsch. Deutsch ist schwieriger, aber umso mehr „rewarding“, wenn man es richtig hinkriegt, präzise genug zu sein. Gleichzeitig ist es umso fataler, wenn man scheitert, was sich im Englischen leichter kaschieren lässt.
Obwohl beide ein ähnliches Lebensgefühls vermitteln, würde ich sagen, dass die englische Edition etwas optimistischer und wärmer ist. Die deutsche Ausgabe etwas rauer, aber an Stellen auch etwas eigenständiger. Trotz Bilingualität bin ich in Berlin zur Schule gegangen und wurde hier in frühen Jahren einprägsamer sozialisiert als z.B. in Irland. Das spiegelt sich natürlich auch in meiner Sprache wider.
Spielt Politik eine Rolle in Deiner Arbeit?
Je mehr ich produziere, desto mehr fällt mir selbst auf, dass eigentlich fast alles, womit ich mich auseinandersetze, von Weitem betrachtet, politisch motiviert ist. Die Beschäftigung mit sozialer Ungleichheit, die Hierarchien von Sprache, das Motiv vom Aufbegehren gegen vermeintliche Autoritäten. Das ist eine Grundstimmung der Arbeit, die alles trägt und zusammenhält.
Empfindest Du als Künstler eine Verantwortung, Deine Stimme politisch einzubringen?
Nein, nicht zwangsläufig als Künstler, aber als Mensch. Bei mir persönlich steckt eine gewisse Motivation hinter meiner Arbeit, aber Kunst kann genauso gut völlig frei von Politik agieren. Als wacher und fühlender Mensch denke ich allerdings über die Welt nach, in der wir leben – so wie alle anderen wachen und fühlenden Menschen auch –, und artikuliere sofern mich etwas negativ oder positiv umtreibt.
published 2020 online, translation: Katharina Volckmer
Art Cologne 2019 – New Positions
Press text by Matthias Kunz
Paul Hutchinsons photographisches Werk fällt spontan durch seine chromatische Intensität ins Auge. Vor dem Motiv steht vielleicht die Farbe, aber noch eher der Gestus des künstlerischen Augenmerks, das, was der Kamera bemerkenswert erscheint. Die Öffnung in die Demokratie des Blickes paart sich mit der Suche nach Momenten der Fragilität und Magie im Kontext zeitgenössischer Stadtkultur. Dieser scheinbar spontane Gestus folgt indes einem sorgsamen kompositorischen Blick. Hutchinson Bildern wohnt ein Wirklichkeitsdrang inne, der in einem sorgsamen Netzwerk von Referenzpunkten seine Hauptthemen setzt.
So wechseln Architekturaufnahmen mit Insignien von Jugendkultur, schreiben Blüten und Staubfäden ein Bild von schmerzhafter Vergänglichkeit des Moments, dessen Sentiment aber im gleichen Moment durch die skulpturale Apotheose eines Turnschuhs wieder aufgefangen wird. Dieser "Flow" spiegelt sich nicht zuletzt auch in Hutchinsons technischem Umgang mit der Photographie, im Wechsel zwischen low-res und high-end, zwischen großformatigen Tableaus und kleinen Inkunabeln.
Das Verhältnis von Individuum und Großstadtkultur, die Beobachtung unseres heutigen Seins, das sich vielfach durch Architektur und urbane Lebensräume prägt, versieht Paul Hutchinson mit einer ihm eigenen bildnerischen Viskosität. Die Reibungsenergie zwischen den Motiven seiner sorgsam arrangierten Bildwände, die Groß- und Kleinformate zu einer künstlerische Aussage verbinden, ist vergleichbar mit den Strophen eines Gedichts. Nicht umsonst nehmen eigene Texte und Wortkompositionen einen selbstverständlichen Raum im Werk Hutchinsons ein. Der Rhythmus zwischen Wort und Bild, Form und Farbe, Gegenstand und Gefühl kommt einem zeitgenössischen Lebensgefühl nahe, das in der künstlerischen Arbeit die Haltung zur Welt betont und die Rettung der Momente, die einen wundern und wagen lassen.
Hutchinson bringt in einer eindrücklichen Werkserie den sozialen Mobilitätsdrucks eines U-Bahnhofs so zum Stillstand, dass der Raum zur Begegnungsstätte wird und plötzlich die Energie eines königlichen Spiegelsaals entwickelt. Vielleicht ist es nicht zu weit gedacht, in diesen Bildern einen Aufruf der Selbstermächtigung zu lesen, einen Aufruf zur Teilnahme an Leben und Kunst, der durch genau die Kunst, Eindruck und künstlerisches Bild zu unterscheiden, einen sanften unaufhaltsamen Auftrieb erhält.
Doppelausstellung Saskia Groneberg & Paul Hutchinson
Press text
In his artistic work, Paul Hutchinson (* 1987 in Berlin) deals with social phenomena of urban life such as hip-hop culture, architectural interventions in public spaces and social mobility.
In his photographs and his lyrical prose, we encounter moments of intimacy and fragility, everyday situations and references to subcultures. His protagonists are buildings, plants, animals and again and again, people, either as central characters in the picture or in form of traces they left behind in their surroundings. For the exhibition Hutchinson has put together images from different contexts, mostly taken in his immediate urban environment. He captures his subjects in non-stereotypical moments. Sometimes the people he portrays turn away their faces, sometimes they are fully visible and sometimes only in extracts. We find still lives amongst these images, a shoe, flowers, bushes and pieces of clothing. It is precisely through the detail, something seemingly negligible, or a personal association, that Hutchinson achieves a unique characterisation of inner-city subculture. The artist engages with situations which might seem banal, yet which are of particular importance to him. For his second monograph “Wildlife Photography” (2016), for example, he focused on the appearance of the Berlin subway station Hermannstraβe in Neukölln and by analysing it he caricatures everyday exoticism as well as the conscious engineering of public spaces. The latter, Hutchinson considers as places of relative égalité and democracy – accessible to anyone, people from various backgrounds meet on a daily basis here.
Looking at social differences is central to Hutchinson’s work which is reflected in his pictures as well as his texts. By depicting fragility and tenderness in seemingly rough situations, or by deliberately using colloquial language in his poetry, he creates an aesthetic which tries to give access to as well as establish a dialogue between different social classes. Social housing, for example, is a recurring theme for the artist, because to him it acts as a symbol of how architecture and the city impact the individual and its social environment. In his publications and exhibitions, Hutchinson mixes these different motifs, combines high resolution pictures with pictures he took on his mobile phone and thus points towards the importance of imperfection and nonconformity. Oscillating between playful curiosity and political statement, he always understands his artistic work as an attempt to create a contemporary and individual vision of urbanity and thus to create new images of the time we live in.
With Saskia Groneberg and Paul Hutchinson we can therefore witness the encounter of two artistic perspectives that are exploring living spaces and their inhabitants in different ways and who, at the same time, manage to connect two seemingly opposite concepts: conceptual and documentary photography. In their own way, each of them makes us look beyond classic themes of photography and challenges our viewing habits. Behind both approaches we find the fundamental desire to engage with questions of society and to continue to broaden our understanding of what constitutes photographic art.
Paul Hutchinson (*1987 in Berlin) verhandelt in seiner künstlerischen Arbeit gesellschaftliche Phänomene des urbanen Lebens wie Hip-Hop-Kultur, architektonische Interventionen im öffentlichen Raum und soziale Mobilität.
In seinen Fotografien und lyrischen Texten begegnen uns Augenblicke von Intimität und Zerbrechlichkeit, Situationen des Alltags und Referenzen zu Subkulturen. Dabei bewegen sich seine Bilder zwischen dokumentarischer und poetisch-künstlerischer Ästhetik. Protagonisten seiner Bilder sind Gebäude, Pflanzen, Tiere und immer wieder der Mensch, als zentrale Gestalt im Bild oder in Form von Spuren, die er in seiner Umgebung hinterlassen hat. Für die Ausstellung hat Hutchinson Bilder zusammengestellt, die in unterschiedlichen Kontexten aufgenommen wurden, meist in seiner unmittelbaren urbanen Lebenswelt. Seine Sujets fängt er in klischeefreien Momenten ein. Mal wenden die Porträtierten ihre Köpfe ab, mal sind sie ganz oder nur ausschnittartig zu sehen. Immer wieder finden sich Stillleben unter den Bildern, ein Schuh, Blumen, Sträucher und Kleidungsstücke. Gerade über das Detail, eine scheinbare Nebensächlichkeit oder persönliche Assoziation gelingt Hutchinson die individuelle Charakterisierung von innerstädtischer Subkultur. Der Künstler setzt sich mit Situationen auseinander, die vermeintlich banal, für ihn jedoch von besonderer Bedeutung sind. So widmet er sich beispielsweise in seiner zweiten Monographie „Wildlife Photography“ (2016) dem Erscheinungsbild des Berliner U-Bahnhofs Hermannstraße in Neukölln und karikiert durch dessen Untersuchung alltäglichen Exotismus und die Inszenierung öffentlicher Räume. Letztere sieht Hutchinson als Orte relativer Egalität und Demokratie, die für jeden zugänglich sind und in denen folglich täglich Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft aufeinandertreffen.
Die Auseinandersetzung mit sozialen Unterschieden ist ein Kernthema in Hutchinsons Werk und spiegelt sich sowohl in seinen Bildern als auch in seinen Texten wider. Indem er in seinen Arbeiten Fragilität und Zartheit in vermeintlich rauen Situationen abbildet oder bewusst Umgangssprache in seiner Lyrik benutzt, schafft er eine Ästhetik, die sowohl einen Zugang zu als auch einen Dialog zwischen unterschiedlichen sozialen Schichten zu etablieren versucht. So stellt beispielsweise der Sozialbau ein wiederkehrendes Thema für den Künstler dar, da er in ihm ein Symbol für die Einwirkung von Architektur und Stadt auf das Individuum und sein Umfeld sieht. In seinen Publikationen und Ausstellungen mischt Hutchinson diese verschiedenen Motive, bringt hochaufgelöste Bilder mit selbst aufgenommenen Handyfotos zusammen, und weist damit auf die Bedeutung von Imperfektion und Nonkonformität hin. Zwischen spielerischer Neugierde und politischer Aussage balancierend versteht er dabei seine künstlerische Arbeit stets als Versuch, eine zeitgemäße und individuelle Vision von Stadt und somit neue Bilder unserer Zeit zu schaffen.
Mit Saskia Groneberg und Paul Hutchinson treffen zwei künstlerische Positionen aufeinander, die sich auf unterschiedliche Weise mit der Erforschung von Lebensräumen und deren Bewohnern auseinandersetzen und gleichzeitig zwei scheinbar gegensätzliche Konzepte miteinander verbinden: fotografische Konzeptkunst und Dokumentarfotografie. Auf jeweils eigene Weise lenken sie den Blick weg von klassischen Themen der Fotografie und fordern unsere Sehgewohnheiten heraus. Herangehensweisen hinter denen bei beiden der grundlegende Wunsch steht, sich mit gesellschaftlichen Fragestellungen.
Sieh die Stadt
Saskia Trebing
Auf der Berliner Yorckstraße liegt ein bisschen Glück. Da glitzert was, das könnte Verheißung sein. Oder vielleicht auch nur ein leeres Päckchen Capri-Sonne oder ein halb aufgegessenes Brathähnchen auf Silberfolie. Der Fotograf Paul Hutchinson, 1987 in Berlin geboren und im Schöneberg der Nachwendezeit aufgewachsen, arbeitet mit dem Lebensgefühl Großstadt. Hier sind die Sozialwohnungstürme brutale Monolithen, die auch auf einem anderen Planeten stehen könnten. Und statt einer Rakete oder wenigstens einer Zeitmaschine gibt es nur einen gebrauchten Motorroller als Fluchtfahrzeug.
Heute würden nachwuchshippe Teenager ihre linke Niere für eine Jugend in Berlin geben, doch für Paul Hutchinson war sie in den 90ern eine herausfordernde Angelegenheit. Der Langeweile setzte er tief hängende Hosen, einen schockresistenten Discman und den Hip-Hop entgegen. „Für mich und meine Freunde waren die groben Bässe, die mechanischen Snares und die kalte rhythmische Sprache eine Art Zufluchtsort“, sagt der Künstler, der an der Universität der Künste Berlin und am Central Saint Martins in London studiert hat.
Der Hip-Hop-Kultur, die vor allem eine Welt der Klänge ist, näherte er sich später mit dem stummen Medium der Fotografie. Für sein Projekt „B-Boys, Fly Girls & Horticulture“ (2015) reiste er ins indische Bangalore, um mit der Kamera die dortige Rap-Szene zu begleiten. Sein Blick heftet sich dabei eng an die Protagonisten. Die Posen, die im Hip-Hop so oft um männliche Überlegenheit kreisen (oder das, was man mit 16 dafür hält), interessieren den Fotografen nicht. Er fängt die Menschen in klischeefreien, gedämpften Momenten ein, die schlaksigen Körper passen kaum in den Bildrahmen, dazwischen Stillleben, in denen die Reste der Stadt plötzlich zu glänzen beginnen, und immer wieder Blumen und Sträucher, die aus Körpern und Dingen herauszuwuchern scheinen – die Jugend, das zarte Pflänzchen. „Man muss romantisch genug sein dürfen, um Blumen zu fotografieren. Vor allem, wenn man es auf eine eigene und ehrliche Weise tut“, sagt Hutchinson. „Fotografieren heißt für mich, in der Welt zu sein.“ Aber in der Welt, die der Künstler inszeniert, ist die Schönheit nie ungebrochen. Die Pflanzen wuchern über Müll, die Großstadtschmetterlinge umflattern die Wegwerfgesellschaft. Die ins Absurde domestizierte Wildheit beschäftigt Hutchinson auch in seiner Serie „Wildlife Photography“ von 2016. Darin spürt er der Unsitte nach, die unexotischsten öffentlichen Orte mit Wandbildern von Dschungeln, Savannen und Wüsten zu verzieren. Am U-Bahnhof Hermannstraße in Berlin lauern Leoparden und Tiger, die Stereotype von Fremdheit und Abenteuer schleichen sich in den Alltag ein.
Für unser Monopol-Portfolio hat Paul Hutchinson Bilder zusammengestellt, die unter anderem in Berlin, Bangalore und Paris aufgenommen wurden. Dazu kurze Texte, die an Rap-Lyrics erinnern und den Fotos Rhythmus und weitere Bedeutungsebenen geben. Ein bisschen Freestyle, ein bisschen Poesie, ein bisschen Wutschnauben. Wenn Hutchinson im städtischen Raum fotografiert, geht es ihm immer auch um soziale Unterschiede. Welcher Ort bedeutet welches Leben, wo wohnt der Wohlstand, wo sein Gegenteil? Sein Interesse für die Jugendkultur ist auch ein Interesse an Gemeinschaft, am gemeinsamen Suchen nach Zugehörigkeit und einem Ausweg aus der Enge. Auf einem seiner Bilder hat jemand sein lila Sternchentop ausgezogen und scheinbar achtlos von sich geworfen. Auf der Baumwolle ein ganzes Universum – und im Zentrum die leere Capri-Sonne.
erschienen in monopol, November 2018
Pictures and Words
Press text
The Ambivalence of Reality
Paul Hutchinson (b. Berlin, 1987; lives and works in Berlin) makes art that scrutinizes phenomena he observes in the environment of his daily life. His photographs show moments of intimacy, small imperfections of reality, and everyday urban situations. Striking a balance between poetic fragility and a certain rawness of existence, Hutchinson’s pictures examine the meanings we give to our sociocultural and sometimes accidental encounters. Many shots spotlight the individual with his or her vulnerability and flaws as well as distinctive beauty.
This book, the artist’s first, includes samples of his own writing, including lyrical soliloquies that reflect on scenes from his youth that struck and still strike him as peculiar, as well as sketches of his perceptions people’s interactions.
In pictures as well as words, Hutchinson expertly uncovers the seeds of moving stories that lie dormant in seemingly fleeting instants.
Texte und Bilder
Pressetext
Die Zwiespältigkeit der Wirklichkeit
Paul Hutchinson (geb. 1987 in Berlin, lebt und arbeitet in Berlin) setzt sich in seiner Arbeit mit Phänomenen auseinander, die er in seiner unmittelbaren Lebenswelt beobachtet. Seine Fotografien zeigen Augenblicke der Intimität, kleine Imperfektionen der Realität und alltägliche urbane Situationen. Zwischen poetischer Zerbrechlichkeit und einer gewissen Rohheit der Existenz untersuchen Hutchinsons Bilder die Bedeutungen, die wir unseren soziokulturellen, teilweise zufälligen Begegnungen beimessen. Dabei steht das Individuum mit seiner Verwundbarkeit, seinen Fehlern und nicht zuletzt mit seiner Schönheit oftmals im Zentrum.
Erstmalig veröffentlicht der Künstler in diesem Buch verschiedene eigene Texte. In den einen reflektiert er in Form eines lyrischen Selbstgesprächs Szenen aus seiner Jugend, die ihm damals wie heute fragwürdig erscheinen; in den anderen beschreibt er seine Wahrnehmung vom Umgang der Menschen miteinander.
Hutchinson versteht es gekonnt – in Bildern wie in Worten – scheinbar vergänglichen Momenten das Potenzial für tiefgründige Geschichten zu entlocken.
Paul Hutchinson on shooting b-boys, butterflies and U-Bahnhofs
by Diane Smyth
"I’d rather look at where the strangeness and wonder is in the here and now" says the Berlin-born artist, who's a fast-rising star of contemporary photography
Born in 1987 in Berlin, Paul Hutchinson graduated from the University of the Arts, Berlin in 2012, and from Central Saint Martins College of Art and Design, London in 2014. While in London he assisted Wolfgang Tillmans, and by 2015 he had published his first book – B-Boys, Fly Girls and Horticulture. He has gone on to publish two more, Wildlife Photography in 2016 and Schmetterlinge [Butterflies] in 2017. Hutchinson has won various awards and grants, and has shown his work at Galerie Mansart, the Berlinische Galerie Museum of Modern Art and The Photographers Gallery. The recent exhibition Perfect Storm, at the NRW Forum in Dusseldorf, included Hutchinson’s photographs alongside work by other fast-emerging image-makers such as Thomas Albdorf, Andrey Bogush, Vendula Knopova, Maurice van Es and Nikolas Ventourakis.
BJP: You were a bit of a tearaway at school, how did you get into photography?
Paul Hutchinson: I was never a typical troublemaker or bully, it was always about curiosity and trying things off the beaten track, which obviously hit some borders in the context of an educational system and authority. But in that sense photography was only the extension of a natural interest and offered me a form to work with that curiosity. It was a pretty unspectacular process really, a growing realisation that I am this more or less empty hull which I can fill with experiences, emotions and thoughts, and out of that form something which previously didn’t exist – say, a picture.
BJP: Why did you decide to come to London to study photography?
PH: I was attracted by the idea of doing a Masters in an Anglo-Saxon, multi-cultural and large urban environment, and therefore London seemed ideal. A scholarship helped me to get pass student fees and helped with living costs, so the idea eventually became reality – something I otherwise wouldn’t have been able to afford.
In retrospect I am very happy with how everything turned out, but during my two years at university I sometimes felt misguided and a little dissatisfied with how the system of the school was set up. I struggled to appreciate what is currently happening to some parts of British arts education – degrees are more and more treated as a commodity, universities more and more take on the form of exclusive members’ clubs. I am very much against this development as I think education should be anything but elitist.
That said, I met extremely talented and inspiring people while studying in London, learned and read a lot, did many things wrong, some right, and always felt privileged to be there. And if you ask me directly, the most important thing I got out of the course was the people, and the dialog I still have with some of them.
BJP: How did you get into photographing hip hop culture?
PH: I grew up with the local hip hop scene here in Berlin, and after returning from London I became interested in re-approaching the subject. The starting point was simply meeting old friends and remembering what that community once meant to me; I also always wanted to see if there was a way to represent the subculture free of all the common stereotypes. While I was working on that I was invited by the Goethe Institute in Bangalore to spend five weeks there, after pitching them the idea of photographing hip hop in India. People don’t expect a hip hop community in that part of the world but obviously, there are large cities, there’s internet, there are young people curious about what’s happening in other parts of the world. So something like hip hop can easily find ground there.
BJP: How did you get the idea to show horticulture alongside b-boys and fly girls in the book?
PH: In Bangalore I stayed in a beautiful house next to the Lal Bagh Botanical Garden, the biggest and most diverse in India. There are various schools of horticulture in the area, and I became interested in their botanical, scientific processes. I realised that, essentially, the way foreign species of plants are treated is similar to what happens to a foreign subculture – both arrive in their pure, natural state, then crossbreed, disseminate, and evolve into something new.
Thinking about the work as a book, I decided to juxtapose these two very different kinds of image because conceptually, they strongly relate to each another. And while working on everything I also became drawn to what happens visually between the two kinds of image, how the different textures and structures of each genre work with each other.
BJP: How did you come to publish this project as a book?
PH: I won a prize for the book dummy and also received additional funding from the Goethe Institute. I had always envisioned a book as one of the outcomes for this work, and was lucky that, with two sources of funding, I could realise it. I was also supported by the director of the Berlinische Galerie, who had seen and enjoyed the work and offered to write a text for it. Then also, of course, I was lucky to find a good publishing house who supported what I had dreamt up. Everything quite simply fell into place.
BJP: Could you say something about your book Wildlife Photography?
PH: My hip hop book became quite well known, and for a little while it seemed that I would forever be referred to as ‘the hip hop photographer’ – something I found inappropriate and simply untrue. Only about 5% of the pictures I take have anything to do with hip hop, and I think it’s important not to be defined by one fixed subject. Life is more layered than that.
Aside from hip hop, another thing which is quite dear to me is the train station I live next to here in Berlin Neukölln, U-Bahnhof Hermannstraße. I have a love-hate relationship with it – it’s a very interesting surface to read everyday occurrences from but it can also be a rather grim place to be in. In 2014 its interior was entirely re-designed into an utopian jungle landscape, with baboons, elephants and rhinos suddenly crossing the train tracks. I found this quite absurd given the immediate surroundings of the station – a working class neighbourhood in which mostly people of Arabic, Turkish or Roma descent live – and decided to take this as a starting point for my own little ‘photo safari’. To me it carries many layers – the collision of the external and internal world within a public space, the plain exoticism, the architecture of metal bars and the green leaves.
BJP: How did you come to be in China, South Korea and Japan shooting images that became the book Schmetterlinge [“Butterflies”]?
PH: I had developed an interest in Asia and wanted to see it, to see how the reality lined up with the pictures I had in my mind. It was all rather spontaneous but eventually I ended up travelling through for about six weeks. I got the idea of photographing butterflies while I was there – there are generally more butterflies in Asia than here in Europe, and they stood out to me very much among the sometimes grey cityscapes of east Asian cities.
In them I found both a certain sense of romanticism and longing, and also a certain absurdity of contemporary life, given the often vast urban contexts I was seeing them in. I could very much relate to that and also became interested in how the symbol of a butterfly is used throughout Asia in large billboard ads – collaged with food, real estate, military, you name it.
I took this as a starting point for how I wanted to photograph them. In the end it’s always a very basic question for photographers – how can you make it your own? I experimented with collaging in my images, merging butterflies with objects and abstract structures of contemporary urban life such as i-phones, cigarettes, manga comics. The whole undertaking had almost
a performative note to it, me juggling real life butterflies, these objects and a camera all at once.
BJP: How did you come to be so interested in wildlife?
PH: I wouldn’t actually say that I have a particular interest in wildlife. My book Wildlife Photography deals with exoticisms in an urban context and, if at all, mocks the connotations of the genre. And the butterflies, to me, also have very little to do with wildlife but rather with dreaming, with questions about about places right here and now and not so much ‘out there’. Even if I make use of the rhetoric, the last thing I aim to do is to show strange and wondrous things from far away – which, essentially, is what wildlife photography is all about. I’d rather look at where the strangeness and wonder is in the here and now.
BJP: You’ve worked with the same designer and publisher in all your books, why is that?
PH: I’ve worked with The Green Box Kunsteditionen all along – generally we work very well on a personal level, and I enjoy building lasting professional relationships. The books we have made so far all have a very unique value to me, and they all came about due to the dialogue I had with the publisher, Anja Lutz. Obviously it can be a bit painful to have someone else have thoughts about your work, but Anja has always put me in the right direction and really pushed me during the process. It’s not always easy in the moment but very enjoyable once done! Plus I always enjoy swinging by their office for a coffee as they are located in a super beautiful compound, St. Agnes, in Berlin-Kreuzberg.
The book, to me, is an extension of my practice as an image-maker. I think it looks into how contemporary photography can be pushed further by rather traditional means while also retaining a strong connection to my rather lyrical practice. I think one is unsure of what’s actually real [in my work] and this sort of magical realism is a place I feel increasingly comfortable in.
BJP: You’ve also had a lot of success with your exhibitions. How do you approach them?
PH: As with books exhibitions can be tricky, but it’s always incredibly enjoyable to see the work on the wall, interacting with other things and objects around it. There are obviously always the practical issues of space and budget, but generally I have two or three things I stick to – I enjoy working in sequences, and having images lined up in in a row at various distances but at the same height.
To me it can sometimes be a cm or two which makes all the difference. I enjoy having it slightly ‘off‘, not chasing the perfect harmony which then loses all traction. I like to have it formal but still weird. I think it’s easy to overdo presentation and I often see that in exhibitions. There’s a German term for it – Kunstwille, Der Wille zur Kunst, to the intention of making art. If it’s too obvious that you’re trying, the work falls apart somehow.
Books are very different because they are obviously read from a to z, and not perceived simultaneously. With the books I always try to form a loose narrative; in exhibitions I frequently let go of that and work with the overall feeling I want to get across. Both are equally bittersweet!
published in British Journal of Photography, online edition, 2017
www.bjp-online.com/paul-hutchinson-on-shooting-b-boys-butterflies-and-u-bahnhofs
Schmetterlinge
Press text
Following up on Wildlife Photography, Schmetterlinge is the second volume of a series of small-scale publications which Paul Hutchinson conceived in collaboration with The Green Box. In these books Hutchinson looks at seemingly banal situations and circumstances that, however disregarded, carry a deeper meaning and noteworthiness to the artist.
Inspired by the butterflies’ magical realism in-midst of the grey structures of east Asian cityscapes, Hutchinson creates images of a seemingly absurd beauty which question the conventional borders of fiction and reality. We see butterflies surrounded by plants and abstract shapes, collaged with manga-themes and QR-codes, next to cigarettes, iPhones and plastic bottles. By applying a playful thought to the act of image-making, Hutchinson opens up a space in which this well known subject can be interpreted fully anew. These images, created through performative actions, evoke their very own sense of aesthetics and bare witness to the urban-poetic feel which is inherent to Hutchinson’s work.
Schmetterlinge ist nach Wildlife Photography der zweite Band in einer Reihe kleinformatiger Publikationen von Paul Hutchinson, die er mit The Green Box entwickelt hat. In ihnen setzt sich Hutchinson mit Situationen und Gegebenheiten auseinander, die vermeintlich banal, für den Künstler jedoch von eigenartiger Besonderheit und Bedeutung sind.
Inspiriert von der magischen Realität der Schmetterlinge inmitten grauer Strukturen der städtischen Räume Ostasiens, kreiert Hutchinson in seinen Bildern eine absurd anmutende Schönheit, die darüber wundern lässt, wo die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit verläuft. Wir sehen Schmetterlinge umgeben von Pflanzen und abstrakten Strukturen, collagiert mit Manga-Motiven und QR-Codes, neben Zigaretten, iPhones und Plastikflaschen. Durch bewusstes Spielen mit der Bildgestaltung legt Hutchinson hierbei einen Raum frei um dieses wohlbekannte Sujet neu zu deuten. Die durch performative Prozesse entstandenen Bilder evozieren eine individuelle Form der Ästhetik und zeugen von dem poetisch-urbanen Lebensgefühl, das sich durch Hutchinsons Arbeit zieht
www.thegreenbox.net/en/books/schmetterlinge
Wildlife Photography
Press text
In his second monograph, Paul Hutchinson looks at an underground station in the Neukölln district of Berlin. Wildlife Photography is a playful journey into an every-day appearance of exoticism.
In 2014 the interior design of the U-Bahnhof Hermannstraße had suddenly been overhauled: aiming to avoid further potential spaces for graffiti, the train station was redesigned into a lively jungle scape. The columns, walls, doors, the tiles and floors, were filled with colorful illustrations, merging into large frescos that cover the inside of the station. Hutchinson has taken this as starting point for a conversation with the mindset behind the illustrations and to hint at the socio-urban context in which this jungle has been placed: originally a laborers’ stronghold, the immediate environment of the train station is still quite far from being gentrified, the inhabitants by now mainly of non-German descent.As an eager customer of Berlin’s public transport system and part of the local community Hutchinson, as most of his neighbours, at some point was unable to stop asking himself what this jungle was all about. Where do the monkeys, tigers and parrots come from, and what are they looking for here, underground?
In this publication images from the U-Bahnhof are juxtaposed with seemingly ‘real exotic’ pictures. A fake jungle is placed next to a real one: we see a real butterfly next to a fake anteater, an illustrated bird meeting his live counterfeit, observe a girl in a leopard suit dancing. All this while the architecture of a public space merges with depictions of animals that radiate their own photo-ethnographic feel – and with graffiti.
While Paul Hutchinson’s first publication with The Green Box mainly looked at something familiar to him within a foreign setting – Hip Hop culture in India –, this artist book investigates something utterly foreign within an environment he feels only natural about – a Berlin underground station.
In seiner zweiten Monographie widmet Paul Hutchinson seine Aufmerksamkeit einem U-Bahnhof in Berlin-Neukölln. Wildlife Photography ist eine verspielte Auseinandersetzung mit dem Erscheinungsbild eines alltäglichen Exotismus.
Die Gestaltung des Innenbereiches des U-Bahnhofs Hermannstraße wurde 2014 zur vermeintlichen Graffitibekämpfung in eine utopisch anmutende Dschungellandschaft konvertiert – die Säulen, Wände, Türen mit bunten Illustrationen geschmückt, die Fliesen zu großflächigen Wandbildern vereint. Hutchinson nimmt sich dieses Sujet als Auftakt, um einen Dialog mit der Gedankenwelt hinter den Illustrationen zu beginnen und auf den urban-sozialen Kontext einzugehen, in dem dieser Dschungel platziert wurde: Als ehemaliges Arbeiterviertel steht die unmittelbare Nachbarschaft des U-Bahnhofes auch heute noch überwiegend vor der Gentrifizierung, die Bewohner des Viertels sind mittlerweile größtenteils nicht deutscher Herkunft.
Als treuer Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel und Teil der lokalen Gemeinschaft konnte Hutchinson, wie viele seiner Nachbarn, ab einem gewissen Punkt der Frage nach der Bedeutung des Urwaldes nicht mehr ausweichen. Woher kommen die Affen, Tiger, Papageien, und wonach suchen sie hier, im Untergrund?
In dem Künstlerbuch werden Aufnahmen aus dem U-Bahnhof mit weiteren, vermeintlich ‚fremdartigen‘ Motiven in Verbindung gesetzt. Ein falscher Dschungel steht einem echten gegenüber: Man erkennt einen realen Schmetterling neben einem falschen Ameisenbär, ein lebendiger Vogel trifft auf sein illustriertesPendant, ein Mädchen im Leopardenanzug tanzt. Dabei verschmilzt die Architektur eines öffentlichen Raumes mit foto-ethnografisch anmutenden Tierdarstellungen – und mit Graffiti.
Nachdem Paul Hutchinson in seiner ersten Publikation mit The Green Box vorrangig etwas für ihn Bekanntes innerhalb eines fremden Kontextes betrachtet hat – Hip Hop Kultur in Indien –, setzt er sich nun mit etwas gänzlich Fremdem innerhalb einer für ihn nur natürlichen Umgebung auseinander – einem Berliner U-Bahnhof.
www.thegreenbox.net/en/books/wildlife-photography
Impenetrable Thickets
Shahin Zarinbal
Infrastructure is at the core of any modern city. Urbanity, therefore, is the linking of structures: the suppression of individual trajectories in favour of a collective movement. At the last stop of Berlin’s underground line U8, in a culturally diverse, still quite gritty and yet, by now, partly gentrified part of Neukölln, monkeys, tigers, parrots and okapis have taken over the walls. Since measures have been taken by the city to redesign the interior of the transport hub, it feels like stepping into a jungle full of wondrous animals such as you would find in a children’s picture book.
Impenetrable thickets, raging streams and distant howls lie within this dense wilderness. It’s quite peculiar to see tigers coming out of their hiding and silently observe elephants roaming through a valley, underground. And suddenly stainless steel bars cut through the sky and the animals’ bodies. The architecture of the U-Bahnhof violently intrudes, the surfaces, signs and outposts of civilisation, the trash bins, doors and emergency buttons appear in the midst of a lush vegetation.
Wildlife Photography is a social and visual jour- ney that navigates us through one of the most commonly used non-places: an underground station. These images, both in their original appearance and in Paul Hutchinson’s photo- graphs, however different, give a certain sense of what nature is, or has become, to us urban- ites: how we mimic and refer to it as a world that we are estranged from but so badly long to keep in touch with. After all, the U-Bahnhof Hermannstraße in its present form might be one of the most literal realisations of the metaphor of the urban jungle. Hutchinson roams along these subjects whilst in transit, not shying away from using the full digital zoom of his phone camera, whenever the situation demands.
Some images seem to examine the intentions of the makers of this jungle, while others play with the idea that an abundant nature has been confined by human means, physically and visu- ally. Here, nature somehow pushes back softly. By juxtaposing the context and subtext of the architectural items, the pillars and floors, the tiling and doors, the discontinued surfaces, Hutchinson creates circumstances in which the constellations themselves gain new meaning and authority, eventually transforming a given setting into a comment on the state of the world. Curiously observing, putting judgement aside, he extracts moments of candour in this patched-up scenery, turning it against itself, as if holding up a mirror to see the unexpected, noisy beauty of the urban jungle life. He is on a photo safari.
Meanwhile, some images are scattered distinc- tively throughout the book, evidently taken over ground, interrupting the stream of public order and disorder: a “real” plant, a “real” girl in a leop- ard jumpsuit, a butterfly, a hand feeling a leaf. Inward goes outward goes inward, it seems, and we learn that one other thing Hutchinson seems to be concerned with is conveying the seem- ingly banal but ultimately essential experience of growing familiar with formerly alien subjects and situations. And this sense of wonder, beauty and belonging, translated into an urban jungle where everything has been seen a million times, is maybe what Wildlife Photography is all about.
Back in the U-Bahnhof we see these funny animals in their natural habitat, looking at us as if we were around just to enjoy their sheer presence. As if they were there to make us happy and optimistic about the future. They seem to have accommodated our need to put bins and benches and fire extinguishers in their jungle, and they even seem fine with a tag on their face. The jungle, we learn, is a human experience.
published in Wildlife Photography, The Green Box Publishing, 2017
Paul’s Nature Books
Nikolas Ventourakis
With Paul we met during our MA at Central Saint Martins in London. He’s from Berlin – no, really, he did actually grow up there! – and his way of working could not be more radically different that mine. He is impulsive, present and connects with people. His eye is examining, but also he prefers not to overanalyse in advance. There is wonder about the world in his photography. His two most recent books are titled Wildlife Photography and Schmetterlinge (Butterflies). In his own words, in an interview he gave, he is not interested in nature photography or the exotic. Sometime his work – because it takes place in faraway places – might seem to simply depict the orient and the savant. That, however, is not true. His work is very urban and the rythm of the city is apparent. A couple of years ago he was visiting Athens and it was the first time I saw him working in the field. He was dancing. Whenever I find myself in a place I deal with the narratives that pre-exist within me and I spend more time analysing those in contrast to the physicality of my presence. Paul dives straight in and through his process analysis the environment around him.
Paul Hutchinson (b.1987) is an artist living and working in Berlin. He is a graduate of University of the Arts, Berlin, GER and Central Saint Martins College of Art and Design, London, UK. He has published three books with The Green Box. He has exhibited widely and is currently the selected artist for the Deutsche Oper Berlincommission. His accolades include selection for the Berlin Masters, the Ilse-Augustin-Foundation grant and the Eberhard Roters Grant for Young Art 2016.
published in Der Greif, online, 2017
www.dergreif-online.de/artist-blog/pauls-nature-books
8 quadrat
Pressetext
Paul Hutchinson setzt sich in seiner Arbeit mit Phänomenen auseinander, die die unmittelbare Umgebung seiner eignen Lebenswelt durchwalten. Seine Werke sind stille Beobachtungen einer Welt, die von Momenten der Intimität, einer zarten Imperfektion der Realität und eines urbanen Lebensgefühls durchzogen sind. Hutchinsons Bildern wohnt dabei ein Wirklichkeitsdrang inne, der die Zwiespältigkeit dieser Wirklichkeit anerkennt und nicht nivelliert. Zwischen dieser poetischen Zerbrechlichkeit und einer gewissen Rohheit der Existenz untersuchen seine Bilder präzise die Bedeutungen, die wir tagtäglich soziokulturellen Phänomenen geben, und die teilweise auch außerhalb der Sphäre des Einzelnen stehen. Gleichzeitig steht das Individuum mit all seiner Verwundbarkeit, Fehlbarkeit und nicht zuletzt seiner Schönheit oftmals im Zentrum des Interesses.
In “nett sind die spasten alle” zeigt Hutchinson erstmals Texte, die seine Fotografien begleiten. Teilweise in der Form eines lyrischen Gesprächs mit einem früheren Selbst reflektiert Hutchinson Momente aus seiner Jugend, die ihm damals wie heute, wenn auch unter anderen Vorzeichen, fragwürdig erscheinen. Andere hier gezeigte Texte sind wiederum Beobachtungen und Hinterfragungen des alltägliche Umgangs von Menschen miteinander. Dabei geht es in einem großen Maß darum zu zeigen, wie bestimmte Formen des Sprachgebrauchs darauf angelegt sind, soziale Trennungen deutlich zu machen anstatt diese aufzuheben.
Bei Hutchinson, ob in Bildern oder wie hier auch in Texten, ist ein Realismus am Werk, der scheinbar vergänglichen Momenten ihr Potenzial für eine größere Erzählung entlockt.
www.8q-cologne.de/exhibitions/paul-hutchinson-nett-sind-die-spasten-alle
Eberhard Roters Grant for Young Art
Press Text
In cooperation with Stiftung Preußische Seehandlung, Berlinische Galerie awards the Eberhard Roters Grant for Young Art to Berlin-based photographer Paul Hutchinson. On behalf of this occasion Berlinische Galerie will showcase a small work presentation between 14-20 October in its auditorium.
German-Irish Paul Hutchinson was born in Berlin in 1987 and grew up during the city´s post-reunification period. He studied at Berlin University of the Arts and Central St. Martins College of Art and Design, London. The young photographer has thus far worked in New York, Barcelona, Rio de Janeiro and most recently Bangalore.
As a teenager Paul Hutchinson has been of Berlin’s Hip Hop scene of the 1990’s. This urban youth culture he now approaches as an attentive observer: On behalf of an invitation by the Goethe Institute, for his first monograph “B-Boys, Fly Girls & Horticulture“ Hutchinson worked with the local Hip Hop scene in Bangalore, India. The resulting artist book, its concept and design, as much as the self-conscious work methods of the young artist, strongly convinced the jury.
Hutchinson’s photographs oscillate between documentary and poetics. What might at first sight seem like a spontaneous snapshot, is a carefully composed photographic expression, an aesthetic that speaks of inner motion through color and form. Often Hutchinson works specifically with the denial of individualizing information: The subjects turn away, their faces are covered or cut off, in group pictures juveniles merge to singular, intertwining shapes. Especially through details - the seemingly banal or very personal associations - Hutchinson achieves to convey a vivid and over-individualized characterization of a subculture. The artist pushes the boundaries of the medium so far that his images develop a painterly substance.
Zusammen mit der Stiftung Preußische Seehandlung vergibt die Berlinische Galerie im Oktober das Eberhard Roters-Stipendium für Junge Kunst an den in Berlin lebenden Fotografen Paul Hutchinson. Aus diesem Anlass wird vom 14. bis 20. Oktober 2016 eine kleine Werkauswahl im Auditorium der Berlinischen Galerie präsentiert.
Paul Hutchinson (*1987) wuchs als Deutsch-Ire im Berlin der Nachwende-Zeit auf und studierte dort an der Universität der Künste sowie an der Saint Martins Universität der Künste in London. Anschließend arbeitete er in New York, Barcelona, Rio de Janeiro und zuletzt Bangalore.
Als Jugendlicher war der Fotograf Teil der Berliner Hip-Hop-Szene der 1990er-Jahre. Dieser urbanen Jugendkultur nähert er sich heute als aufmerksamer Beobachter: Für seine erste Monografie „BBoys, Fly Girls & Horticulture“ fotografierte Hutchinson auf Einladung des Goethe-Instituts Jugendliche der Hip-Hop-Szene in Bangalore. Das in der Folge des Aufenthalts entstandene Künstlerbuch, dessen Aufbau und Gestaltung sowie die reflektierte Herangehensweise des jungen Künstlers überzeugte die Jury nachhaltig.
Hutchinsons Fotografien schwanken zwischen dokumentarischer und poetisch-künstlerischer Ästhetik. Was auf den ersten Blick scheint, wie eine spontane Momentaufnahme, ist vielmehr ein sorgsame fotografische Komposition. Häufig arbeitet Hutchinson gerade mit dem gezielten Entzug von individualisierender Information. Die Porträtierten wenden ihre Köpfe ab, ihre Gesichter sind verdeckt oder beschnitten, in Gruppenporträts scheinen die Jugendlichen zu einer Gesamtheit zu verschmelzen. Gerade über das Detail, die vermeintliche Nebensächlichkeit, eine persönliche Assoziation, das Fehlen des einzelnen Gesichts entsteht die sinnlich erlebbare und überindividuelle Charakterisierung der Subkultur. Der Künstler reizt die Grenzen des Mediums so weit aus, dass seine Fotografien eine malerische Anmutung entwickeln.
www.berlinischegalerie.de/eberhard-roters-stipendium
Stiftung Preussische Seehandlung
Press Text
"Eberhard Roters-Stipendium für Junge Kunst" 2016 vergeben Die Stiftung Preußische Seehandlung hat den in Berlin lebenden Fotografen Paul Hutchinson mit dem "Eberhard Roters-Stipendium für Junge Kunst" 2016 ausgezeichnet. Das Stipendium ist von der Stiftung 1999 zu Ehren und im Andenken an den Gründer der Berlinischen Galerie, Eberhard Roters (1929 - 1994), errichtet worden. Es dient der Förderung aktueller junger Bildender Kunst in Deutschland, wird von der Stiftung Preußische Seehandlung im Zusammenwirken mit der Berlinischen Galerie - Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur – verliehen und ist mit insgesamt 15.500 EUR dotiert. Die Dotation beinhaltet ein Jahresstipendium für den Künstler und den Ankauf eines seiner Werke für die Berlinische Galerie.
Der Jury gehören an: Dr. Thomas Köhler, Direktor der Berlinischen Galerie, Ulrike Kremeier, Direktorin des Kunstmuseums Dieselkraftwerk Cottbus, Prof. Mark Lammert, Universität der Künste Berlin sowie - mit beratender Stimme - der Berliner Galerist Olaf Stüber. In der Jurybegründung heißt es: "Paul Hutchinson (*1987) wuchs als Deutsch-Ire im Berlin der Nachwende-Zeit auf und studierte dort an der Universität der Künste sowie an der Saint Martins Universität der Künste in London. Anschließend arbeitete er in New York, Barcelona, Rio de Janeiro und zuletzt Bangalore. Als Jugendlicher war der Fotograf Teil der Berliner Hip-Hop-Szene der 1990er-Jahre. Dieser urbanen Jugendkultur nähert er sich heute als aufmerksamer Beobachter: Für seine erste Monografie „BBoys, Fly Girls & Horticulture“ fotografierte Hutchinson auf Einladung des Goethe-Instituts Jugendliche der Hip-Hop-Szene in Bangalore. Das in der Folge des Aufenthaltes entstandene Künstlerbuch, dessen Aufbau und Gestaltung sowie die reflektierte Herangehensweise des jungen Künstlers überzeugte die Jury nachhaltig. Hutchinsons Fotografien schwanken zwischen dokumentarischer und poetisch-künstlerischer Ästhetik. Was auf den ersten Blick scheint, wie eine spontane Momentaufnahme, ist vielmehr ein sorgsame fotografische Komposition. Häufig arbeitet Hutchinson gerade mit dem gezielten Entzug von individualisierender Information. Die Porträtierten wenden ihre Köpfe ab, ihre Gesichter sind verdeckt oder beschnitten, in Gruppenporträts scheinen die Jugendlichen zu einer Gesamtheit zu verschmelzen. Gerade über das Detail, die vermeintliche Nebensächlichkeit, eine persönliche Assoziation, das Fehlen des einzelnen Gesichts entsteht die sinnlich erlebbare und überindividuelle Charakterisierung der Subkultur. Durch die ausschnitthafte Charakterisierung ihrer Oberflächen reizt der Künstler die Grenzen des Mediums so weit aus, dass seine Fotografien eine malerische Anmutung entwickeln." Das Eberhard Roters-Stipendium wird Paul Hutchinson im Herbst in der Berlinischen Galerie verliehen.
A camera, fried chicken and 90's Hip Hop
Interview with Julia Karpova for 1Granary
Paul Hutchinson is a Berlin-based photographer and CSM graduate. B boys, Fly Girls & Horticulture is his latest published project and explores the relationship between plants and Hip Hop through a developing style that is a delicious fusion of poetics and documentary. In this interview, Paul gives us an intimate view of the hip-hop subculture in Berlin and India and what it means to be a Hip Hop kid in the 90s.
Paul went to Berlin’s Universität der Künste to do a design/communication degree that he then followed by an MA in photography at Central Saint Martins, but his education did not end there; spending a year studying in Spain during his bachelors was the tipping point in his photographic career. “This is, mainly, where I started to discover photography more seriously, spending time in the darkroom while my mates went to the beach.” Despite his fruitful education, Paul believes that the courses one has graduated from are not the main learning curves that bring success, stating that for him it is “just a fraction of things” while, for establishing an understanding of his own work, and of the work of others, “ conversations with people I have met equally within and outside of academic institutions” were a great deal more pivotal.
When asked how he got to become a photographer, Paul simply admits that he doesn’t really know. He approaches photography as a way to “make sense of the place that [he’s] in” and distances himself from professional photographers, admitting that they would probably “restrain from calling me their equal”.
Upon asking Hutchinson how he feels about his return to Berlin, he tells me “I just moved back to my hometown, really” — he doesn’t associate himself with the new wave of young creatives emerging in the city, although he agrees that it “would have been interesting” to be a part of that experience. On the plus side, moving back to Berlin rather than staying in London was “definitely different work-wise” due to the affordable studio prices. Having a studio “in London would have been impossible.”
“TO BE HONEST, I HOPE THAT ONLY VERY FEW OF MY PICTURES ARE CLEAR ABOUT WHERE THEY ORIGINATE FROM, IN WHICH CONTEXT THEY WERE CREATED.”
His initial drive to take pictures emerged from his personal experiences of being a part of the hip hop scene in 90s Berlin. Plus, like the rest of us, Paul is concerned with the struggle of getting “to the gist of this thing called you” in his work. Explaining that he finds it “difficult what one can talk about”, and personally only feels comfortable approaching things that are very close or dear to him. This intimate, natural honesty radiates throughout his work and challenges the difficulties of being true to oneself, seeking these “quite pure sensations” that we may feel when we try to figure out who we are.
These feelings came about when Paul returned to Berlin in 2014 and “met some of the people from back then” which sparked a memory of being a teenager in the time when Hip Hop played a big role in his life. He recalled the clothes, the music, the community, without being nostalgic about it, or, as he puts it: “rather an ‘ah, wow’. I had forgotten how intense it felt back then”. These experiences eventually led to a heightened curiosity, making him wonder if he “could convey this form of sensuality with images”, which started his photographic project.
The result, his book B boys, Fly Girls & Horticulture, is centered around a deep exploration of the Hip Hop scene in both Germany and India: A way of revisiting his past involvement in the subculture as an attentive observer of today’s youth.
The one photograph that really stands out from B boys, Fly Girls & Horticulture simply pictures fried chicken in aluminum foil, and Paul’s analysis of it is even more intriguing. What this close-up photograph reveals to us about Hip Hop subculture might be obscure, but Paul confirms that he prefers it that way – “to be honest, I hope that only very few of my pictures are clear about where they originate from, in which context they were created”. He contextualises it further, describing “the somewhat half-seducing, half-appalling visual opulence of it – while referencing a so-called ‘low-culture’ cliché.” This particular ‘low-culture’ cliché took place during a recording session with a couple of mates, when they were on a break. The story however, has little meaning to the photograph when it’s placed in a different context. Paul says that in a place of its own, the reference to Hip Hop wouldn’t be as immediate. And it is indeed this form of ambiguity and openness that he aims to achieve in his work, leaving the viewer with a flirtatious “it could be X, but it could also be…”
“EACH PICTURE CARRIES A UNIQUE ENERGY.”
When asked about the relationship between the abstracted close up shots and breakdancing subculture, Paul simply laughs and admits that “actually the level of abstraction in my work really says zero about the culture of breakdancing. I wouldn’t go as far as making this reference.” Instead, he observes that the abstraction in his photographs is more a means of conveying his “gut feeling,” “a haptic impression which works against the borders of what a two-dimensional medium can do”. Spontaneity and play is important in the production of his photographs. He uses this freedom as a way to displease “common Hip Hop imagery”, and to test how far he can get with “this thing called camera”, but does not consider it to be a conceptual translation culture itself.
B -Boys, Fly Girls & Horticulture is at its core juxtapositions between plants and Hip Hop imagery, a way of “comparing mechanisms of botany to those of a globalized subculture”. The editing of the book and placement of each photograph is not only based on the visual content or the forms created by the break-dancer’s bodies – “each picture carries a unique energy” as well. Still, the assemblages present in the book are fascinating in their own right. The photographs represent conscious decisions and yet “in contrast to the more thought-through, conceptual idea of placing plants next to hip hop imagery, the final juxtapositions are plainly conceived by intuition.” Paul welcomes the spontaneous method of editing: “there’s no ‘ah this flower shape goes there, and his arm here, this will so work’ game plan”. He is more intrigued by seeing what “the pictures do to each other, if they activate one another, open up one another, or close each other down”. As for the blank spaces, which are equally as important to Paul, he asks “what happens there, in between things?” – urging us to reflect on what the blank, white space in between the photographs and their borders does to the page.
Speaking about the contextualization of his book in Berlin, Paul gives us a lot of food for thought: “as westerners we grow up with certain images in mind of places like India, Asia, Africa etc… This almost comfortable belief in their otherness.” He challenges the western view by partnering photographs of Berlin next to the South Indian jungle in a way that plays with our conception of cultures. Judging by the reception of B boys, Fly Girls & Horticulture in his hometown, Paul thinks that “a tiny part of the audience here feels a form of questionable relief á la ‘finally, they’re getting there’ while another part sees exactly this process as highly problematic.” Photographs from a country such as India which show to an extent “how similar we all can be in this globalized world” make some people feel uncomfortable.
While wrapping up the interview, we found out that Paul is working on his next publication, due in the summer, which promises to be “very different to the last book”, something that gets him very excited. His other plans for the foreseeable future include spending some time in Paris, amongst other projects.
To conclude, as there is never enough music, we asked Paul for his Hip Hop recommendations and he came back with his list of classics we should all listen to at least once in our lifetime:
“I can only speak about the things I like, which are definitely the first 2-3 The Streets albums, all of A Tribe Called Quest, J Dilla is there obviously, famous things like B.I.G, Dre, or early Jay-Z I also like, also early Eminem, currently I’m listening a lot to the latest Kendrick Lamar album which is the first U.S. album I’ve enjoyed for a long time, also can’t really stop with Badbadnotgood and Ghostface Killah which I think is an incredible release. But obviously I also listen to lots of other things which are everything but Hip Hop.”
…and then he adds, “Ah, and the other day a friend showed me a Japanese Hip Hop artist called ‘Gebo’ which, to my ears, does pretty crazy things that I really enjoyed.”
www.1granary.com/interviews/paul-hutchinson
Was hat ein in Alufolie gewickeltes Brathühnchen mit Subkultur zu tun?
Interview mit iD-Germany
Wir haben mit dem Fotografen Paul Hutchinson über Jugendkulturen, die HipHop-Szene der 90er und Blumen gesprochen.
Was haben Berlin und Indien gemeinsam? Eine HipHop-Szene, die fasziniert. "Oberflächlich gesehen ist HipHop in Indien im Jahr 2015 das, was es in Deutschland im Jahr 1995 war", erzählt der Fotograf Paul Hutchinson im Interview. Er verbrachte einige Zeit in Bangalore, freundete sich mit den HipHop Kids an, die sich grade erst zusammenfinden, und fotografierte sie. Gemischt mit zahlreichen Aufnahmen von Pflanzen aus dem Botanischen Garten sind diese in seinem Buch "B-Boys, Fly Girls & Horticulture" zu finden, das heute im Museumscafé Dix in der Berlinischen Galerie präsentiert wird. Was Blumen und HipHop gemeinsam haben, erzählt er im Interview.
Erzähl uns ein bisschen etwas zur Idee deines neuen Buches "B-Boys, Fly Girls & Horticulture". Wann und wie entstand die Idee dazu? Wie lange hast du daran gearbeitet?
Ich bin im Somer 2014, nach zwei Jahren in London, wieder zurück nach Berlin gezogen. Ich bin hier aufgewachsen und für mich war irgendwann klar, dass ich Berlin und nicht London als Basis für mein zukünftiges Arbeiten wählen möchte. Nach meiner Rückkehr hab ich einige alte Bekannte wiedergetroffen, die immer noch Teil der HipHop-Szene sind. Ich selbst hatte über die Jahre gefühlt immer weniger mit aktuellem HipHop zu tun, aber als ich die Leute von damals wiedergetroffen habe, hat das irgendwas bei mir ausgelöst. Eine Art Erinnerung, ein positives Zurückdenken, ohne Nostalgie sondern eher ein überraschtes "Wow, das war ja auch mal Teil deines Lebens". Und für mich war es wichtig, dieser persönlichen Erfahrung eine Form zu geben, dem Gefühl, das auch gerne mit den verbreiten Klischees bricht. Wo bin ich und wo war ich in diesem Kontext? Was gibt mir das, wie fühlt sich das an? Was hat ein in Alufolie gewickeltes Brathühnchen mit Subkultur zu tun? Für mich viel. Ich habe schnell gemerkt, dass es für mich eine gewisse Tiefe und Potential hat. So habe ich schließlich über circa ein Jahr hinweg Ausstellungs- und Buchprojekte entwickelt.
Du warst in den 90er Jahren selbst in den HipHop-Kreisen Berlins unterwegs, wie sehr hat dies eine Rolle für das Buch gespielt?
Natürlich war meine persönliche Erfahrung als Jugendlicher in Berlin irgendwo Ursprung für das Buch. Nur aufgrund der Person, die ich damals war, habe ich überhaupt Interesse und ein Bewusstsein für das Thema. Aber letztendlich hat mich, so wie bei uns allen, nicht nur eine Sache geprägt, sondern die Vielfalt aller Erfahrungen in meinem Leben. Es ist mir wichtig, meine Arbeit nicht über HipHop zu definieren, denn das Thema ist vielmehr eine Oberfläche, auf der ich mich in dieser Publikation bewege, eine Perspektive, die ich einnehme, Teil eines größeren Ganzen.
Haben wir heutzutage noch eine HipHop-Kultur wie in den 90ern? Worin unterscheidet sie sich?
Ich möchte keine vermeintliche Autorität einnehmen, das objektiv zu beurteilen, das kann ich schlichtweg nicht. Ich kann nur sagen, dass mich persönlich wenig Sachen so berührt haben wie damals Tribe Called Quest, J Dilla oder early The Streets. Wobei ich nicht sagen möchte, dass damals alles besser war. Es ist nur klar, dass sich HipHop immer mehr zu einer Popindustrie, einem Produkt des westlichen Kapitalismus entwickelt hat. Was weder gut noch schlecht ist, nur anders. Es gibt mehr Marken, und es gibt mehr Fans. Und: mehr Musik.
Was hat es mit dem Titel auf sich?
B-Boys, Fly Girls & Horticulture bezieht sich auf das, was man hauptsächlich in dem Buch sieht: Breakdancer und Pflanzen.
Du beschäftigst dich im Buch mit der HipHop-Szene in Deutschland und in Indien. Was haben sie gemeinsam und worin unterscheiden sie sich?
Oberflächlich gesehen ist HipHop in Indien im Jahr 2015 das, was es in Deutschland im Jahr 1995 war. Es steht am Anfang und ist super interessant zu beobachten. Die Kids sind motiviert und bauen sich ihre eigene Subkultur und darüber auch eine eigene Identität auf. Sie machen Musik in ihren eigenen Sprachen. Natürlich ist der Kontext komplett verschieden. Ich gehe in Indien nach einem Treffen mit Leuten auf die Straße, habe zuvor in einem IKEA Wohnzimmergespräche in meiner zweiten Muttersprache (ich bin Halb-Ire) über Kendrick Lamar geführt, was auch irgendwo in Kreuzberg hätte passieren können. Aber eigentlich bin ich in Indien. In all seiner Unbeschreibbarkeit. Und mir fällt ein, ach ja, stimmt ja, da sind ja noch die anderen 1,2 Milliarden Menschen und tatsächlich erfasse ich davon nichts.
Auch Pflanzen spielen eine Rolle. Wie kam es dazu? Worin besteht die Verbindung?
Es ist ein konzeptueller Gedanke: Durch die Künstlerresidenz des Goethe Instituts in Bangalore habe ich unweit vom Botanischen Garten, The Lal Bagh Botanical Gardens, gewohnt, welcher einer der imposantesten Indiens ist. Die ansässige Schule für Hortikultur betreut eine der artenreichsten Pflanzen- und Baumsammlungen im Land und setzt sich vorrangig mit der Eingliederung und Betreuung von Fremdkulturen auseinander. Ich mag Pflanzen sehr gerne und konnte nach Gesprächen mit den Botanikern und Wissenschaftlern vor Ort ein Sinnbild für die Entwicklung von und im Umgang mit HipHop erkennen. Einer fremden Spezies innerhalb einer unnatürlichen Umwelt. Es ist eine gröbere Auseinandersetzung mit Exotismus und dem Umgang damit. Es geht auch um das Bewusstsein als weißer, westlicher, männlicher Fotograf, Jugendliche in Indien zu fotografieren. Was in sich politisch extrem aufgeladen ist.
Jugendkultur ist ein Wort, das immer wieder auftaucht, wenn man dein Buch recherchiert. Wie definierst du persönlich "Jugendkultur"?
Ich denke, es ist ein Identifikationsmerkmal zu einer Zeit im Leben, in der wenige schon ganz für sich selbst stehen. Eine Gruppe bietet einen haltenden Rahmen. Wie auch immer dieser aussehen mag.
Was steht in naher Zukunft bei dir an?
Als nächstes würde ich gerne HipHop in Japan, Simbabwe und Venezuela fotografieren. Nein, Scherz. Ich setze mich aber grade tatsächlich im weitesten Sinne intensiver mit Exotismus auseinander, habe eine neue grobe Buchidee, aber noch nichts Spruchreifes. Ich werde nicht der 97. Fotograf sein, der Flüchtlinge fotografiert, aber eine Auseinandersetzung mit der Situation in Deutschland ist natürlich nicht unwichtig. Aber vielleicht fotografiere ich auch einfach wieder Blumen.
www.i-d.vice.com/was-hat-ein-in-alufolie-gewickeltes-brathaehnchen-mit-subkultur-zu-tun
B-Boys, Fly Girls & Horticulture
Press text
The book B-Boys, Fly Girls & Horticulture documents the photo project by Paul Hutchinson dedicated to the Hip Hop scene in Germany and India. The photographer grew up in a post fall-of-the-wall Berlin and used to be part of the Hip Hop circles in the 90s. Now he approaches this youth culture as an attentive observer.
In his work, Paul Hutchinson shows the subculture as a sensuous experience. Through his both sober and sensitive photographic look he provides the insights into the daily life, surroundings and individual stories of the young hip-hoppers. For his portraits, he keeps taking new perspectives showing the juveniles as immersed, almost isolated individuals. The rhythm and motion that are commonly associated with this music and dance culture are only indicated through their attributes while the real ambience is created by carefully chosen details. An overall image emerges from this nonlinear narrative and the fragmentary shots convey a genuine impression.
The young photographer develops his own style that combines documentary and poetics and expresses the inner motion through the aesthetics of colour and form. The pictures from the Botanical Garden in Bangalore are presented alongside the pictures of the Hip Hop scene. They serve as a metaphorical imagery to explore the idea of 'exoticism' that corresponds with the 'foreignness' of the Hip Hop culture in India.
'But it is this spirit of negating all pragmatic circumstances, of pushing on and on, affirming life, that I found so inspiring while working amongst the youngsters in east and west.' (Paul Hutchinson in B-Boys, Fly Girls & Horticulture, 2015)
Das Buch B-Boys, Fly Girls & Horticulture dokumentiert das Fotoprojekt von Paul Hutchinson, das der Hip-Hop-Szene in Deutschland und Indien gewidmet ist. Der Fotograf ist im Berlin der Nachwendezeit aufgewachsen und war in den 90er Jahren selbst in Hip-Hop-Kreisen unterwegs. Nun beschäftigt er sich als aufmerksamer Beobachter mit dieser Jugendkultur.
Die Subkultur als eine Art Lebensgefühl darzustellen ist dabei sein Ziel. Mit einem nüchternen, aber zugleich empfindsamen fotografischen Blick liefert Paul Hutchinson Einblicke in den Alltag, die Umgebung und individuelle Geschichten der jungen Hip-Hopper. Die Portraits, für die er immer wieder neue Perspektiven findet, zeigen in sich versunkene, fast isoliert anmutende Jugendliche. Rhythmus und Bewegung, die klassisch mit dem Thema assoziiert werden, sind nur durch ihre Attribute angedeutet. Die eigentliche Stimmung wird dabei durch präzise ausgesuchte Details wiedergegeben. So entsteht aus einer nicht-linearen Erzählung ein Gesamtbild und die fragmentarischen Einblicke vermitteln die authentische Atmosphäre.
Der junge Fotograf entwickelt seine dokumentar-poetische Handschrift, in der die Ästhetik der Farben und Formen die inneren Bewegungen zum Ausdruck bringt. Parallel zu den Bildern der Hip-Hop-Szene stehen die Aufnahmen aus dem Botanischen Garten in Bangalore, anhand derer Paul Hutchinson das Phänomen des "Exotismus" erforscht und mit der für Indien "fremden" Hip-Hop-Kultur in Verbindung setzt.
"Es ist aber auch genau diese drängende Energie – das Verneinen aller vermeintlichen Hindernisse, die Neugierde aufs Leben –, die mich so inspiriert hat beim Arbeiten mit den Jugendlichen in Ost und West." (Paul Hutchinson in B-Boys, Fly Girls & Horticulture, 2015)
www.thegreenbox.net/de/buecher/b-boys-fly-girls-horticulture
Representation of Youth Culture in a Globalised World
Dr. Thomas Köhler
German-Irish Paul Hutchinson was born in Berlin in 1987 and grew up during the city’s post-reunification chaotic creative period. He studied both Photography and Communications, at Central St. Martins College of Art and Design London and Berlin University of the Arts respectively. The young photographer has thus far worked in New York, Barcelona and Rio de Janeiro, ultimately returning to Berlin, where he now resides.
With a strong background in other cultures and contexts, it’s hardly surprising that Hutchinson accepted an invitation from the Goethe-Institut in Bangalore to complete a 5-week photographic project that would culminate in an on-site exhibition of his work in August 2O15. The result is an unusually quiet and analytical series of photographs that examine the structure and atmosphere of the local hip-hop scene.
The adjective “quiet” takes on a particular double meaning within the context of Hutchinson’s recent works. In his work, Paul Hutchinson, who grew up amidst a protective and engaging hip-hop scene in Berlin of the late 199Os, focused on the hip-hop equivalent of the third largest Indian city of Bangalore. His eye reveals very silent close-ups of the local music scene to the observer. Mixer console insides and red-lit dance floors evoke an echo of sounds and beats. However, the emptiness and the intensity of colours seem to be more important to the photographer than the vibrant togetherness of the hip-hoppers. His musicians and break-dancers mostly remain alone, thoughtful and apparently isolated. There is no room for posing and group choreography in Hutchinson’s work. He rather individualizes and personalizes group aesthetics and presents them as a pensive and introverted one-man show. In his work the secret always lies in the detail. The protagonists’ spatial surroundings chart the gestures of the expression, the state of mind. A break- dancer in a green t-shirt is rehearsing a move on the floor, his face half turned-away, pressing his hands into the sand. The concrete ghetto dance cliché immediately dissolves, the movements become soft and self-referential.
There are hardly any direct frontal portraits in Hutchinson’s works. The juveniles seem to be caught in their attitude, captured protectively by sound and movement as if by a cocoon. Hutchinson describes similar youth experiences: “I grew up in a post fall- of-the-Wall Berlin of the nineties and for me and my friends the thick bass thuds, the mechanic snares and the cold rhythmic speech of hip hop music provided a haven from everyday teenage problems.(...)(it) was able to tune my surroundings down a little.” (Bangalore Mirror, 5 August 2015).
The picture of the group or rather of the hip-hop gang almost completely fades into the background. This becomes especially significant and powerful in a photograph of two boys in striking black-grey bomber jackets with flower print and snail leather look, turning to each other and away from us and thus hiding their faces (Einander, 2014). In another picture, we see the wearer of the flower print bomber jacket again, cover- ing his face with his hand. The photograph is like a stop signal, the purpose of which is to protect the private sphere from voyeuristic intrusion (Gear, 2014). Individuality and a protected private space are in the foreground of Hutchinson’s Bangalore works. The strict caste system of Indian society is not present among hip-hoppers. Youth culture occupies its own free space beyond societal values.
In social sciences there is the term “participating observation.” It describes a method of science – originating from ethnology – to examine the actions and behaviour of a person or group. A feature of this method is the researcher’s personal participation in the interactions of the persons that are the objects of the study. Distance and closeness to them are likewise important. Paul Hutchinson is not a researcher but still his method seems related to research. He is not part of the hip-hopper group in Bangalore but is still accepted by their members. From his own youth he knows the codes and their meanings. Trust is an essential condition for the accomplishment of these photographs. Hutchinson is allowed to enter the counter-world of Indian everyday life.
Another element of his works are exotic plants and flowers. Bangalore has large and famous Botanic Gardens. Many of the exhibits that are shown there are from other cultural spheres and so a “clash of vegetation species” develops, similar to the way hip-hop culture has brought new elements into Indian youth culture and integrated older ones. The migration of plants and the uniqueness of each single blossom or leaf reflect the longing for individuality and self-determination of juveniles. In one of Paul Hutchinson’s works, a boy carries symbolically a huge leaf over his head, less to disguise but more to enable him to be with himself. The romantic gesture of hiding becomes a kind of quiet protest against peer pressure.
Repräsentation von Jugendkultur in einer globalisierten Welt
Dr. Thomas Köhler
Der 1987 in Berlin geborene Deutsch-Ire Paul Hutchinson wuchs im kreativen Chaos des wiedervereinigten Berlins auf und studierte in London an der Central Saint Martins School of Arts and Design und in Berlin an der Universität der Künste sowohl Fotografie als auch Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation. Verschiedene Projekte und Assistenzen führten den jungen Fotografen unter anderem nach New York, Barcelona und Rio de Janeiro. Schließlich kehrte er nach Berlin zurück.
Vor dem Hintergrund seines Interesses an anderen Kulturen und Kontexten, wundert es kaum, dass Hutchinson im Sommer 2O15 die Einladung des Goethe-Instituts in Bangalore, Indien, annahm, über fünf Wochen vor Ort ein Fotoprojekt und eine Ausstellung seiner Arbeiten zu realisieren. Herausgekommen ist eine ungewöhnlich leise und analytische Serie von Fotografien, die die Strukturen und die Atmosphäre der dortigen Hip-Hop-Szene untersucht.
Das Adjektiv „leise“ bekommt im Kontext der aktuellen Arbeiten Hutchinsons eine besondere Doppelbedeutung. Aufgewachsen inmitten einer beschützenden und einvernehmenden Hip-Hop-Szene im Berlin der späten 199Oer Jahre, konzentriert sich Paul Hutchinson in seiner Arbeit auf das Hip-Hop-Äquivalent der drittgrößten indischen Stadt Bangalore. Sein Blick zeigt dem Betrachter sehr stille Detailaufnahmen der dortigen Musikszene. Interieurs von Mischpulten und rot beleuchteten Tanzflächen evozieren einen Nachhall von Klängen und Beats. Allerdings scheint die Leere, die Intensität der Farben dem Fotografen wichtiger zu sein, als das pulsierende Miteinander der Hip-Hopper-Clique. Seine Musiker und Breakdancer bleiben zumeist für sich, in Gedanken und scheinbar isoliert. Das Posieren und die Gruppenchoreografie finden in Hutchinsons Arbeiten keinen Platz. Vielmehr individualisiert und personalisiert er die Gruppenästhetik, macht sie zu einer nachdenklichen, introvertierten One Man Show. Das Geheimnis liegt bei Hutchinson immer im Detail. Das räumliche Umfeld der Protagonisten kartografiert den Gestus des Ausdrucks, den Geisteszustand. Ein Breakdancer in grünem T-Shirt mit halbabgewandtem Gesicht übt am Boden einen Move. Die Hände drückt er dabei in den Sand. Das Klischee vom Betonghettotanz löst sich sofort auf, die Bewegung wird weich und selbstbezüglich.
Direkte frontale Porträtaufnahmen finden sich in seinen Arbeiten selten. Es scheint, dass die Jugendlichen in ihrer Haltung eingefangen sind von Klang und Bewegung. Wie ein Kokon legt sich beides schützend um sie. Ähnliche Jugenderfahrungen beschreibt Hutchinson in einem Zitat: „Ich bin im Nachwende-Berlin der Neunzigerjahre aufgewachsen, und für meine Freunde und mich waren die groben Bässe, die mechanischen Snares und der klare rhythmische Sprechgesang eine Art Rückzugsort aus einem genervten Teenagerleben.“ (übersetzt aus: Bangalore Mirror, 1. August 2015).
Das Bild der Gruppe, bzw. der Hip-Hopper-Gang tritt bei Hutchinson fast zur Gänze in den Hintergrund. Besonders eindringlich und deutlich wird dies in einer Fotografie, in der zwei Jungen, in sehr auffälligen Bomberjacken mit schwarz-grauem Blumendruck und Schlangenlederoptik, durch ihre sich zu- und uns abgewandte Haltung ihre Gesichter verbergen (Einander, 2014). Auf einem weiteren Foto sehen wir erneut den Träger der schwarzen Bomberjacke, der sich mit der Hand das Gesicht verdeckt. Die Fotografie wirkt wie ein Haltesignal, das vor dem voyeuristischen Eindringen in die Privatsphäre schützen soll (Gear, 2014). Individualität und geschützter privater Raum stehen in den Bangalore-Arbeiten von Hutchinson im Vordergrund. Die starre Kastenordnung der indischen Gesellschaft findet unter den Hip-Hoppern keinen Platz.
Jugendkultur nimmt sich über gesellschaftliche Werte hinaus ihren Freiraum. In den Sozialwissenschaften bezeichnet der Begriff „Teilnehmende Beobachtung“ eine Methode der Forschung, die ursprünglich aus der Ethnologie stammt und dazu dient, das Handeln und Verhalten einer Person oder einer Gruppe zu untersuchen. Ein Kennzeichen dieser Methode ist die persönliche Teilnahme des Forschers an den Interaktionen jener Personen, die Gegenstand der Untersuchung sind. Distanz und Nähe zum Untersuchungsgegenstand sind gleichsam wichtig. Paul Hutchinson ist kein Forscher und dennoch scheint seine Methode der Forschung verwandt. Hutchinson ist nicht Teil der Hip-Hopper-Gruppe in Bangalore und dennoch wird er von den Gruppenmitgliedern akzeptiert. Er kennt aus seiner eigenen Jugend die Codes und ihre Bedeutung. Das Vertrauen ist eine wesentliche Voraussetzung für das Entstehen der Fotos. Hutchinson wird es erlaubt, in die Gegenwelt zum indischen Alltag einzudringen.
Ein weiteres Element seiner Arbeiten sind exotische Pflanzen und Blumen. Bangalore verfügt über einen großen und berühmten Botanischen Garten. Eine Vielzahl der dort gezeigten Exponate kommt aus anderen Kulturkreisen, so dass ein „Clash“ der Vegetationsarten entsteht, ähnlich wie die Hip-Hop-Kultur neue Elemente in die indische Jugend gebracht und Vorgefundenes integriert hat. Die Migration der Pflanzenwelt und die Einzigartigkeit jeder einzelnen Blüte, jedes Blattes spiegeln die Sehnsucht nach Individualität und Selbstbestimmung der Jugendlichen. Symbolisch trägt bei Paul Hutchinson ein Junge über seinem Kopf ein riesiges Pflanzenblatt, weniger um sich zu maskieren, als mit sich selbst sein zu können. Der romantische Gestus des sich Verbergens wird zu einer Art stillen Protests gegen Gruppenzwänge.
published in B-Boys, Fly Girls & Horticulture, The Green Box Publishing, 2015